Donnerstag, Dezember 31, 2020

Interreligiöser Rundbrief ... Nr. 2020-4

 

Interreligiöser Rundbrief für Bonn und Umgebung Nr. 2020-4
(31.12.2020)

„Gott kann keinen Abstand halten.“
                                                          
Joachim Triebel-Kulpe
[1]

Liebe Leser*innen,

zum Ende des Jahres 2020 nach gregorianischem Kalender möchte ich doch noch einen dritten Interreligiösen Rundbrief rundschicken. Der letzte ist schon über drei Monate her, und es gab zu diesem noch zwei Leserinnenbriefe, die ich noch nicht an Euch/Sie weitergegeben habe.

Hier sind sie:

1.
Lieber Michael Schmiedel,

danke für diesen Rundbrief, der meinen Kopf öffnete und mein Herz erfreute. Es tut gut, zu lesen, wie vielfältig es unter der Corona Decke weiter blüht!

Herzliche Grüße Beate Nettmann Roy


2.
Lieber Michael,

als einseitig durch ein technisches Studienfach (Bauingenieurwesen) geprägte, nach seelischer Nahrung hungernde Frau habe ich mit Freude die Anmerkungen zu Nicht- oder Beachtung der Coronaschutzmaßnahmen mit dem Exkurs zu politischer/wissenschaftlicher Konsensbildung in deinem interreligiösen Rundbrief gelesen.

Ich stürze mich immer wieder auf kurze mir über den Weg laufende Seelennahrung, da ich in meinem "Unruhestand" mir nie die Zeit für ausgiebige Lektüre nehme - zumal mir oft die Literatur fehlt, wie gesagt technisch gebildet oder verblendet(?). Als Wasserbauingenieurin liegen mir aber auch Themen wie Wasserqualität bei fortschreitender Verschmutzung und Erwärmung (der Oberflächengewässer wie Flüsse und Seen) und fehlende Wasserressourcenerneuerung (es regnete einfach nie in diesem Sommer) am Herzen.

Aber zurück zum Anlass meiner mail: ein Dankeschön an die für mich unendlich wertvolle Tatsache, dass ich im "interreligiösen Verteiler" bin und deine schönen Anmerkungen lesen konnte. Herzlichen Dank für den Rundbrief.

Da kam ja auch der Aufruf zur Schweigeandacht nachts von Monika (ich kenne sie leider nicht persönlich, vielleicht traue ich mich jetzt mal ihre angegebene Telefonnummer zu wählen, eigentlich bin ich sehr eigenbrötlerisch veranlagt mittlerweile) zu "Moira brennt". Mich hat der Brand der Zeltstadt auf Lesbos auch unendlich berührt. Hoffentlich ergibt sich ein Kontakt.

Der Ausschluss des persönlichen Kontakts trifft mich, die ich doch immer wieder mit den digitalen Medien haderte und weiter hadere besonders hart. Du schreibst zu einer Telefonkonferenz, dass sie, wie ich es verstand, zu besonderem Respekt anleitet. Da fehlt mir trotz aller Bemühungen des Dialogs, in deren Genuss ich am Rande immerhin durch den Verteiler komme, der Aspekt von Gefühl, das erst durch vielleicht sogar Unterbrechen des Redners, Erheben der Stimme etc. zum Ausdruck kommt. Das durfte ich nie! (erziehungsmäßig gesehen). Aber Wut, Trauer, Glück, Freude kommen doch erst durch spontanes "Ungehorsamsein" zum Ausdruck, Zwischenrufe. Klar liegt mir Gewaltverzicht absolut am Herzen, aber wie kann z.B. Musik oder Malerei entstehen, wenn nicht kleine Übertretungen der zivilen Anpassung möglich sind.

Das ist mein im einsamen, stillen Kämmerlein geschmiedeter, eigentlich passiver Beitrag zu deinem schönen Rundbrief. Und hier in meiner zum Teil coronabedingten Zurückgezogenheit wurde mir diese Sehnsucht nach wütender oder milder-melancholischer Anklage auch gestern bei kurdischer Musik eines Trios mit klassischen Instrumenten dieser Musikrichtung beim kurdischen Kulturabend im MIGRApolis bewusst.    Viele liebe Grüße    Heidrun

+

Soweit die beiden Leserinnenbriefe mit Dank dafür, dass ich sie hier veröffentlichen darf. Jetzt folgen noch ein paar Worte von mir.


Begegnungen und Muße

Ja, Begegnungen sind wichtig! Und wenn ich so auf dieses Jahr zurückblicke, war es, Corona hin oder her, voller Begegnungen, wenn auch nicht alle dreidimensional, analog und körperlich, sondern einige nur zweidimensional, digital und medial vermittelt. Was ich im letzten interreligiösen Rundbrief schrieb, also zum Beispiel die Online-Lehre mit meinen Studierenden und die Sohbet-Teegespräche des VEZ liefen weiter. Auch das jetzt schon zur zwei Dritteln geschaffte Wintersemester läuft nur online. Inzwischen haben wir da mehr Routine. Ich nahm auch an Veranstaltungen, zu denen ich wegen der Entfernung wohl nicht hingefahren wäre, so an einer Tagung in Fribourg und einer Ringvorlesung in Wien teil. So wurde online möglich, was analog zu aufwändig gewesen wäre. Auch Treffen von Religions for Peace, vom Bonner Institut für Migrationsforschung und Interkulturelles Lernen, vom Interreligiösen Friedensnetzwerk Bonn und Region fanden via Zoom statt. Es ging alles. Begegnungen fanden auch so statt.

Indes gibt es Menschen, die keinen Internetanschluss zu Hause haben, aus welchem Grund auch immer. Da wir im Kreis des Interreligiösen Gesprächskreises von RfP Bonn/Köln zwei Teilnehmer*innen ohne Internetanschluss haben, hielten wir den Gesprächskreis weiter als Telefonkonferenz ab. Auch das funktionierte. Aber diese beiden und sicher noch viele Menschen mehr haben eben nicht die Begegnungsmöglichkeiten, die das Internet bietet. So erfuhr ich von beiden, dass ihnen die analogen und persönlichen Begegnungen und Veranstaltungen viel mehr fehlen als mir.

Ich erfuhr auch von einem Freund, dass das Fehlen der sonst so vielfachen Veranstaltungen ihm mehr Muße zum Nachdenken ließ, was ihn zu einer Entscheidung gebracht habe, die er sein Leben lang vor sich hergeschoben habe. Welche das war, fällt hier aber unter Privates. Mich machte es aber nachdenklich, dass das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Technik so sehr über unser Leben bestimmt. Er kommt mehr zum Nachdenken, während ich froh bin, wenn es mal eine Woche ohne zusätzliche Onlineangebote gibt, denen ich meine, nachkommen zu müssen. Mir fehlen eher die Zugfahrten nach Bielefeld und zurück, in denen ich mehr zum Lesen und Schreiben komme, als ich es zu Hause schaffe. Aber zum Meditieren komme ich zu Hause mehr, wenn ich nicht wieder irgendwohin muss. Also Muße habe ich nicht unbedingt mehr gehabt in diesem Jahr, nur war sie anders gelagert.

Andern ging es ähnlich. So war es nicht möglich, alle Mitglieder des IFN zu einem gemeinsamen virtuellen Jahrestreffen via Zoom an einem Abend zusammen zu bekommen. Noch nicht mal nach einer Aufteilung auf drei Abende funktionierte das. Alle waren und sind so sehr beschäftigt und in Beschlag genommen. Die drei Jahres-Teiltreffen, die stattfanden, waren aber gut und zeigten, das synchrones Miteinandersprechen nicht durch eine asynchrone Kommunikation via E-Mail zu ersetzen ist.

Ich möchte aber von einer Begegnung erzählen, die wir im November hatten, ganz analog und unterwegs an der Sieg. Wir waren im Regionalexpress unterwegs mit dem wohl freundlichsten Fahrer, den die Deutsche Bahn zu bieten hat. Er ist mir schon oft aufgefallen, wenn ich zwischen Köln, Siegburg und Au – bzw. dem Auenland, wie er immer sagt – unterwegs war. Er begrüßt immer die Fahrgäste und gibt ihnen Tipps, sich unterwegs die schöne Landschaft anzusehen oder ob sie besser vorne oder hinten aussteigen, um bei Regen auf dem Bahnsteig schnell unters Dach zu kommen. Und nun hingen wir mit ihm zwei Stunden in Blankenberg fest, weil eine Stellwerkstörung uns weder vor- noch zurückfahren ließ. Wir unterhielten uns mit ihm und dann ging er auf den Bahnsteig und spielte für uns alle auf der Trompete. Ich habe es fotografiert und sogar zwei Videos gemacht und ihm diese über meine GMX-Cloud[2] zukommen lassen. In einer Antwort schickte er mir den Link zu dem Online-Gottesdienst seines Heimatdorfes im Westerwald, aus dem das Zitat zu Beginn dieses Rundbriefes stammt, und den er mit seiner Familie, der Bläserfamilie Kowalski, musikalisch begleitet hat.

  

„Gott kann keinen Abstand halten.“

Über diesen Satz könnte man jetzt viel nachdenken. Das habe ich auch schon getan, aber möchte mich mit meiner privaten Theologie hier jetzt mal zurückhalten. Vielleicht wäre er mal ein gutes Thema für einen interreligiösen Gesprächskreis oder ein Sohbet. Oder für einen Leserbrief.

Menschen können aber Abstände halten, und mal sind diese notwendig, manchmal Ausdruck einer Not oder Not bringend. Ich denke auch derzeit über Abstände im interreligiösen Dialog nach, die nichts mit Corona zu tun haben, und zwar über die Frage: Wer dialogisiert oder gar kooperiert mit wem und wer mit wem nicht? Immer wieder höre ich Sätze wie: „Mit denen will ich nichts zu tun haben!“ Vorbehalte, Vorurteile, negative Erfahrungen mit „denen“ oder der Bewegung oder Gemeinschaft, der sie angehören oder entstammen, Misstrauen und so weiter sind allzu menschliche Regungen, die aber eben die Begegnung, den Dialog, das Zusammenleben erschweren. Und manchmal beruhen sie, vor allem die Erfahrungen, ja auf guten Gründen. Manchmal werden die Erfahrungen aber auch auf Menschen übertragen, die mit denen, die einem die Erfahrung eingebracht haben, nichts oder nicht direkt etwas zu tun haben. Auch religiöse Gemeinschaften, Netzwerke, Bewegungen sind veränderlich, auch wenn konservative Vertreter derselben den Eindruck vermitteln, es sei alles felsenfest in Stein gemeißelt. Wenn man sich da zurechtfinden will, wer welche Interessen vertritt, wem man trauen kann, worauf man sich mit wem einlässt, dann muss man sich informieren, recherchieren, forschen. Das ist ja nun mein Metier als Religionswissenschaftler, aber es braucht Zeit. Vielleicht mache ich Sie jetzt neugierig darauf, was ich denn genau meine, ob so allgemein oder konkret. Nun, die Neugier möchte ich Ihnen nicht nehmen, Sie jetzt nicht von ihr erlösen. Wie heißt es in Krimis immer wieder: „Über laufende Verfahren dürfen wir Sie nicht informieren.“ Aber nein, es handelt sich nicht um eine Kriminalgeschichte, und dennoch lasse ich es mal dabei bewenden. Vielleicht kommt im nächsten Rundbrief mehr dazu.

 

Jetzt wünsche ich Ihnen und Euch erstmal einen guten Start im Neuen Jahr, auf dass 2021 nicht nur diese Pandemie besiegt sein wird, sondern wir auch andere Probleme anpacken können, wie den Klimawandel, die Nationalismen und Religionismen, den Neoliberalismus und so weiter.

Lebt/Leben Sie lang und in Frieden!

Herzliche Grüße,
Ihr/Euer Michael A. Schmiedel
http://interreligioeser-rundbrief.blogspot.com/
https://ifn-bonnregion.jimdofree.com/

PS: Leser*innenbriefe sind wie immer willkommen. Ggf. dazu schreiben, ob ich sie veröffentlichen darf und ob eine öffentliche oder private Rückmeldung meinerseits gewünscht ist.
PPS: Wer den IFN Zoom-Dialog vom 23.09.2020 noch nicht kennt, findet ihn auf Youtube unter
https://www.youtube.com/watch?v=CT0j37O9dUI

(Diesen Rundbrief schrieb ich am 31.12.2020 zu Hause in Siegburg.)



[1] Pfarrer Joachim Triebel-Kulpe. Online-Weihnachtsgottesdienst der Ev. Kirchengemeinde Almersbach.
https://www.youtube.com/watch?v=Fu1C3TaVvuk&feature=youtu.be (geöffnet am 31.12.2020)

 

Mittwoch, September 09, 2020

Interreligiöser Rundbrief ... Nr. 2020-3 (09.09.2020)

 

Interreligiöser Rundbrief für Bonn und Umgebung Nr. 2020-3
(09.09.2020)

 

„Wenn die Beteiligten bereit sind, voneinander zu lernen, entsteht der Dialog schon durch ihr bloßes Zusammensein.“[1]                                                      Thich Nhat Hanh

 

Liebe Leser*innen,

seit dem letzten Interreligiösen Rundbrief sind fünf oder schon fast sechs Monate vergangen. Es war ein eigenartiger Frühling und Sommer unter Corona-Bedingungen. Ich möchte ein wenig erzählen, wie es mir dabei ergangen ist, wobei ich ein paar Punkte herausgreife, die thematisch zum interreligiösen Rundbrief passen. Auch das Zitat oben von Thich Nhat Hanh passt, denn es fanden einige Dialoge in den letzten Monaten statt, an denen ich teilnehmen durfte. Das Zitat ist indes aus dem Zusammenhang gerissen, denn es ist im Buch selbst eingebettet in Aussagen über die authentische Repräsentation der je eigenen Tradition, was ich jetzt aber mal unthematisiert lasse. Aber ich stelle die Frage, ob man denn zusammen sein kann, wenn man sich nur übers Internet austauscht. Sind Ferndialoge möglich und sinnvoll? Ich fange mal mit meiner hauptberuflichen Arbeit an:


Online-Semester

Für mich fünf arbeitsreiche Monate, da ich ein sogenanntes Online-Semester durchführte. Um Ansteckungen mit Corona oder Covid-19 zu verhindern, wurden, soweit irgend möglich, alle Lehrveranstaltungen über das Internet gehalten. Das ergab für alle Lehrenden große Unsicherheiten und Herausforderungen, denn fast keiner wusste, wie das geht. In meiner Uni, Bielefeld, wurden uns einige Techniken zur Verfügung gestellt, Fortbildungen dazu angeboten, und dann hieß es ausprobieren, experimentieren und schauen, was wie am besten funktioniert. Ich habe es letztlich so gemacht, dass ich meinen Studierenden 1) wie immer die Powerpoint-Präsentationen auf einer ihnen zugänglichen Seite der Uni, dem eKVV (elektronischen Kommentierten Vorlesungsverzeichnis) und darin in einem „Lernraum“ zur Verfügung stellte, b) über das Programm Zoom Online-Unterricht abhielt, also synchronen Unterricht, dem jede*r von zu Hause aus beiwohnte und c) auch noch Lehrvideos anfertigte, damit die Studierenden auch asynchron sich den Unterricht anschauen konnten, wann immer sie wollten. So hoffe ich, alle erreicht zu haben, die erreicht werden wollten.  

Nicht alle hatten die technische Möglichkeit, den Zoom-Sitzungen beizuwohnen, aber die Videos konnten alle sehen. Manche wollten auch nicht live dabei sein, was in normalen Semestern aber auch der Fall ist. Letztlich gab es dann aber eine Klausur in der Uni, und zwar in einer Sporthalle, wo alle mit ausreichendem Abstand voneinander sitzen konnten. Das war schon ein bisschen stressig. Aber es hat sich niemand dabei infiziert, obwohl der Kreis Gütersloh direkt nebenan liegt. Eine Klausur haben wir auch noch vor uns, denn ich wollte den Run auf die wenigen genügend großen Räume entzerren. Den Studierenden war es recht.

Obwohl ich so nicht wöchentlich nach Bielefeld fahren musste, sparte ich keine Zeit, sondern die floss in die Videos usw. Unser Rektor lobte alle Mitarbeiter*innen dafür, dass niemand Überstunden angerechnet hat. Wir sind halt alle Überzeugungstäter*innen.  

Der direkte Austausch oder Dialog mit den Studierenden war indes nicht so gegeben, wie man ihn vor Ort beim Zusammensein in demselben Raum praktizieren kann. Der Dialog wurde oft noch mehr zum Monolog als er es im Präsenzunterricht auch schon streckenweise ist. Aber man muss eben Prioritäten setzen, und diese liegen nun mal bei der Sicherheit für Lehrende und Studierende und alle Mitmenschen, die man unterwegs sonst so zu treffen pflegt.  

 

Religions for Peace – Maskenverteilaktion


Derweil kamen im Frühling einige Tausend Mund-und-Nasen-Schutzmasken als Geschenk von Religions for Peace China an Religions for Peace Deutschland, die von Religions for Peace Rhein/Main am Frankfurter Flughafen abgeholt und dann in 1500er-Paketen an die 13 deutschen RfP-Ortsgruppen verschickt wurden. So holte auch ich eines Tages zwei Pakete von der Siegburger Post ab und gab sie in Siegburg und Bonn im Rahmen des Interreligiösen Friedensnetzwerks Bonn und Region weiter, und zwar in Siegburg an den Die Welt ist bunt e.V., der wiederum damit aus Syrien geflohene Familien in Siegburg versorgte, in Bonn an das Zentrallager Sachspenden Bonn, die Evangelische Migrations- und Flüchtlingsarbeit, das Bonner Institut für Migrationsforschung und Interkulturelles Lernen, die Römisch-Katholische Kirche, die Bahá’í-Gemeinde und die Zen-Peacemaker weiter, die wiederum damit Geflüchtete, Obdachlose und Ratsuchende damit versorgten. Wie sagt man so schön: Die gingen weg wie warme Semmeln. Und wie warme Semmeln schnell gegessen sind, so sind diese Einwegmasken inzwischen sicher längst alle verbraucht und entsorgt. Aber im Mai/Juni war der Handel noch nicht so weit, sie massenweise anzubieten. Und zudem, musste ja niemand etwas für dieses Geschenk aus China zahlen.

Ich war ja anfangs auch etwas skeptisch, warum denn grade aus China so eine Spende kommen sollte, aber der RfP Deutschland-Vorsitzende Franz Brendle kennt die Kolleg*innen in China und zerstreute alle Verdächtigungen, die Regierung der VR China könnte damit was zu tun haben.  So also ein herzliches Xie xie nach China!












Hier ein paar Fotos der Masken-Aktion:

Abholung bei der Post in Siegburg; Foto: Petra Schenk-Schmiedel
(2020.05.18Mo MAS SD M438-1515 DSC02384)

Übergabe der Masken in Siegburg; Foto: Michael A. Schmiedel (mit Selbstauslöser) (2020.05.29Fr MAS CF M65-3488 IMG_8695)

Übergabe der Masken in Bonn; Foto: Michael A. Schmiedel (mit Selbstauslöser)
(2020.06.12Fr MAS CF M65-4740 IMG_9957)


Da kamen wir also physisch zusammen. Ein Dialog wurde dabei aber auch nicht praktiziert, sondern es war „nur“ praktische Hilfe. Aber immerhin ermöglichten die Masken dann, dass Menschen im selben Raum miteinander sein konnten, etwa bei Sozialberatungsgesprächen oder Arztbesuchen. Die Ansteckungsgefahr wurde durch die Masken nicht verunmöglicht, aber reduziert. Sozusagen war die Maskenverteilung eine Hilfestellung für die Möglichkeit von Dialogen.

 

Diskussionen rund um Corona

Auch derweil entwickelten sich ausgiebige Diskussionen darüber, ob es denn überhaupt eine Pandemie gebe oder ob das nicht nur eine Ansammlung von wem auch immer gesteuerte Falschmeldungen sei. Oder wenn das Virus tatsächlich existent und gefährlich sei, ob es denn wirklich so gefährlich sei, dass derartige Schutzmaßnahmen von der Maske bis zur Quarantäne und dem Runterfahren ganzer Wirtschaftsbereiche gerechtfertigt seien. Skeptiker sammelten fleißig Widersprüche und Falschmeldungen in den Medien, hörten aufmerksam den einander widersprechenden Expert*innen zu und zogen daraus teils differenzierte, teils pauschale Schlüsse. Schimpfwörter zwischen denen, die die Schutzmaßnahmen befürworteten und denen, die sie ablehnten, blieben nicht aus. Ich schreibe im Präteritum, aber es geht ja immer weiter. So werden auch die Berichte über die Demonstrationen in Berlin sehr verschieden interpretiert. Für die einen demonstrierte da „das Volk“, das die Mehrheit des Volkes repräsentierte, für die anderen demonstrierte da eine kleine, aber laute Gruppe von Fanatikern, die entweder politisch recht gewesen seien oder sich zumindest von den politisch Rechten, also den Nationalisten, nicht gebührend distanzierten. Ich hatte im Internet einen einigermaßen funktionierenden Dialog mit einem Vertreter der Gegner der Schutzmaßnahmen, mit dem ich einen recht sachlichen Austausch pflegen konnte. Nur leider blieb er mir gegenüber anonym mit einem Nicknamen, was mir für einen echten Dialog dann doch unangemessen erschien, so dass ich es wieder sein ließ. Nun, er hatte Angst um seinen Arbeitsplatz, sollte sich seine Identität verbunden mit seiner politischen Meinung herumsprechen. Ich finde, man sollte diese Gegner der Schutzmaßnahmen differenziert betrachten und zugleich die Gefährlichkeit der Unterwanderung und Instrumentalisierung dieser Gegner durch Nationalisten scharf im Auge behalten und denen unter den Gegnern, die mit Nationalismus nichts am Hut haben, auch klar machen, wer sie da vor den eigenen Karren spannt. Das – ich nenne es mal so – nationalistische, ethnozentrische und religionistische Gift ist schon sehr stark verbreitet in vielen Ländern der Erde und bringt selten was Gutes, sondern meistens Aggression, Feindschaft gegenüber Menschen anderer Herkunft und Verfolgung Andersdenkender. Manchen Demonstrant*innen mag das egal sein, denn sie demonstrieren nur für ihre eigene Freiheit und hätten vielleicht am liebsten eine Anarchie, in der es keine Gesetze und Vorschriften gibt. Die würden sich bei einem Sieg der Nationalisten wohl am meisten wundern, wen sie da unterstützt haben, aber dann wäre es zu spät. Ich denke, Freiheit und Verantwortung oder Rechte und Pflichten sind zwei Seiten einer Medaille. Und auch wenn man kritisch sein sollte, sollte man sich nicht für klüger als alle Experten der Welt halten. Dass auch Experten einander widersprechen verwundert doch nur den, der nicht weiß, wie Wissenschaft funktioniert. Da gibt es viele Irrtümer und Fehlversuche und es gibt auch Wissenschaftler*innen die auf ihren Irrtümern beharren, aber im Laufe des Diskurses setzt sich meistens ein gangbarer Weg voller Teilerkenntnisse durch, die nach und nach immer mehr von Fehlern befreit werden. Die Übertragung in die Politik und die öffentliche Meinung ist noch mal eine andere Sache und kann noch um einiges länger dauern. Und wenn die Politiker*innen Entscheidungen treffen, die andere Menschen nicht nachvollziehen können, gibt es Diskussionen. Das ist ganz normal. Dann müssen die Politiker*innen und die Wissenschaftler*innen erklären. Nur wenn man ihnen nicht mehr zuhört, kann man auch nichts lernen. Wenn man einander nur noch misstraut, kann keine vernünftige Diskussion und erst recht kein Dialog und keine Kooperation stattfinden.

Ich führte solche Gespräche also auch nur übers Internet. Ich weiß auch nicht, ob ich mich gerne mit jemandem physisch treffen würde, der jede Sicherheitsmaßnahme für Unsinn hält, keine Maske trägt, keinen Abstand hält und so weiter. Das macht den Dialog natürlich auch nochmal schwieriger.

 

Interreligiöser Online-Dialog

Ist der oben erwähnte Dialog mit einem Gegner der Schutzmaßnahmen auch leider ergebnislos zu Ende gegangen, wobei ein gegenseitiger Respekt, den wir uns erarbeitet haben, ja auch schon mal ein Ergebnis ist, so habe ich einige andere, jetzt wirklich interreligiöse Dialoge von zu Hause aus mitgemacht, die ich als sehr wohltuend empfand und weiterhin empfinde. Zum Beispiel haben wir unseren interreligiösen Gesprächskreis von Religions for Peace Bonn/Köln in eine Telefonkonferenz verwandelt. Man wählt die Nummer eines Anbieters, bei dem diese Konferenz angemeldet wurde, und der verbindet dann mehrere Teilnehmer miteinander, so dass sie miteinander reden können. So waren wir zwischen fünf und zehn Teilnehmer*innen und sprachen im wahrsten Sinne des Wortes über Gott und die Welt, so wie wir es in Vorcoronazeiten bei Lioba von Lovenberg zu Hause taten und irgendwann auch wieder tun wollen. Man muss sich natürlich an der Stimme erkennen, kann keine Gesichter und keine Gestik sehen. Aber so liefen die bisherigen Gespräche vielleicht sogar disziplinierter ab, weil jeder erstmal lauschte, ob jemand anders gerade was sagen wollte, bevor er*sie selbst das Wort ergriff. Und wir beschränkten die Zeit auf eine Stunde.

Mit Gesichtersehen liefen dagegen die Sohbets, türkisch für „Teegespräche“, des Verbandes Engagierte Zivilgesellschaft NRW (VEZ) ab, zu denen ich eines Tages eingeladen wurde. Denn für diese wurde das mit von meiner Uni-Arbeit bekannte Zoom-Programm verwendet. Zusätzlich zu den bis zu neun aktiven Teilnehmer*innen konnten noch viele weitere passiv über Youtube zusehen und zuhören. Und auf Youtube sind die Teegespräche auch gespeichert und nach wie vor abrufbar. Der VEZ ist ein muslimischer Verband, der zur Hizmet-Bewegung gehört, die wiederum von Fetullah Gülen inspiriert ist. Ich weiß nicht genau, was ich so im großen Ganzen von Fetullah Gülen halte, aber ich halte sehr viel von diesen dialogaktiven meist jungen Muslim*innen und auch den christlichen und jüdischen Gesprächsteilnehmer*innen der Teegespräche. Sie sind offen, modern, interessiert an allem, was mit Religion und Weltanschauung zu tun hat, und es waren bisher sehr tiefgehende, freundliche, respektvolle Gespräche wiederum über Gott und die Welt. Das von nun an gesehen nächste Thema wurde ich gebeten beizusteuern, und es wird am 17.9. der Dialog und Vergleich zwischen abrahamischen Religionen und Buddhismus sein. Auch die Teegespräche sind auf eine Stunde beschränkt. Das erwies sich als sehr gute Einschränkung, denn ansonsten könnte man ja stundenlang weiterreden.

Am 23.9. wollen wir auch vom IFN her mal ein solches Format versuchen und zu einem Zoom-Dialog, eventuell mit Youtube-Übertragung, und zwar zum Thema: Verantwortung für Vergangenheit und Zukunft in der Gegenwart wahrnehmen. Vom Zeugnisablegen in Auschwitz bis zur Inklusion geflüchteter Mitmenschen. Ich bin sehr gespannt, wie das funktionieren wird.

Außerdem haben ich als reiner Zuschauer auch Online-Webinaren von Religions for Peace International beigewohnt.

Über künftige Termine informiere ich Euch/Sie über die Interreligiösen Weiterleitungen oder IFN-E-Mails, oder schauen Sie/schaut auf der IFN-Website (https://ifn-bonnregion.jimdofree.com/), bezüglich der Tee-Gespräche auf der VEZ-Website (https://dialog-nrw.de/tee-gespraeche/) nach. Aufzeichnungen der Tee-Gespräche die man auf der letztgenannten Seite nicht findet, findet man hier: https://www.youtube.com/results?search_query=sohbet+teegespr%C3%A4ch

 

Ich beende diesen interreligiösen Rundbrief mit einem Zitat aus einem anderen Genre, das mir am Herzen liegt und durch Corona-Schutzmaßnahmen auch stark in Mitleidenschaft gezogen wurde, einem Zitat, das Euch*Sie – so es Ihnen*Euch nicht eh schon klar ist – vielleicht neugierig macht:

„Nichtsdestotrotz, das Sang und Klang Festival hat mir und wohl auch vielen anderen sehr deutlich gemacht, deutlicher vielleicht als sonst in den letzten Jahren, dass wir hier in diesem Land eine wunderbare, kreative, lustige, kritische Folk- und Liedermacherszene haben.“ [2]                     Mike Kamp

I
ch wünsche Euch/Ihnen allen Gesundheit, Frieden und ganz tiefes Glück!

Herzliche Grüße,
Ihr/Euer Michael A. Schmiedel
http://interreligioeser-rundbrief.blogspot.com/

PS: Leser*innenbriefe sind wie immer willkommen. Ggf. dazu schreiben, ob ich sie veröffentlichen darf und ob eine öffentliche oder private Rückmeldung meinerseits gewünscht ist.

(Diesen Rundbrief schrieb ich am 15.08. und 08./09.09.2020 zu Hause in Siegburg.)



[1] Thich Nhat Hanh. Buddha und Christus heute. Verbindende Elemente von Buddhismus und Christentum. München 1999 (Goldmann), S. 31.

[2] Mike Kamp. Das Onlinefestival Sang und Klang. „Nächstes Jahr will ich das hier live haben“. In: Folker. Song, folk, global. Nr. 5./6.2020. Online: https://www.folker.de/Artikel.php?ausgabe=202005&art=Artikel2 (aufgerufen am 8.9.2020).