Samstag, Januar 31, 2015

Interreligiöser Rundbrief Nr. 2015-01



Kim schüttelte traurig den Kopf: „Es tut mir leid, aber in diesem Punkt muss ich Dir widersprechen. Ich kenne die Menschen besser als du. Ein Frieden, der ihnen aufgezwungen wird, hält nicht lange. Du kannst einem Menschen nicht befehlen, seinen Nachbarn zu lieben. Freundschaft bekommt man geschenkt oder gar nicht.“
(Wolfgang und Heike Hohlbein. Märchenmonds Erben. Wien 1998 (Überreuter), S. 369)

Interreligiöser Rundbrief für Bonn und Umgebung 2015-01
(12.01./31.012015)




Liebe Leser*innen des interreligiösen Rundbriefes,

ich wünsche Ihnen und Euch allen ein frohes neues Jahr!
Leider ist es überschattet durch die Attentate in Paris und nach wie vor viele andere große und kleine Katastrophen.

Inhalt



Neulich im Zug:


Neulich im Zug hörte ich ein paar Sitzgruppen weiter zwei Männer sich unterhalten. Der eine zeigte sein Unverständnis über 1,4 Milliarden Menschen, die alle diesem Muhammad anhingen und dass die denn nicht wüssten, dass der ein Mörder und Kinderschänder gewesen sei. Ich schaltete mich ein und fragte: „Aber Sie wissen das alles ganz genau?“ Ja, meinte er, er habe ja den Koran gelesen. Es entspann sich eine Diskussion über Koraninterpretation, Islam im Allgemeinen, Islamismus im Besonderen, über das seiner Meinung nach geschichtlich überholte Alte Testament und das ebenfalls seiner Meinung nach gänzlich friedliche Neue Testament, zu dem er übrigens nur die vier Evangelien, nicht aber zum Beispiel die Briefe des Paulus zählte, desweitere über profillose Parteien und Zeitungen und die PEGIDA als Bewegung gegen die Bevormundung durch die Politiker, der es nur nebenbei um den Islamismus gehe. Der zweite Mann war um einiges differenzierter und gemäßigter als der erste, aber auch jener nahm meine Argumente auf und bedankte sich, als sie in Leutesdorf ausstiegen, für das aufschlussreiche Gespräch.

Natürlich sind wir alle erschrocken über das Attentat  beziehungsweise die Attentate in Paris, auf die Redaktion des Charly Hebdo und auf den jüdischen Supermarkt. Selbstverständlich solidarisieren wir friedliebenden und demokratischen Menschen und mit den Opfern und bekennen: „Je suis Charly!“, „Je suis Ahmed!“ (einer der beiden ermordeten Polizisten), „Je suis Yohan!“ (einer der vier ermordeten Kunden es jüdischen Supermarkts).

12 ermordete Menschen, eine symbolische Zahl? Man könnte sagen, die 12 sei vollständig und genug. Jetzt reicht es! Nein, es ist eine zufällige Zahl und es ist ja auch nur eine ganz kleine Zahl verglichen mit denen, die in den letzten Monaten in Nigeria, in Syrien, im Irak und anderswo von Menschen, die sich selbst als Muslime bezeichnen, ermordet wurden. Dass man für diese 12 so große Trauer- und Solidaritätskundgebungen veranstaltet liegt sicher an der Nähe, geographisch wie kulturell, so dass ich schon geneigt bin, hier eine eurozentrische Solidarität wahrzunehmen. Auf der anderen Seite ist es aber auch dadurch zu erklären, dass eine Redaktion eines Satiremagazins Ziel des Anschlags war, und damit die Rede-, Meinungs- und Pressefreiheit, ein Grundpfeiler unserer demokratischen Gesellschaft. Ein anderer Grund für die Solidarität ist sicher Angst, selber das nächste Opfer sein zu können. Letzte Woche noch im Kölner Hauptbahnhof hörte ich die Durchsage: „Der Eigentümer der schwarzen Aktentasche in der B-Passage zwischen den Gleisen 3 und 4 möge bitte sofort zu seinem Gepäckstück kommen!“
 
Und es kommt, was kommen muss: Muslime generell werden, wie von meinem Gesprächspartner im Zug, unter Verdacht gestellt, einer Ideologie anzuhängen, die derartige Attentate hervorbringt. Die Front Nationale in Frankreich, PEGIDA und ihre Ableger in Deutschland und andere Parteien und Bewegungen in Europa meinen den Alleinverantwortlichen und damit Feind ausgemacht zu haben. Umgekehrt formieren sich Gegendemonstrationen, die alle so aufgebracht den Islam beschuldigenden Wutbürger als Nazis und Faschisten bezeichnen. Und wer freut sich am meisten darüber? Die Islamisten, die wohl genau das bezwecken: Antimuslimische Heimatverteidiger beschimpfen Muslime, die mit dem Terrorismus so wenig zu tun haben wie der Durchschnittssdeutsche mir den NSU-Morden. Nach Orientierung suchende jugendliche Muslime fühlen sich von den Nichtmuslimen angefeindet und ausgegrenzt und fallen auf die Werbungen der Salafisten und anderer islamistischer Gruppen herein, bei ihnen gehe es ihnen besser, sie würden Freundschaft und Ehre bekommen und als letzte Belohnung das Paradies.  Europäischer Patriotismus, wie seine Anhänger es nennen, spielt somit den Islamisten in die Hände. Das was sie abwehren wollen, machen sie nur stark. Und umgekehrt genauso: Die Islamisten stärken die Europäische Rechte. Und was bleibt auf der Strecke: Die Religion als Orientierungs- und Sinnstiftungshilfe für friedliche Menschen und die Demokratie gleichermaßen.

Frieden ist eine ganz zarte Pflanze, die sehr anfällig. Wichtig ist es, auf die Sprache zu achten, die man verwendet, beim Dialog und auch bei der Kritik. Bei jedem uneingeschränkten Ja zur Rede-, Meinungs- und Pressefreiheit und ohne die Attentate in irgendeiner Form rechtfertigen zu wollen, bin ich doch auch der Meinung, dass auch Satiriker nicht das beleidigen sollten, was anderen Menschen heilig ist. Es gibt viele Wege, die Obrigkeit, die Instrumentalisierung von Religion und den Fanatismus auf die Schippe zu nehmen. Die Linie zwischen dem, was man Menschen zumuten darf und was nicht, ist nicht klar erkennbar, sondern einzelfallabhängig. Dass es aber für religiöse Menschen sehr schmerzlich ist, den Gründer der eigenen Religion so abgebildet zu sehen, wie das bei einigen Zeichnungen vom Charly Hebdo der Fall ist, liegt auf der Hand. Ich nehme an, dass die einfachen Gläubigen nicht zur Zielgruppe der Häme gehören, sondern die Islamisten. Die könnte man aber sicher auch anders treffen, ohne solche emotionalen Kollateralschäden. Die Attentate aber verübten nicht die normalen Gläubigen, sondern aus welchen Gründen auch immer irregeleitere Terroristen, wobei diese Gründe aufzuklären auch sinnvoll wäre. Ich plädiere hier nicht für Selbstzensur aus Angst vor Terror, sondern für Rücksicht auf die oder Respekt vor den Gefühlen normaler Menschen.

Von Gefühlen geleitet sind auch die Menschen, die sich den so genannten Spaziergängen der PEGIDA und ihrer Tochterbewegungen anschließen, von Gefühlen der Überfremdung, der Bevormundung, des Nicht-ernst-genommen-werdens und so weiter. Sicher meinen einige auch zu wissen, wer denn schuld ist an ihrer Unzufriedenheit, die Muslime, die Asylanten, die Rumänen und Bulgaren, die Journalisten, die Politiker, eben alle die, die ihnen ein Gefühl der Unsicherheit und Gefahr vermitteln, der Gefahr für ihr Heimatgefühl, für ihre gewohnte Lebensweise, für die Sicherheit ihrer Häuser, für ihre Arbeitsplätze, für ihre  Geld und so weiter. Diese Gemengelage nutzen, so schätze ich das ein, schlaue Agitatoren und Organisatoren aus, die Menschen auf die Straße zu rufen. Sie formulieren auch Programmpunkte, die sich zum Teil auch für mich ganz gut lesen, wie zum Beispiel: „3. PEGIDA ist FÜR dezentrale Unterbringung der Kriegsflüchtlinge und Verfolgten, anstatt in teilweise menschenunwürdigen Heimen!“ Leider widerspricht Punkt 11 diesem Punkt 3: „11. PEGIDA ist FÜR eine Zuwanderung nach dem Vorbild der Schweiz, Australiens, Kanadas oder Südafrikas!“ Oder sind da Spitzfindigkeiten versteckt, wie eine Unterscheidung des Umgangs mit Asylbewerbern und mit Einwanderern? So wie meiner Kenntnis nach Australien mit Asylbewerbern umgeht, das kann man nicht als „menschenwürdig“ bezeichnen. Aber wie auch immer, so argumentieren PEGIDA-Befürworter mit diesen Programmpunkten und da ist es auch angemessen, darüber zu diskutieren, statt sie einfach nur nieder zu pfeifen und pauschal als „Nazis“ zu beschimpfen. Es sind sicher auch Nazis darunter, so wie unter den Muslimen auch Islamisten sind, aber wir wollen doch keine Verallgemeinerung und keinen Generalverdacht. Ich werde indes auch das Gefühl nicht los, dass die Organisatoren von PEGIDA ihr Fußvolk an der Nase herumführt, so wie die Islamisten die Muslime.

Ich plädiere also dafür, miteinander zu reden, statt einander auszupfeifen. Mein Gespräch im Zug zeigt doch, dass das geht. Und ich plädiere dafür, keine Feindbilder zu hegen. Die gehen letztlich nach hinten los. Man kann hart diskutieren, sollte dabei aber immer eine gemeinsame Lösung im Auge behalten und den Diskussionsgegner nicht beleidigen und erniedrigen.

Für eine echte gemeinsame Lösung muss auf diesem Planeten aber noch vieles geschehen: eine gerechte Wirtschaftsordnung, gemeinsame Verantwortung für die Biosphäre, also auch das Klima, Solidarität auch mit Menschen, die vor Armut und Folgen des Klimawandels fliehen. Die Heimat, die wir alle gemeinsam verteidigen müssen, ist ein kleiner blauer Punkt in einem riesigen schwarzen Raum und heißt Erde.
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Ein paar Gedanken zum interreligiösen Rundbrief:


Diesen Text habe ich am 12. Januar geschrieben, als ich gerade ein halbes Jahrhundert Erdenleben hinter mit hatte. Ich hatte ihn in drei Verteilern schon rundgeschickt und zur Diskussion gestellt. Vielen gefiel er sehr gut, einigen zeigte er zu viel Verständnis für die PEGIDA, anderen für die Muslime oder gar Islamisten.  Ja, der mittlere Weg ist nicht einfach zu gehen!

Weiter unten finden Sie einige Links zu Zeitungsartikeln, Videos und Liedern, die mir im Zuge der Diskussionen zugeschickt wurden. Da können Sie drin stöbern, lesen, gucken, hören.
Ich möchte aber nun noch ein paar Worte über den Interreligiösen Rundbrief und seine Rolle im interreligiösen Leben unserer Region rund um Bonn verlieren: Ich komme immer seltener dazu, ihn zu verfassen. Auch zu MIGRApolis komme ich zur Zeit sehr selten. Mein Arbeitsschwerpunkt liegt momentan an der Uni Bielefeld, wo ich vor allem künftigen evangelischen Religionslehrer*innen religionswissenschaftliches Wissen vermittele und ihren Perspektivenhorizont zu erweitern trachte. Das macht mir Freude und erfüllt mich sehr. Dann gibt es hier und da andere Arbeiten, so dass einfach die Schwerpunkte anders liegen als noch vor wenigen Jahren.

So verschicke ich interreligiöse Termine auch lieber kurzfristig, wie sie rein kommen, in einem kleineren Verteiler einfach als Weiterleitung der E-Mails. Termine sind somit kein Schwerpunkt mehr des interrel. Rundbriefes. Wer von anstehenden Veranstaltungen erfahren will, lasse sich in den anderen Verteiler eintragen.

Interreligiöse Veranstaltungen gibt es nach wie vor viele, wenn nicht sogar in steigender Anzahl. 2014 wurde eine neue interreligiöse Gruppe gegründet, und zwar die Bonner Ortsgruppe bzw. der Cooperation Circle der United Religions Initiative (vgl. http://www.uri-deutschland.de/). Ich hatte beim Gründungsfest im Dezember einen Vortrag über „Winterzeit, Weihnachtszeit, Wendezeit“ gehalten. Interreligiöse Gruppen kann es nicht zu viele geben. Jede spricht eine etwas andere Zielgruppe an, so mancher ist aber auch in mehreren Gruppen aktiv. Mit schwebt ja immer noch eine intensivere Vernetzung der interreligiösen Organisationen in Bonn und Umgebung in all ihrer Verschiedenheit und Eigenständigkeit vor. Der Arbeitskreis Muslime und Christen im Bonner Norden und der Interreligiöse Dialogkreis Bad Godesberg sind nach wie vor hauptsächlich christlich-islamisch orientiert und laden immer wieder zu Veranstaltungen ein. Die Bahá’í-Gemeinde Bonn und die Deutsche Muslim Liga Bonn pflegen einen vorbildlichen bilateralen bahá’í-islamischen Dialog. Im vom Bonner Institut für Migrationsforschung und Interkulturelles Lernen (BIM; das 2015 sein 20-jähriges Bestehen feiert) und der Evangelischen Migrations- und Flüchtlingsarbeit (EMFA) betriebenen MIGRApolis-Haus der Vielfalt finden jede Menge interreligiöser und interkultureller Veranstaltungen statt. Die Integrationsstabsstelle Bonn und der Rat der Religionen in Bonn arbeiten an einem Faltblatt über die Religionen in Bonn, bei dem ich ein wenig mithelfe. Die Interreligiöse Initiative Schweigen für Frieden und Gerechtigkeit trifft sich nach wie vor monatlich zum Schweigen auf dem Münsterplatz. Und die Religions for Peace-Gruppe Bonn/Köln, die 2014 ihrer 25-jähriges Jubiläum mit einer Festveranstaltung feierte, und der ich vorstehe, lädt etwa jeden zweiten Monat zum interreligiösen Gesprächskreis ein. Einige der genannten Gruppen organisierten auch in der diesjährigen ersten Februarwoche Veranstaltungen im Rahmen der von den UN ausgerufenen Woche der interreligiösen Harmonie. Außerdem gibt es in Bonn noch das Philosophisch-psychologische Kaffeehausgespräch und  in Siegburg die Philosophie im Pumpwerk, wo immer wieder wichtige Themen des Menschseins besprochen und diskutiert werden, nicht interreligiös im engeren Sinne, im Weiteren aber sehr wohl. Und das war noch längst nicht alles, aber alles habe ich auch nicht im Blick.

Also nochmal: Möchten Sie über anstehende Veranstaltungen, die mir für den interrel. Rundbrief oft viel zu kurzfristig zugeschickt werden, informiert werden, lassen Sie sich in meinen anderen, kleineren Verteiler, eintragen. Der interrel. Rundbrief soll in unregelmäßigen Abständen zu grundsätzlicheren Themen Stellung beziehen.

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Linksammlung:


Hier nun ein paar Links zu Terrorismus, Satire, PEGIDA, Islamismus usw. die mir zugeschickt wurden. Ich habe sie nur grob nach den Personen sortiert, von denen ich sie habe, ansonsten nicht mir Erklärungen und Kommentaren versehen:
Zugeschickt von David Clement, Jugendamt der Stadt Bonn:


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Zugeschickt von Gerd Schinkel, Journalist und Musiker in Köln:
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Zugeschickt von Martin Sagel, Autor des Buches „Alles Eins“ in Kerpen:

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Zugeschickt von Ahmad Mansour, Psychologe und Autor in Berlin:

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Zugeschickt von Christoph Wagenseil, Religionswissenschaftler in Marburg bei REMID:

Leseempfehlungen zu den Anschlägen in Paris

Hintergründe:
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Zugeschickt von Benedikt Erb, Religionswissenschaftler in Leipzig:
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Zugeschickt von Christoph Kleine, Prof. für Religionswissenschaft in Leipzig
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Zugeschickt von Jochen Ring, Lehrer in Linz:
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Zugeschickt von Manfred Pohlmann, Musiker in Neuwied:
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Ausklang:


Das Zitat oben über den Rundbrief stammt aus einem Fantasyroman, aus der Märchenmond-Reihe der Autorenpaares Wolfang und Heike Hohlbein, die ich sehr gerne als Lektüre empfehle;
http://www.hohlbein.net

Auf eine kommende Sache möchte ich doch noch hinweisen, die Marianne Horling, Leiterin des URI CC Bonn, mir zuschickte. Sie schreibt:

„Unser URI CC in Österreich hat eine sehr schöne Idee zur World Interfaith Harmony Week: Das Aufstellen eines Lichtes am Fenster am 7. Februar, um die Verbundenheit der Menschen zu zeigen, welchem Glauben sie auch angehören. Das könnte eine kleine Geste mit großer Wirkung werden. Ja - wir sollten dies evtl. zur Tradition werden lassen und in jedem Jahr dieses Zeichen setzen.
Ich würde mich sehr freuen, wenn Du diese Mail über Deinen großen Verteiler weitergeben könntest.“

Das habe ich hiermit getan und lade ein, es so zu tun.

Ich wünsche Ihnen und Euch allen nicht nur eine Woche, sondern ein Leben der interreligiösen Harmonie!

Herzliche Grüße,
Ihr/Euer Dr. Michael A. Schmiedel

Interreligiöser Rundbrief für Bonn und Umgebung
http://interreligioeser-rundbrief.blogspot.de/
Religions für Peace Bonn/Köln
www.religionsforpeace.de