Mittwoch, September 09, 2020

Interreligiöser Rundbrief ... Nr. 2020-3 (09.09.2020)

 

Interreligiöser Rundbrief für Bonn und Umgebung Nr. 2020-3
(09.09.2020)

 

„Wenn die Beteiligten bereit sind, voneinander zu lernen, entsteht der Dialog schon durch ihr bloßes Zusammensein.“[1]                                                      Thich Nhat Hanh

 

Liebe Leser*innen,

seit dem letzten Interreligiösen Rundbrief sind fünf oder schon fast sechs Monate vergangen. Es war ein eigenartiger Frühling und Sommer unter Corona-Bedingungen. Ich möchte ein wenig erzählen, wie es mir dabei ergangen ist, wobei ich ein paar Punkte herausgreife, die thematisch zum interreligiösen Rundbrief passen. Auch das Zitat oben von Thich Nhat Hanh passt, denn es fanden einige Dialoge in den letzten Monaten statt, an denen ich teilnehmen durfte. Das Zitat ist indes aus dem Zusammenhang gerissen, denn es ist im Buch selbst eingebettet in Aussagen über die authentische Repräsentation der je eigenen Tradition, was ich jetzt aber mal unthematisiert lasse. Aber ich stelle die Frage, ob man denn zusammen sein kann, wenn man sich nur übers Internet austauscht. Sind Ferndialoge möglich und sinnvoll? Ich fange mal mit meiner hauptberuflichen Arbeit an:


Online-Semester

Für mich fünf arbeitsreiche Monate, da ich ein sogenanntes Online-Semester durchführte. Um Ansteckungen mit Corona oder Covid-19 zu verhindern, wurden, soweit irgend möglich, alle Lehrveranstaltungen über das Internet gehalten. Das ergab für alle Lehrenden große Unsicherheiten und Herausforderungen, denn fast keiner wusste, wie das geht. In meiner Uni, Bielefeld, wurden uns einige Techniken zur Verfügung gestellt, Fortbildungen dazu angeboten, und dann hieß es ausprobieren, experimentieren und schauen, was wie am besten funktioniert. Ich habe es letztlich so gemacht, dass ich meinen Studierenden 1) wie immer die Powerpoint-Präsentationen auf einer ihnen zugänglichen Seite der Uni, dem eKVV (elektronischen Kommentierten Vorlesungsverzeichnis) und darin in einem „Lernraum“ zur Verfügung stellte, b) über das Programm Zoom Online-Unterricht abhielt, also synchronen Unterricht, dem jede*r von zu Hause aus beiwohnte und c) auch noch Lehrvideos anfertigte, damit die Studierenden auch asynchron sich den Unterricht anschauen konnten, wann immer sie wollten. So hoffe ich, alle erreicht zu haben, die erreicht werden wollten.  

Nicht alle hatten die technische Möglichkeit, den Zoom-Sitzungen beizuwohnen, aber die Videos konnten alle sehen. Manche wollten auch nicht live dabei sein, was in normalen Semestern aber auch der Fall ist. Letztlich gab es dann aber eine Klausur in der Uni, und zwar in einer Sporthalle, wo alle mit ausreichendem Abstand voneinander sitzen konnten. Das war schon ein bisschen stressig. Aber es hat sich niemand dabei infiziert, obwohl der Kreis Gütersloh direkt nebenan liegt. Eine Klausur haben wir auch noch vor uns, denn ich wollte den Run auf die wenigen genügend großen Räume entzerren. Den Studierenden war es recht.

Obwohl ich so nicht wöchentlich nach Bielefeld fahren musste, sparte ich keine Zeit, sondern die floss in die Videos usw. Unser Rektor lobte alle Mitarbeiter*innen dafür, dass niemand Überstunden angerechnet hat. Wir sind halt alle Überzeugungstäter*innen.  

Der direkte Austausch oder Dialog mit den Studierenden war indes nicht so gegeben, wie man ihn vor Ort beim Zusammensein in demselben Raum praktizieren kann. Der Dialog wurde oft noch mehr zum Monolog als er es im Präsenzunterricht auch schon streckenweise ist. Aber man muss eben Prioritäten setzen, und diese liegen nun mal bei der Sicherheit für Lehrende und Studierende und alle Mitmenschen, die man unterwegs sonst so zu treffen pflegt.  

 

Religions for Peace – Maskenverteilaktion


Derweil kamen im Frühling einige Tausend Mund-und-Nasen-Schutzmasken als Geschenk von Religions for Peace China an Religions for Peace Deutschland, die von Religions for Peace Rhein/Main am Frankfurter Flughafen abgeholt und dann in 1500er-Paketen an die 13 deutschen RfP-Ortsgruppen verschickt wurden. So holte auch ich eines Tages zwei Pakete von der Siegburger Post ab und gab sie in Siegburg und Bonn im Rahmen des Interreligiösen Friedensnetzwerks Bonn und Region weiter, und zwar in Siegburg an den Die Welt ist bunt e.V., der wiederum damit aus Syrien geflohene Familien in Siegburg versorgte, in Bonn an das Zentrallager Sachspenden Bonn, die Evangelische Migrations- und Flüchtlingsarbeit, das Bonner Institut für Migrationsforschung und Interkulturelles Lernen, die Römisch-Katholische Kirche, die Bahá’í-Gemeinde und die Zen-Peacemaker weiter, die wiederum damit Geflüchtete, Obdachlose und Ratsuchende damit versorgten. Wie sagt man so schön: Die gingen weg wie warme Semmeln. Und wie warme Semmeln schnell gegessen sind, so sind diese Einwegmasken inzwischen sicher längst alle verbraucht und entsorgt. Aber im Mai/Juni war der Handel noch nicht so weit, sie massenweise anzubieten. Und zudem, musste ja niemand etwas für dieses Geschenk aus China zahlen.

Ich war ja anfangs auch etwas skeptisch, warum denn grade aus China so eine Spende kommen sollte, aber der RfP Deutschland-Vorsitzende Franz Brendle kennt die Kolleg*innen in China und zerstreute alle Verdächtigungen, die Regierung der VR China könnte damit was zu tun haben.  So also ein herzliches Xie xie nach China!












Hier ein paar Fotos der Masken-Aktion:

Abholung bei der Post in Siegburg; Foto: Petra Schenk-Schmiedel
(2020.05.18Mo MAS SD M438-1515 DSC02384)

Übergabe der Masken in Siegburg; Foto: Michael A. Schmiedel (mit Selbstauslöser) (2020.05.29Fr MAS CF M65-3488 IMG_8695)

Übergabe der Masken in Bonn; Foto: Michael A. Schmiedel (mit Selbstauslöser)
(2020.06.12Fr MAS CF M65-4740 IMG_9957)


Da kamen wir also physisch zusammen. Ein Dialog wurde dabei aber auch nicht praktiziert, sondern es war „nur“ praktische Hilfe. Aber immerhin ermöglichten die Masken dann, dass Menschen im selben Raum miteinander sein konnten, etwa bei Sozialberatungsgesprächen oder Arztbesuchen. Die Ansteckungsgefahr wurde durch die Masken nicht verunmöglicht, aber reduziert. Sozusagen war die Maskenverteilung eine Hilfestellung für die Möglichkeit von Dialogen.

 

Diskussionen rund um Corona

Auch derweil entwickelten sich ausgiebige Diskussionen darüber, ob es denn überhaupt eine Pandemie gebe oder ob das nicht nur eine Ansammlung von wem auch immer gesteuerte Falschmeldungen sei. Oder wenn das Virus tatsächlich existent und gefährlich sei, ob es denn wirklich so gefährlich sei, dass derartige Schutzmaßnahmen von der Maske bis zur Quarantäne und dem Runterfahren ganzer Wirtschaftsbereiche gerechtfertigt seien. Skeptiker sammelten fleißig Widersprüche und Falschmeldungen in den Medien, hörten aufmerksam den einander widersprechenden Expert*innen zu und zogen daraus teils differenzierte, teils pauschale Schlüsse. Schimpfwörter zwischen denen, die die Schutzmaßnahmen befürworteten und denen, die sie ablehnten, blieben nicht aus. Ich schreibe im Präteritum, aber es geht ja immer weiter. So werden auch die Berichte über die Demonstrationen in Berlin sehr verschieden interpretiert. Für die einen demonstrierte da „das Volk“, das die Mehrheit des Volkes repräsentierte, für die anderen demonstrierte da eine kleine, aber laute Gruppe von Fanatikern, die entweder politisch recht gewesen seien oder sich zumindest von den politisch Rechten, also den Nationalisten, nicht gebührend distanzierten. Ich hatte im Internet einen einigermaßen funktionierenden Dialog mit einem Vertreter der Gegner der Schutzmaßnahmen, mit dem ich einen recht sachlichen Austausch pflegen konnte. Nur leider blieb er mir gegenüber anonym mit einem Nicknamen, was mir für einen echten Dialog dann doch unangemessen erschien, so dass ich es wieder sein ließ. Nun, er hatte Angst um seinen Arbeitsplatz, sollte sich seine Identität verbunden mit seiner politischen Meinung herumsprechen. Ich finde, man sollte diese Gegner der Schutzmaßnahmen differenziert betrachten und zugleich die Gefährlichkeit der Unterwanderung und Instrumentalisierung dieser Gegner durch Nationalisten scharf im Auge behalten und denen unter den Gegnern, die mit Nationalismus nichts am Hut haben, auch klar machen, wer sie da vor den eigenen Karren spannt. Das – ich nenne es mal so – nationalistische, ethnozentrische und religionistische Gift ist schon sehr stark verbreitet in vielen Ländern der Erde und bringt selten was Gutes, sondern meistens Aggression, Feindschaft gegenüber Menschen anderer Herkunft und Verfolgung Andersdenkender. Manchen Demonstrant*innen mag das egal sein, denn sie demonstrieren nur für ihre eigene Freiheit und hätten vielleicht am liebsten eine Anarchie, in der es keine Gesetze und Vorschriften gibt. Die würden sich bei einem Sieg der Nationalisten wohl am meisten wundern, wen sie da unterstützt haben, aber dann wäre es zu spät. Ich denke, Freiheit und Verantwortung oder Rechte und Pflichten sind zwei Seiten einer Medaille. Und auch wenn man kritisch sein sollte, sollte man sich nicht für klüger als alle Experten der Welt halten. Dass auch Experten einander widersprechen verwundert doch nur den, der nicht weiß, wie Wissenschaft funktioniert. Da gibt es viele Irrtümer und Fehlversuche und es gibt auch Wissenschaftler*innen die auf ihren Irrtümern beharren, aber im Laufe des Diskurses setzt sich meistens ein gangbarer Weg voller Teilerkenntnisse durch, die nach und nach immer mehr von Fehlern befreit werden. Die Übertragung in die Politik und die öffentliche Meinung ist noch mal eine andere Sache und kann noch um einiges länger dauern. Und wenn die Politiker*innen Entscheidungen treffen, die andere Menschen nicht nachvollziehen können, gibt es Diskussionen. Das ist ganz normal. Dann müssen die Politiker*innen und die Wissenschaftler*innen erklären. Nur wenn man ihnen nicht mehr zuhört, kann man auch nichts lernen. Wenn man einander nur noch misstraut, kann keine vernünftige Diskussion und erst recht kein Dialog und keine Kooperation stattfinden.

Ich führte solche Gespräche also auch nur übers Internet. Ich weiß auch nicht, ob ich mich gerne mit jemandem physisch treffen würde, der jede Sicherheitsmaßnahme für Unsinn hält, keine Maske trägt, keinen Abstand hält und so weiter. Das macht den Dialog natürlich auch nochmal schwieriger.

 

Interreligiöser Online-Dialog

Ist der oben erwähnte Dialog mit einem Gegner der Schutzmaßnahmen auch leider ergebnislos zu Ende gegangen, wobei ein gegenseitiger Respekt, den wir uns erarbeitet haben, ja auch schon mal ein Ergebnis ist, so habe ich einige andere, jetzt wirklich interreligiöse Dialoge von zu Hause aus mitgemacht, die ich als sehr wohltuend empfand und weiterhin empfinde. Zum Beispiel haben wir unseren interreligiösen Gesprächskreis von Religions for Peace Bonn/Köln in eine Telefonkonferenz verwandelt. Man wählt die Nummer eines Anbieters, bei dem diese Konferenz angemeldet wurde, und der verbindet dann mehrere Teilnehmer miteinander, so dass sie miteinander reden können. So waren wir zwischen fünf und zehn Teilnehmer*innen und sprachen im wahrsten Sinne des Wortes über Gott und die Welt, so wie wir es in Vorcoronazeiten bei Lioba von Lovenberg zu Hause taten und irgendwann auch wieder tun wollen. Man muss sich natürlich an der Stimme erkennen, kann keine Gesichter und keine Gestik sehen. Aber so liefen die bisherigen Gespräche vielleicht sogar disziplinierter ab, weil jeder erstmal lauschte, ob jemand anders gerade was sagen wollte, bevor er*sie selbst das Wort ergriff. Und wir beschränkten die Zeit auf eine Stunde.

Mit Gesichtersehen liefen dagegen die Sohbets, türkisch für „Teegespräche“, des Verbandes Engagierte Zivilgesellschaft NRW (VEZ) ab, zu denen ich eines Tages eingeladen wurde. Denn für diese wurde das mit von meiner Uni-Arbeit bekannte Zoom-Programm verwendet. Zusätzlich zu den bis zu neun aktiven Teilnehmer*innen konnten noch viele weitere passiv über Youtube zusehen und zuhören. Und auf Youtube sind die Teegespräche auch gespeichert und nach wie vor abrufbar. Der VEZ ist ein muslimischer Verband, der zur Hizmet-Bewegung gehört, die wiederum von Fetullah Gülen inspiriert ist. Ich weiß nicht genau, was ich so im großen Ganzen von Fetullah Gülen halte, aber ich halte sehr viel von diesen dialogaktiven meist jungen Muslim*innen und auch den christlichen und jüdischen Gesprächsteilnehmer*innen der Teegespräche. Sie sind offen, modern, interessiert an allem, was mit Religion und Weltanschauung zu tun hat, und es waren bisher sehr tiefgehende, freundliche, respektvolle Gespräche wiederum über Gott und die Welt. Das von nun an gesehen nächste Thema wurde ich gebeten beizusteuern, und es wird am 17.9. der Dialog und Vergleich zwischen abrahamischen Religionen und Buddhismus sein. Auch die Teegespräche sind auf eine Stunde beschränkt. Das erwies sich als sehr gute Einschränkung, denn ansonsten könnte man ja stundenlang weiterreden.

Am 23.9. wollen wir auch vom IFN her mal ein solches Format versuchen und zu einem Zoom-Dialog, eventuell mit Youtube-Übertragung, und zwar zum Thema: Verantwortung für Vergangenheit und Zukunft in der Gegenwart wahrnehmen. Vom Zeugnisablegen in Auschwitz bis zur Inklusion geflüchteter Mitmenschen. Ich bin sehr gespannt, wie das funktionieren wird.

Außerdem haben ich als reiner Zuschauer auch Online-Webinaren von Religions for Peace International beigewohnt.

Über künftige Termine informiere ich Euch/Sie über die Interreligiösen Weiterleitungen oder IFN-E-Mails, oder schauen Sie/schaut auf der IFN-Website (https://ifn-bonnregion.jimdofree.com/), bezüglich der Tee-Gespräche auf der VEZ-Website (https://dialog-nrw.de/tee-gespraeche/) nach. Aufzeichnungen der Tee-Gespräche die man auf der letztgenannten Seite nicht findet, findet man hier: https://www.youtube.com/results?search_query=sohbet+teegespr%C3%A4ch

 

Ich beende diesen interreligiösen Rundbrief mit einem Zitat aus einem anderen Genre, das mir am Herzen liegt und durch Corona-Schutzmaßnahmen auch stark in Mitleidenschaft gezogen wurde, einem Zitat, das Euch*Sie – so es Ihnen*Euch nicht eh schon klar ist – vielleicht neugierig macht:

„Nichtsdestotrotz, das Sang und Klang Festival hat mir und wohl auch vielen anderen sehr deutlich gemacht, deutlicher vielleicht als sonst in den letzten Jahren, dass wir hier in diesem Land eine wunderbare, kreative, lustige, kritische Folk- und Liedermacherszene haben.“ [2]                     Mike Kamp

I
ch wünsche Euch/Ihnen allen Gesundheit, Frieden und ganz tiefes Glück!

Herzliche Grüße,
Ihr/Euer Michael A. Schmiedel
http://interreligioeser-rundbrief.blogspot.com/

PS: Leser*innenbriefe sind wie immer willkommen. Ggf. dazu schreiben, ob ich sie veröffentlichen darf und ob eine öffentliche oder private Rückmeldung meinerseits gewünscht ist.

(Diesen Rundbrief schrieb ich am 15.08. und 08./09.09.2020 zu Hause in Siegburg.)



[1] Thich Nhat Hanh. Buddha und Christus heute. Verbindende Elemente von Buddhismus und Christentum. München 1999 (Goldmann), S. 31.

[2] Mike Kamp. Das Onlinefestival Sang und Klang. „Nächstes Jahr will ich das hier live haben“. In: Folker. Song, folk, global. Nr. 5./6.2020. Online: https://www.folker.de/Artikel.php?ausgabe=202005&art=Artikel2 (aufgerufen am 8.9.2020).