Freitag, Mai 12, 2023

Interreligiöser Rundbrief ... Nr. 2023-2

(12.05.2023)

Die Enquete-Kommission wurde mit Befürchtungen von Bürgerinnen und Bürgern über die Gefahren von ‚sogenannten Sekten‘ ebenso konfrontiert wie mit der Besorgnis vieler Gemeinschaften, als ‚schadensbringende Sekte‘ etikettiert und entsprechend behandelt zu werden. Die Kommission hat sich auch mit dieser Seite des Problems intensiv auseinandergesetzt. Sie wendet sich ausdrücklich gegen eine pauschale Stigmatisierung solcher Gruppen und lehnt die Verwendung des Begriffs ‚Sekte‘ wegen seiner negativen Konnotation ab. Die Ablehnung des Begriffs ‚Sekte‘ wird auch durch das Ergebnis der Arbeit der Enquete-Kommission unterstützt, daß nur ein kleiner Teil der Gruppierungen, die bislang unter dem  Begriff ‚Sekte‘ zusammengefaßt wurden, problematisch sind. Daher wäre eine weitere Verwendung des Sektenbegriffs für alle neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften fahrlässig.“[1]

Liebe Leser:innen des interreligiösen Rundbriefes,

abgesehen vom Krieg als schlimmster Eskalation menschlicher Aggression, sind wir noch viel alltäglicher mit einer anderen Form konfrontiert, die auf den ersten Blick zwar nicht so zerstörerisch ist, bei genauerem Hinsehen richtet sie aber großen Schaden an und kann zudem auch noch mit Krieg verbunden werden: Rassismus.


Rassismus

Das ist natürlich erstmal nur ein Schlagwort, so wie „Sexismus“, „Nationalismus“ oder „Xenophobie“. Die Trennschärfe zwischen diesen Begriffen ist auch nicht sehr hoch und nicht jede:r verwendet diese Wörter gleich. Darüber könnte ich jetzt lange schreiben, aber will hier nur einmal auf ein Missverständnis hinweisen, dem ich lange aufgesessen bin: Ich dachte nämlich, dass „Rassismus“ für die Geringschätzung einer biologischen Rasse stehe und demzufolge Wortkombinationen wie „antiislamischer Rassismus“ unsinnig seien, denn der Islam ist ja keine biologische Rasse, sondern eine Religion.

Nun lernte ich lesenderweise erst kürzlich, dass das Wort „Rasse“ erstmals in Italien im 15. Jh. zur Wertschätzung hochstehender Adelsfamilien und Pferdezüchtungen verwendet wurde – wobei die zweite Verwendung schon was mit biologischen Rassen zu tun hat – und dann im 16. Jh. in Spanien zum Auseinanderhalten von Juden, Muslimen und Christen als drei verschiedenen „Rassen“. Im 18. Jh. wurden in Frankreich Adel und Bürgertum als zwei „Rassen“ bezeichnet und im Folgenden die verschiedensten Menschengruppen, sogar Männer und Frauen. „Rasse“ konnte also jede Form von kollektiver Zugehörigkeit meinen. Erst durch die Evolutionsbiologie kam es allmählich zu einem engeren, biologischen Verständnis, und man versuchte, die Unterschiede zwischen menschlichen Völkern biologisch und genetisch zu erklären. Dieses Erklärenwollen könnte noch als wertneutrale empirische Wissenschaft durchgehen, hätte nicht hinter vielen wissenschaftlichen Forschungen im 19./20. Jh. der Wunsch nach Beherrschung des Erforschten gestanden. Gerade das macht dann aber den Rassismus aus: Menschengruppen voneinander unterscheiden, um die wertvolleren (die eigene Gruppe) von den weniger wertvollen oder gar wertlosen Gruppen (spezielle andere oder alle anderen) trennen zu können, wobei erstere letztere beherrschen oder auch ausrotten dürfen. Als „Rasse“ wurde dann alles mögliche bezeichnet, sei es ein Volk, eine Religionsgemeinschaft, eine soziale Schicht, ein Geschlecht oder was auch immer. Umgekehrt wurde aber auch allgemein von der menschlichen Rasse gesprochen. Quasi wurde das Wort inflationär gebraucht bis nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft das Wort zunehmend in Misskredit geriet und heute nur noch für gezüchtete Tier- und Pflanzenrassen verwendet wird, nicht aber für Menschen. Das bedeutet aber keineswegs das Ende des Rassismus, denn die eigene Gruppe für wertvoller als andere zu halten, findet immer noch Befürworter:innen. Nur wurde vor der Naziherrschaft alles und jedes als „Rasse“ bezeichnet, wird heute das Wort durch andere   ersetzt: Volk, Religion, Kultur, Lebensweise usw. Und so wie auch im 19./20. Jahrhundert in Europa die Angst aufkam, die „weiße Rasse“ sei in Gefahr durch zum Beispiel die „gelbe Rasse“ oder „die Juden“, so sei heute „das christliche Abendland“ oder „die westliche Lebensweise“ in Gefahr durch „den Islam“, „die Migranten“, „die Afrikaner“ oder auch „die Homosexuellen“, „die Genderqueeren“ und so weiter.

Diese Entwicklung zeigt meines Erachtens, dass die Vermeidung von Wörtern wie „Rasse“ oder „das N-Wort“, „das Z-Wort“ nur kosmetisch eine Änderung bringt. Ist ein Wort verbrannt, nimmt man ein anderes, ohne die Geisteshaltung zu ändern. Es braucht – zumindest zusätzlich – noch andere Maßnahmen, den Rassismus, die Xenophobie, den Hass auf Andere zu überwinden.

„Interreligiöse Perspektiven auf den Rassismus“

Zu der IFN-Veranstaltung „Interreligiöse Perspektiven auf den Rassismus“ am 1. April 2023 im MIGRApolis-Haus kamen zwar weniger Leute als erwartet, aber letztlich saßen wir elf in gemütlicher Runde um einen Tisch und führten ein sehr gutes Gespräch darüber, aus verschiedenen religiösen Perspektiven. Die Teilnehmenden waren sich darin einig, dass Gott der Schöpfer, Vater oder die Eltern aller Menschen gleichermaßen sei. Hanife Tosun ergänzte aus muslimischer Perspektive, dass es nur zwei Ebenen gebe, die göttliche und die menschliche, also alle Menschen auf derselben Ebene seien. 

                                            Foto: Petra Schenk-Schmiedel
 

Gregor Sattler erzählte von einigen Lebensjahren in London, wo er im Rahmen seiner Arbeit für die Vereinigungsbewegung Menschen aus vielen früheren Kolonien und anderen Ländern kennen- und schätzen gelernt habe. Dabei habe er gelegentlich auch die Erfahrung gemacht, wegen seiner deutschen Herkunft als ein „Nachkomme von Hitler“ abgelehnt und beschimpft zu werden. Die Bereitschaft, dennoch aufeinander zuzugehen, die Kommunikation nicht abreißen zu lassen und gemeinsame Projekte oder Aktionen durchzuführen, seien hilfreich gewesen, um Vorurteile abzubauen und Fehleinschätzungen zu überwinden.

Helia Daubach erzählte von einer Bahá’í-Veranstaltung über Feminismus und Rassismus, in welcher eine Sprecherin über Black Lives Matter  erzählte und die Elemente oder Symptome von systemischem Rassismus in einer Vorurteilsgesellschaft erklärte, und dass die Rolle, die alle Menschen dabei spielen, eine solche Gesellschaft aufrecht erhalten. Es sei ja auch offensichtlich, dass wir derzeit noch in einer rassistischen und im Übrigen auch sexistischen Gesellschaft weltweit leben. Helia sagte, sie habe in sich ein Unwohlsein verspürt, da sie selbst sich als Teil der dabei privilegierten Gesellschaftsschicht erkannte. Auch bei anderen Zuhörenden habe sie ein Unwohlsein wahrgenommen, dass sich in kritischen Rückfragen geäußert habe. In derselben Veranstaltung habe es einen Vortrag über die Benachteiligung der Frauen durch die Männer gegeben, zum Beispiel bei Darstellungen in Kinderbüchern, womit sie sich einverstanden gefühlt habe, da sie sich hier nicht auf der Seite der Privilegierten gesehen habe, sondern auf der der Diskriminierten. Sie habe dabei aber gemerkt, wie einige Männer unter den Zuhörenden unruhig wurden und dann sehr kritische Rückfragen stellten. Helia meinte, diesen Männern sei es nun so gegangen wie ihr am Vortag, wo sie sich als Teil der privilegierten Gruppe schuldig gefühlt hatte. Diese hätten sich nun der Unterdrückung von Frauen beschuldigt gefühlt. Sie zog daraus den Schluss, das Leiden von Menschen, egal ob von Farbigen (People of Color) oder von Frauen erstmal an sich heranlassen zu müssen, um Mitgefühl zu entwickeln, damit man verstehen könne, wie man als Mitglied einer Gruppe, von der aus Unterdrückung ausgegangen war, im Mithaftung genommen wird. Andererseits solle man aber auch lernen, nicht alle Mitglieder einer Gruppe in denselben Topf zu werfen.

Erich Frese erzählte von einer Beratung, in welcher er eine dunkelhäutige Frau gefragt habe, wo sie denn herkomme, worauf diese ganz aggressiv geworden sei und klargestellt habe, dass sie Deutsche und in Deutschland geboren sei. Wahrscheinlich sei ihre deutsche Identität mit dieser Frage sehr oft in Frage gestellt worden, was gar nicht in seiner Absicht gestanden habe.

Hanife Tosun, deren Eltern aus der Türkei stammen, meinte, sie wisse es inzwischen auseinanderzuhalten, ob jemand aus unfreundlicher Ausgrenzung oder aus freundlichem Interesse nach ihrer Herkunft fragt.

Christina Partuschke-Begnaud brachte das Gespräch auf einen anderen Aspekt, den alle Menschen gemeinsam haben, nämlich den Tod. Sie beschäftigt sich seit längerem mit Nahtodeserlebnissen und meinte, wer ein solches gehabt habe, könne andere Menschen gar nicht mehr geringachten und ihnen Unrecht antun wollen, denn alle Nahtod-Erfahrenen berichteten vom Erleben eines großen Glückes und einer Freiheit, wodurch der Betroffene so verändert werde, dass er anschließend mit großem Mitgefühl und Liebe lebe. Besonderes Veränderungspotential zum Guten liege in der häufig beschriebenen Erfahrung Nahtod-Erfahrener, dass man all das am eigenen Leib erfährt, was man anderen zugefügt hat, im Guten wie im Bösen. Sie wünschte sich, dass Putin einmal so ein Nahtodeserlebnis hätte, das er natürlich überleben müsse.

Dass auch von religiösen Menschen Rassismus ausgehen könne, wurde nicht verneint, aber als den eigentlichen Botschaften der Religionen widersprechend angesehen. Muhammad zum Beispiel habe sich immer dafür eingesetzt, Menschen egal welcher Hautfarbe oder ethnischer Identität gleich zu behandeln.


Sog. „Sekten“

Wenn man nun den Rassismus-Begriff ausweitet und auf jede Geringachtung von Menschen aufgrund kollektiver Merkmale, auch religiöser, wie beim Begriff des antiislamischen Rassismus anwenden kann, dann vielleicht doch auch auf die Geringachtung von Menschen, die kleinen, neuen Religionsgemeinschaften angehören, die man oft geringschätzig als „Sekten“ bezeichnet. Nachdem am 3. April ein Mann einen Amokanschlag auf eine Versammlung der Zeugen Jehovas in Hamburg durchführte, kam in den Medien sofort die Frage auf, ob denn diese „Sekte“ da nicht irgendwie selbst Schuld dran sei durch ihre Strukturen, die sich doch negativ auf die Menschen auswirkten. Es wurden „Sektenexperten“ und Aussteiger:innen interviewt, noch bevor man sich über die Persönlichkeit des Täters im Klaren hat werden können. Wir hatten als IFN dazu eine Stellungnahme auf unserer Website veröffentlicht und auf zwei weitere verlinkt, die sich kritisch zu diesem Vorgehen äußerten.[2] Auch hatten wir am 13. April einen Interreligiösen Gesprächskreis von Religions for Peace Bonn/Köln diesem Thema gewidmet.

Umgang mit sog „Sekten“

Christina Partuschke-Begnaud stellte sich dabei als Mitglied der Mun-Bewegung vor, die ja oft auch als „Mun-Sekte“ diffamiert wird. Sie erzählte von der langjährigen Ausgrenzung durch ihre Eltern, seit sie dort Mitglied sei, die erst kurz vor dem Tod der Mutter gewichen sei, als diese gemerkt habe, dass sich ihre Tochter nicht negativ, sondern sogar positiv verändert habe und dass sie ihren Schwiegersohn und beider Glaubensgeschwister gerne mochte. Lioba von Lovenberg, Quäkerin, meinte, es gebe aber schon religiöse Personen oder Gemeinschaften die gefährlich seien. So rutsche eine Freundin von ihr immer mehr in eine negative Beeinflussung durch eine Seherin hinein. Und sie selbst habe mal sehr negative Erfahrungen mit dem Neuro-Linguistischem Programmieren gemacht. Sie verwende den Sektenbegriff dort, wo eine Gruppe psychisch manipulativ sei und wolle ihn erhalten, damit es einen Unterschied zwischen nicht-manipulativen und manipulativen Religionsgemeinschaften gebe und Religionsskeptiker nicht alle Religionsgemeinschaften in einen Topf werfen.

Ruth Kühn, Katholikin, meinte, bei ihr sei jeder Mensch mit der Religion akzeptiert, in die er hineingeboren sei oder sonst wie hineingefunden habe. Und Volker Strobel sagte, es gebe viele Wege zu Gott.

Ich selbst habe ja meine Dissertation im Fahrwasser der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages verfasst und Einsteiger zu den Zeugen Jehovas, einer Gemeinde des Bundes Freikirchlicher Pfingstgemeinden und der Neuapostolischen Kirche interviewt, wobei ich herausfand, dass diese Menschen in ihren neuen Religionsgemeinschaften Gemeinschaften und Inhalte fanden, die zu ihnen passten und ihnen wichtige Bedürfnisse erfüllten. Das bedeutet keineswegs, dass sie zu allen Menschen passen oder deren Bedürfnisse erfüllen. Es handelt sich vielmehr um spezifische und individuelle Passungen zwischen Mensch und Religionsgemeinschaft. Die genannte Enquete-Kommission empfiehlt, den Begriff „Sekte“ wegen seiner verallgemeinernd pejorativen Konnotation, die er oft hat, nicht zu verwenden. Man tue einfach zu vielen Menschen und ihren Gemeinschaften unrecht. Das bedeutet nicht, dass es keine Missstände gibt, keine Zwänge, keine Exklusivismen, keine Ausbeutungen und so weiter, aber eben nicht generell in „Sekten“, sondern man muss da jeden Einzelfall gesondert betrachten. Die Nichtverwendung des Sektenbegriffs, sozusagen des S-Wortes, alleine, bringt aber genau so wenig, wie die Nichtverwendung des N-, des Z-, des R- oder sonst eines oft missbrauchten Wortes, wenn sich die Haltung gegenüber den so oder anders bezeichneten Menschen und ihren Gemeinschaften nicht verändert. Diffamieren und Diskriminieren kann man auch mit Wörtern, die derzeit als politisch korrekt gelten, und wenn man es nur an den Wörtern festmacht, flieht man von einem Wort zum nächsten, bis man letztlich keine geeigneten Wörter mehr übrig hat. Ich halte es für besser, sich generell in mitfühlender Rede zu üben und zu spüren, mit welcher Bezeichnung sich Menschen wohlfühlen und mit welcher nicht.


„Interreligiöser Dialog hier und jetzt: Ins Gespräch kommen und eigene Perspektiven weiten“

Auch in der neuen Online-Gesprächsreihe „Interreligiöser Dialog hier und jetzt: Ins Gespräch kommen und eigene Perspektiven weiten“ von Religions for Peace Deutschland[3] hatten wir am 4. Mai 2023 das Thema „Umgang mit sog. ‚Sekten‘“, wobei Michael Utsch, Referent der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, einen Impuls gab. Sowohl sein Impuls als auch das anschließende Gespräch der Teilnehmenden entwickelte sich schnell vom engen Sekten- zum allgemeinen Religionsthema. Wir sahen das Problem generell darin, dass Religionen oft exklusive Ansprüche entwickeln, die Menschen ausschließen, die sich diesen Ansprüchen nicht anschließen oder eben andere Religionen, die andere Inhalte lehren. Religiöse Führungspersönlichkeiten besäßen so viel Macht über Gläubige und müssten idealerweise ein sehr subtiles Feingefühl entwickeln, um Menschen nicht zu diskriminieren oder gegen ihren Willen zu vereinnahmen. Daran mangele es nicht selten. Die Erfahrung, ausgeschlossen zu werden, sei aber sehr schmerzhaft und könne wiederum zu unfreundlichen Reaktionen führen. Deswegen sei es gleichermaßen wichtig, keine Einzelmenschen, aber auch keine Gemeinschaften auszuschließen. Schon beim ersten Termin dieser neuen Gesprächsreihe am 2. März 2023, bei dem es um die Geschichte des interreligiösen Dialogs ging und Ulrich Dehn den Impuls gab, wurde diese exklusivistische Tendenz von Religionen als oft anzutreffen beschrieben und der interreligiöse Dialog, wie wir ihn heute kennen, als eine moderne Weise, mit der Vielfalt der Religionen umzugehen, die eben nicht auf Bekehrung zur je eigenen Religion oder eben auf Ausschluss, ausgerichtet sei, sondern auf Begegnung im Respekt voreinander in der Verschiedenheit und zugleich offen dafür, Gemeinsames zu entdecken.

 

Exkursionen in Bielefeld

Ich habe im gegenwärtigen Sommersemester mit meinen Studierenden zwei Exkursionen durchgeführt, eine am 25. April 2023 zur kurdischen, muslimischen Mizgefta Şeyh Saîd Moschee und am 7. Mai 2023 zum indischen, hinduistischen Radha Krishna Tempel, beide in Bielefeld. Beide Male wurden wir herzlich empfangen, erhielten im ersten Fall einen kurzen Vortrag über den Islam und eine Vorführung eines Gebetes (Salat), während wir im zweiten Fall an einem Gottesdienst mit Liedern (Bhajans) und Opferandacht (Puja) teilnehmen konnten bzw. korrekter, den Gottesdienst beobachten konnten. Und beide Male wurden wir mit Speis und Trank bewirtet, wobei Gespräche aufgekommene Fragen beantworteten.

Bielefelder Dialog der Religionen

Auch der Bielefelder Dialog der Religionen plant derzeit eine Busrundfahrt zu fünf Religionsgemeinschaften in Bielefeld, und zwar zum oben genannten Radha Krishna Tempel, zur Merkez-Moschee, die zur DİTİB gehört, zur Neuapostolischen Kirche, zur Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzen Tage und zu den Bahá’í, die mangels eines eigenen Gebäudes bei den davor genannten zu Gast sind.[4] Die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage hat vor einem Jahr schon mal ihre Räumlichkeiten für eine Bahá’í-Veranstaltung zur Verfügung gestellt. Man sieht hier, dass dieser Dialogkreis keine ideologischen Schranken aufbaut und den Dialog mit Religionsgemeinschaften ablehnt, die andere eventuell als „Sekten“ bezeichnen mögen. Statt dessen schauen die Teilnehmenden auf die Menschen und wie man mit ihnen klarkommt.


Ermunterung

Ich kann nur immer dazu ermuntern, sei es wissenschaftlich teilnehmend-beobachtend, sei es religiös dialogisierend die Begegnung mit Menschen verschiedener religiöser, spiritueller, weltanschaulicher Überzeugung und Zugehörigkeit zu suchen und dadurch die Menschen hinter den Doktrinen kennenzulernen. Das erweitert den Horizont und vertieft die zwischenmenschlichen Beziehungen, wobei auch hier die Wiederholung die Mutter des Studiums ist. Man lernt ja nie aus. Jedenfalls sind diese Begegnungen das beste Mittel, rassistische Tendenzen in einem selbst – und ja, ich kenne solche auch in mir – zu  überwinden und somit auch die Ausgrenzung von Menschen zu vermeiden, die einer Gemeinschaft angehören, der gegenüber man Vorbehalte hat.   

Ich könnte noch vieles erzählen, zum Beispiel von der Teilnahme an einem Iftar der Muslimischen Hochschulgemeinde Düsseldorf[5] im Namen der Deutschen Buddhistischen Union, aber der Rundbrief ist lang genug, so dass ich hier stoppe.

 

Hier noch ein Zitat zum Schluss

„Es dauerte bis in die späten 1980er Jahre, bevor man gewahr wurde, daß der moderne Rassismus schon längst nicht mehr nur alte Ungleichheitsdogmen und rassengeschichtliche Mythen reproduziert. Vielmehr zeigen neuere Studien […], daß gerade in den rechtsradikalen und fremdenfeindlichen Milieus von heute der Rassebegriff selbst zunehmend vermieden wird, statt dessen aber umso mehr Wert auf die vom Rassismus geforderten Formen der Praxis gelegt wird. Nicht Ungleichheitsdogmen und festgelegte Vorurteilsstrukturen, wohl aber das gesamte praxisbezogene Arsenal rassistischer Motive lässt sich hier wiederfinden: Schutz vor Überfremdung, Reinhaltung, Selektion, Verteidigung, Exklusion, Wiederherstellung, Ausschluß, Bekämpfung, Erneuerung, Erzeugung und Säuberung. Bei der Bestimmung aber, was es da zu schützen, zu verbessern und zu verteidigen gilt, steht nicht mehr die Rasse im Vordergrund, sondern die Kultur, die Gesellschaft, die Nation oder schlicht die eigene Lebensweise. Ebenso wird die Frage, gegen wen sich die Praktiken des Ausschlusses und der Bekämpfung richten, unter Vermeidung des Rassenbegriffes abstrakt beantwortet: gegen die Ausländer, die Fremden, die Anderen – darunter wiederum können, wie im modernen Rassismus schon immer auch kulturelle und soziale Gruppen fallen: Obdachlose oder Homosexuelle, Juden oder Muslime.“[6]

Herzliche Grüße,
Ihr/Euer Michael A. Schmiedel

 

 

(geschrieben am 05.04.2023 im Zug von Bielefeld nach Köln, am 14.04.2023 zu Hause in Siegburg, am 18.04.2023 im Zug von Bielefeld nach Köln, am 24.4. und am 8.5. zu Hause, am 9.5. und 10.5. im Zug von Köln nach Hamm bzw. Bielefeld)


[1] Deutscher Bundestag, 13. Wahlperiode. Endbericht der Enquete-Kommission „Sogenannte Sekten und Psychogruppen“, Drucksache 13/10950, S. 4. PDF-Datei abrufbar unter https://dserver.bundestag.de/btd/13/109/1310950.pdf (abgerufen am 08.05.2023).
[2]
Vgl. Erklärungen und Nachrichten des Interreligiösen Friedensnetzwerkes Bonn und Region (IFN), Erklärungen vom 16.03.2023 und 25.03.2023: https://ifn-bonnregion.jimdofree.com/erkl%C3%A4rungen/ (geöffnet am 10.05.2023)

[4] Diese Busrundfahrt wird am 3. September 2023 in Bielefeld stattfinden. Wer daran Interesse hat, melde sich bitte bei mir.

[5] Ich würde hier gerne auf einen Artikel auf ddorf-aktuell.de verlinken, aber die Site ist derzeit nicht erreichbar.

[6] Christian Geulen. Geschichte des Rassismus. München (C.H. Beck) 3. Aufl. 2017 (1. Aufl. 2007), S. 111f.