Dienstag, April 11, 2006

Interreligiöser Rundbrief Nr. 120

„Wer trommelt, ist kein Futter für Fundamentalisten.“ Hakim Ludin


Interreligiöser Rundbrief für Köln / Bonn und Umgebung Nr. 120
(11.04.2006)




I. Editorial 2
II. Veranstaltungshinweise. 2
II. 1. Veranstaltungen unter Beteiligung von Religions for Peace/WCRP Köln/Bonn. 3
II. 1. a. Schweigen für Frieden und Gerechtigkeit am 4.5. und am 1.6.2006. 3
II. 1. b. Interreligiöser Gesprächskreis in Bonn am 1.6.2006. 3
II.2. Godesberger Friedengebet jeden ersten Mittwoch im Monat 4
II.3. Podiumsdiskussion „Toleranz in den Religionen“ am 12.4.2006. 4
II.4. Vortrag über die Situation im Iran am 26.4.2006. 5
II.5. 46. Öffentliches Vortragswochenende der Deutsch-Tibetischen Gesellschaft am 29.4.2006. 5
II.6. Studientag zur Friedenthematik am 17.6.2006 in Bonn. 9
III. ZERG ist online. 9
IV. Zum Thema Karrikaturenstreit 10
IV.1. Chronologie Mohammed-Karikaturen. 10
IV.2. *Der Karikaturenstreit und die Affäre Rushdie*. 11
V. Zum Thema Religionswechsel 18
V.1. Religionswechsel umstritten. 18
V.2. Deutsche Muslime gegen Todesstrafe in Kabul 19
VI. Berichte und Kommentare. 20
VI.1. „Islamisches Denken im Wandel und die Europäische Aufklärung“. Tagung des Annemarie Schimmel-Forums für Interreligiöse und Interkulturelle Verständigung e.V. am 21./22.1.2006 im Haus der Evangelischen Kirche in Bonn 20
VI.2. ZERG-Workshop „Fundamentalismus in den Religionen“ im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland am 27.1.2006. 24
VI.4. Dialog ohne Vorbehalte? Chancen und Grenzen des Interreligiösen Dialoges in der Diskussion um gemeinsame Werte. 27
VI.5. Kommentar zur Ausstellung „Eine Frage des Glaubens. Religiöse Vielfalt in Köln“ im Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln. 27
VI.6. Kommentar zur Ausstellung „Urban Islam. Zwischen Handy und Koran.“ im Museum der Kulturen in Basel. 28
VII. Forum.. 28
VII.1. Leserbrief von Barbara Mohr 28
VIII. Buch- und Filmrezensionen. 29
VIII.1. Britta Kanacher. Chance Islam?!. Anregungen zum Überdenken. 29
VIII.2. What the bleep do we (k)now!? – Ich weiß, dass ich nichts weiß! Und: Das kleine Buch der „Bleeps“. 30
IX. Literaturtipps. 31
IX.1. Karlo Mayer (Hrsg.). Lea fragt Kazim nach Gott 31
IX.2. Ina Wunn. Muslimische Patienten. Chancen und Grenzen religionspezifischer Pflege. 31
IX.3. Lydia Thalmayer. Abraham und das Vermächtnis seiner Frauen. 32
X. off-topic: Musikrezensionen. 32
X.1. Konzertrezension: Irish Spring – Festival of Irish Folk Music am 15.3.2006 in der Kunst- und Ausstellungshalle in Bonn. 33
X.2. Konzertrezension: Iontach am 17.3.2006 im Feuerschlösschen in Bad Honnef 34
X.3. Konzertrezension: Lokal Heroes am 17.3.2006 im Bungertshof in Königswinter-Oberdollendorf 35
X.4. Konzertrezension: Soul United am 18.3.2006 im Session in Bonn. 36
X.5. Konzertrezension: Die Erkelteten und Keen on Tunes am 28.3.2006 in der Musikschule Kirschallee in Bonn 38
X.6. Konzertrezension: Le Clou am 31.3.2006 in der Harmonie Bonn-Endenich. 39
X.7. Konzertrezension: Irish Stew am 1.4.2006 in der Harmonie in Bonn-Endenich. 41
X.8. Konzertrezension: Mirta & The Goalgetters am 7.4.2006 im Bungertshof in Königswinter-Oberdollendorf 42
X.9. CD-Rezension: Carol Knauber’s String Attack. the journey. 43
XI. Und noch’n Gedicht: Look to this day. 44

I. Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,


Bonns schnellster Pfarrer kommt beim Training für den Marathon auf die besten Ideen. Es handelt sich um Jens Anders, Pfarrer der evangelischen Gemeinde in Oberkassel, thematisiert wird seine sportliche Spiritualität in der römisch-katholischen Zeitung “Menschen, Münster, Mittendrin” vom April 2006 und zwar als Hauptschlagzeile des Titelblattes. Noch vor wenigen Jahrzehnten wäre eine solche ökumenische Tat undenkbar gewesen, so dass in mir die Hoffnung keimt, dass es künftig für die gesamte Ökumene der Menschheit möglich sein wird, über konfessionelle, religiöse und weltanschauliche Grenzen hinweg nicht nur einander zu respektieren, sondern voneinander zu lernen. Jens Anders bezieht den interrel. Rundbrief übrigens auch, so dass ich ihn hiermit besonders herzlich grüße!

Dieser interreligiöse Rundbrief enthält nicht sehr viele Veranstaltungshinweise, da ich diese ja oft schon zwischendurch als Nachträge rundschicke, aber jede Menge Text zum Lesen, so dass ich empfehle, sofern sie das alles interessiert, sich die Lekture aufzuteilen.

Themen rund um den Islam lassen uns nicht los. Das Zitat über der Überschrift stammt von einem irakischen Muslim, der derzeit zusammen mit Konstantin Wecker und anderen Musikern das Bagdad-Kabul-Projekt durchführt, welches am 8.7.2006 beim Tanz&Folk Fest in Rudolstadt den Preis für Folk- und Weltmusik in der Kategorie “Deutsche Ruth” überreicht bekommen wird. Das Zitat entstammt Wolfgang Meyerings Artikel über dieses Projekt im “Folker!” 02.06, der Musikzeitschrift, bei der ich ja auch freier Mitarbeiter bin. Es zeigt sich darin, wie sehr die beiden Themengebiete “interreligiöser und interkultureller Dialog” und “Folk- und Weltmusik” doch miteinander verzahnt sein können, so dass ich das “off-topic” vor den Musikrezensionen unten auch weg lassen könnte. Ich lasse es aber da.

In den Nachrichten hört man immer wieder schlimme Meldungen, von den vielen Todesopfern, die der Karrikaturenstreit forderte, vom (mittlerweile zum Glück aufgehobenen) Todesurteil über einen Afghanen, der vom Islam zum Christentum konvertierte, von Schikanen gegenüber “unislamisch” gekleideten Mädchen im von der Hamas regierten Palästina, von eine Begehren indonesischer Muslime, das Küssen und das luftige Sichkleiden in der Öffentlichkeit gesetztlich verbieten zu lassen, da das Pornographie sei, von der strengen Überwachung und Diskriminierung der Bahá’í im Iran, von der Probematik mit Hauptschülern mit Migrationshintergrund, die ja zum großen Teil auch Muslime sind und auf der anderen Seite von einem Volksbegehren der Nachbarn eines Grundstücks in Berlin-Panko, auf dem eine Moschee gebaut werden soll gegen eben diese. Weniger hört man, dass im buddhistischen Myanmar Christen und im christlichen Griechenland nichtorthodxe Christen, Buddhisten und Muslime diskriminiert werden. Der Islam ist bzw. Muslime sind medienwirksam. Ich versuche mit Hilfe auch anderer Autoren unter IV., V. und Vi. und auch unter VIII.1. etwas mehr Licht auf das Verhältnis zwischen Muslimen und Nichtmuslimen zu werfen, vor allem in Deutschland, aber nicht nur. Prof. Dr. Peter Antes schickte eine Zusammenfassung des Kariakturenstreites, Dr. Gereon Vogel-Sedlmayr erlaubte mir die Veröffentlichung eines Aufsatzes von ihm über die Affäre Salman Rushdie, Dr. Jeannette Spenlen schickte zwei Texte, die sich mit der Problematik des Religionswechsels befassen, darunter eine klare Verurteilung des Todesurteils durch die deutschen islamischen Verbände. Ich habe mir auch die Mühe gemacht, ein paar Veranstaltungen zu dokumentieren, die zum Teil, aber nicht nur, den Islam thematisierten. Wer einen Bericht über die Tagung „Feindbild Orient – Feindbild Westen“ am 10.2.2006 vermisst, der muss leider enttäuscht bleiben, aber ich konnte mir die Teilnahmegebühr leider nicht leisten.

Ich freue mich immer über Leserbriefe. Normalerweise veröffentliche ich eher die kritischen und genieße die lobenden still für mich, doch diesmal habe ich unter VI. mal einen lobenden hier wieder gegeben. das gönne ich mir einfach mal. Für alle interessant könnte aber auch die Onlinedatenbank über Heilige Schriften sein, die die Schreiberin gefunden hat.

So entlasse ich Sie der Lektüre des Rundbriefes und weise nur noch darauf hin, dass der Interreligiöse Rundbrief Nr. 121 wahrscheinlich in der zweiten Juniwoche verschickt wird, und der nächste Nachtragsrundbrief, sofern Termine kommen, nicht mehr vor Ostern, und dann in einem Mindestabstand von zwei Wochen, und bitte Sie, sofern Sie mich um die Veröffentlichung von Terminen bitten, darauf zu achten.

II. Veranstaltungshinweise

II. 1. Veranstaltungen unter Beteiligung von Religions for Peace/WCRP Köln/Bonn

II. 1. a. Schweigen für Frieden und Gerechtigkeit am 4.5. und am 1.6.2006

Auch am jeweils ersten Donnerstag im März und April 2006 laden wir wieder zum Schweigen für Frieden und Gerechtigkeit ein, wie immer von 17.30 Uhr bis 17.45 Uhr auf dem Münsterplatz in Bonn.

Winfried Semmler-Koddenbrock, röm.-katholischer Pastoralrefernt in St. Marien schrieb darüber:
"Angesichts der vielen interkulturellen und interreligiösen Spannungen ist das Anliegen nicht weniger aktuell wie zur Zeit der Gründung unserer Initiative vor gut drei Jahren.
Seit über drei Jahren laden wir an jedem ersten Donnerstag im Monat für 15 Minuten zum Schweigen für Frieden und Gerechtigkeit ein: um 17.30 Uhr auf dem Bonner Münsterplatz (Nähe Münster).
Wir schweigen gegen Streit, Gewalt und Ungerechtigkeit in unserem Alltag und weltweit. Die Mahnwache ist ein Impuls nach außen und zugleich eine Übung nach innen: Frieden beginnt im eigenen Herzen. Das gemeinsame Schweigen verändert uns selbst.
Wir sind eine Initiative aus den vier Religionen Islam, Baha’i, Buddhismus und Christentum. Eingeladen sind alle Menschen, die über Unterschiede und Fronten hinweg Brücken schlagen wollen für Frieden und Gerechtigkeit."


*

II. 1. b. Interreligiöser Gesprächskreis in Bonn am 1.6.2006

Der Interreligiöser Gesprächskreis in Bonn von Religions for Peace/WCRP Köln/Bonn findet am 1. Donnerstag im April, also 6.4.2006 statt.
19.30-21.30 Uhr bei Lioba von Lovenberg, Argelanderstr. 6, 53115 Bonn
Thema: Was ist der Sinn des Lebens?

Rückblick auf den Interreligiösen Gesprächskreis am 6.4.2006:

Thema: Was ist Realität?
Wir trafen uns dieses Mal zu siebt in einer buddhistisch-christlich-muslimisch-bahá’í-vereinigungskirchlich-humanistischen Runde. Zu dem Thema wurden wir angeragt, weil zwei Gesprächskreisteilnehmerinnen im Kino den Film „What the bleep do we (k)now!? – Ich weiß, dass ich nichts weiß!“ gesehen haben, in welchem dargestellt worden sei, dass die Grenzen zwischen äußerer, physischer und innerer, psychischer Realität nicht so fest seien, wie wir das gemeinhin annähmen. So reagierten Wassermoleküle messbar unterschiedlich darauf, dass ein Mensch ihnen das Wort „Liebe“ oder „Hass“, jeweils mit lieb- oder hasserfüllter Stimmung gesagt, vorsage. Diese Filmdarstellung wurde auf religiöse Rituale wie das Segnen von Weihwasser übertragen, mit der Mutmaßung, dass das Wasser durch das Segnen positiv aufgeladen werde, und diese positive Stimmung an die Gläubigen, die sich damit bekreuzigten, weiter gäbe. Ob nun diese Gläubigen ihre jeweilige Gemütslage auf das Wasser übertrügen, wurde kontrovers diskutiert. Ein weiterer Diskussionspunkt war die Frage, ob es eine von unserer Wahrnehmung und Vorstellung unabhängige Realität überhaupt gebe, oder ob nur die Dinge auf uns eine Wirkung haben könne, die wir uns auch vorstellen. Letztlich wurde dieser radikale Idealismus aber abgelehnt. Sehr wohl waren aber alle der Meinung das griechischen Philosophen Epiktet, dass nicht die Dinge selbst uns glücklich oder unglücklich machten, sondern unsere Vorstellungen von ihnen. Ein Erlebnis könne noch lange danach auf unser Stimmung wirken, wenn wir es uns vorstellten, sei es, dass wir lange unter einem Trauma leiden oder noch lange über einen gehörten Witz lachen. Die Realität, die sich unserer Vorstellung entziehe, könne zwar auch auf uns physisch wirken, so wirke radioaktive Strahlung unabhängig davon ob wir sie wahrnähmen und uns eine Vorstellung davon machten oder nicht, aber genau so könne etwas psychisch wirken, was physisch gar nicht da sei, sei es eine Wahnvorstellung oder ein Phantomschmerz. Es erhob sich die Frage, wie denn ein unsichtbarer und nicht bildlich vorstellbarer Gott da einzustufen sei. Wir kamen zu dem Ergebnis, dass auch in Bezug auf Gott unsere Vorstellung von ihm, die durch Erlebnisse in der religiösen Sozialisation geprägt seien, unsere Stimmung bestimme. Genau so könne es aber auch sein, dass Gott auf uns wirke, ohne dass wir es wahrnähmen und uns eine Vorstellung davon machten. Auch sprachen wir über das Wesen von Sünde, Samsara und dergleichen und kamen diesbezüglich auch zu der Auffassung, dass die Trennung von Gott oder von der absoluten Wahrheit sowohl eine Vorstellung als auch eine von unserer Vorstellung unabhängige Realität sein könne, wir aber nur gemäß unserer Vorstellung davon etwas aussagen könnten. Gleiches gelte für den Bereich guter Taten und Verdienste. Wer tue wem einen Gefallen, der Schenker dem Beschenkten oder umgekehrt, weil der Beschenkte dem Schenker eine gute Tat ermögliche? In diesem Zusammenhang kam es zu einem lustigen Missverständnis, als wir Deutschmuttersprachler zwei Russischmuttersprachlern erklärten, wie das mit dem Betteln buddhistischer Mönche sei, und als Erklärung für „Bettler“ das Wort „Penner“ herausrutschte. Es dauerte zwei Minuten, die Komik dieses Missverständnisses zu erklären. Immerhin schlafen, also pennen buddhistische Mönche nur vier bis fünf Stunden in der Nacht. Es fühlte sich aber niemand beleidigt. Man sollte zu einem interreligiösen Dialog immer eine Portion Humor und zwar vor allem Selbstironie mitbringen.
Aus dem Thema, das natürlich nicht abschließend behandelt wurde, erwuchs das Thema für den nächsten Gesprächskreis: Was ist der Sinn des Lebens?

In der Zeitschrift „Buddhismus aktuell“ 2/06 befindet sich auf S. 80 eine Rezension des Buches zu dem oben erwähnten Film von Traudel Reiß. Vgl. auch VI.2.

*

II.2. Godesberger Friedengebet jeden ersten Mittwoch im Monat

von Brigitte Barnikol-Körner:

Lieber Herr Schmiedel,
vielleicht können Sie Ihrem "Verteiler" auch mitteilen, dass das Godesberger Friedensgebet auch noch immer durchgeführt wird - immer am ersten Mittwoch im Monat um 18 Uhr in der Rigal'schen Kapelle in Bode Godesberg (in der Nähe der Stadthalle).
Nicht als Konkurrenz - aber vielleicht als Angebot für diejenigen, die an
einem Schweigen für Frieden und Gerechtigkeit an einem Donnerstag mal nicht
teilnehmen können.

Mit friedvollen Grüßen.
Brigitte Barnikol-Körner

*
II.3. Podiumsdiskussion „Toleranz in den Religionen“ am 12.4.2006

Irakisch – Deutsches Zentrum e.V.

Einladung
Eintrittf rei
Toleranz in den Religionen
Schwerpunkt: Situation in Irak

Kurzvorträge und Podiumsdiskussion

Mit
Dr.Hamid Al Suhail, Soziologie
Michael A. Schmiedel, Religionswissenschaft
John Campbell-Cohen, Ev.Kirche
Jens Bakker, Islamwissenschaft

Mittwoch,12.April.2006
Um 18.30 Uhr

Saal der ESG
Königstrasse 88 , 53115 Bonn
am Schloss Poppelsdorf
Busse : 620, 624, 625, 626, 626, 627 Haltestelle : Beringsstrasse
idz15012005@yahoo.com www.iraq-germany.de


Programm:

18.30 Ankommen der Teilnehmer ( Kaffee und Tee )

19.00 Einführung : Toleranz in den Religionen (Situation in Irak )
mit Dr. Hamid Alsuhail

19.15 Toleranz in Buddhismus
mit Michael A. Schmiedel

19.30 Toleranz in Christenmus
mit John Campbell

19.45 Toleranz in Islam
mit Jens Bakker

20.00 Podiumsdiskussion

21.30 Schluss

(Ich kann aber leider nicht bis zum Schluss bleiben, da ich im Rahmen meiner Dissertation noch zu den Zeugen Jehovas muss, die an diesem Abend ihre Abendmahlsfeier feiern, ihr einziges religiöses Fest im Jahreslauf. MAS)

*

II.4. Vortrag über die Situation im Iran am 26.4.2006

Ich habe dazu nur eine mündliche Information, dass Dr. Hossein Pur Khassalian am 26.4. abends in der St. Marien-Gemeinde in der Bonner Altstadt einen Vortrag übe den Iran hält. Er ist auch regelmäßiges Mitglied des Schweigens für Frieden und Gerechtigkeit.

Meines Wissens findet der Vortrag im Rahmen des Münsterforums statt. Fragen Sie bitte bei Interesse in der Mariengemeinde nach oder bei Dr. Hossein Pur Khassalian .


*
II.5. 46. Öffentliches Vortragswochenende der Deutsch-Tibetischen Gesellschaft am 29.4.2006






46. Öffentliches Vortragswochenende
am 29. April 2006

Universitätsclub
Konviktstraße 9
53113 Bonn



Beginn: 14.00 Uhr

14.00 Uhr: „Auf der Suche nach alten Klöstern – Kadampa-Gründungen in Phenpo/
Zentraltibet“
Dr. Ulrike Roesler/ Dipl. Ing. Arch. Hans-Ulrich Roesler, Oxford/ Marburg

15.00 Uhr: „Nomadenärzte im heutigen Tibet“
Dr. Mona Schrempf, Berlin


16.00 Uhr: Kaffeepause


16.45 Uhr: „A Survey on Children Nutrition and Health Condition in Rural Tibet“
Cand.phil. Mingji Cuomu –Mingkyi Tsomo, Berlin/ Lhasa

17.30 Uhr: “Der Himalaya in Bildern: Zu den photographischen Arbeiten Erwin Schneiders
in den von der tibetischen Kultur beeinflußten Gebieten im Norden Nepals“
Hanna Schneider, Deutsch-Tibetische Kulturgesellschaft Bonn


18.30 Uhr: Ende. Anschließend gemütliches Beisammensein
Eintritt: EUR 7,00 (EUR 5,00 ermäßigter Eintritt)

……………………………………………………………………………………………...........
Vorschau: 47. Vortragswochenende der DTK am 11. November 2006 im Universitätsclub Bonn V.i.S.d.P.:
Hanna Schneider, Auf dem Uhlberg 7, 53127 Bonn Tel./Fax: 0228-9212324 Email: HannaSchneider@gmx.de


Zu den Vortragenden:



Dr.Ulrike und Dipl. Ing. Arch. Hans-Ulrich Roesler:

Frau Roesler, geb. 1963, studierte vedisches und klassisches Sanskrit, Pali, Hindi, klassisches und modernes Tibetisch sowie die klassische mongolische Sprache ebenso wie die mit diesen Sprachen korrespondierenden Fächer. Im Jahre 1995 promovierte sie an der Universität Münster mit ihrer Studie: “Licht und Leuchten im Rgveda. Untersuchungen zum Wortfeld des Leuchtens und zur Bedeutung des Lichts“, die 1997 in der Reihe Indica et Tibetica 32, Swisstal-Odendorf erschienen ist.
Von 1994 bis 2005 war sie am Indologischen Seminar der Universität Marburg tätig, wo sie unterrichtete und forschte und ebenso Erfahrung im administrativen Bereich wie in der Konferenz-Organisation sammeln konnte. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf vedischen Studien wie auf buddhistischen Studien des indo-tibetischen Kulturkreises.
Seit Oktober 2005 ist sie als Dozentin am Balliol College, Oxford tätig.
Dipl.-Ing. Arch. Hans-Ulrich Roesler beschäftigt sich seit vielen Jahren mit asiatischer Architektur. Er hat in den letzten Jahren mehrere tibetische Klöster aufgemessen und anhand von architektonischen Zeichnungen dokumentiert.
Das 11. Jh. ist in der Geschichte des tibetischen Buddhismus eine hochinteressante Umbruchphase, in der die zunächst kleine Bewegung innerhalb weniger Jahrzehnte rapide wuchs, neue klöstreliche Zentren und eine neuartige tibetisch-buddhistische Literatur hervorbrachte.In dieser Zeit gründete’Brom-ston-pa, ein Schüler des indischen Gelehrten Atisha, nördlich von Lhasa das Kloster Reting (Rwa-sgreng). Diese Klostergründung markiert den Beginn der Kadampa (bKa’-gdams-pa) - Schule, aus der später die Gelugpa (dGe-lugs-pa) hervorgingen.
Die wichtigsten Zentren der frühen bKa’-gdams-pa-Meister liegen in den ruhigen Seitentälern von Phempo, einem alten Bon-po-Territorium unweitvon Lhasa. Anhand von Dias werden die Referenten auch einen visuellen Eindruck von diesen frühen Klöstern vermitteln, die trotz ihrer Nähe zu Lhasa heute wenig bekannt sind. Gleichzeitig sollen die Klostergründer durch Bildmaterial und Textausschnitte vorgestellt werden.
Zum Vortragsthema hat das Ehepaar Roesler im Jahre 2004 ein Buch veröffentlicht: Kadampa Sites of Phempo. A Guide to Some Early Buddhist Monasteries in Central Tibet, Kathmandu (Bauddha Books 2).



Dr. Mona Schrempf:

Dr. Mona Schrempf studierte Ethnologie, Altamerikanistik und Indische Kunstgeschichte an der Freien Universität Berlin und schrieb ihre Doktorarbeit über die Wiederbelebung und die soziale Organisation tibetischer ritueller Maskentänze im Exil und in Ost-Tibet (Amdo). Ihre post-doktorale Arbeit konzentriert sich auf traditionelle und westliche Medizinpraktiken in Tibet (TAR) und Qinghai. Sie gibt Seminare zu tibetischer, asiatischer und westlicher Medizin am Zentralasien-Seminar der Humboldt-Universität zu Berlin sowie in der Abteilung Ethnologie am Südasien-Institut der Universität Heidelberg. Ebenso organisiert sie internationale Panels und Konferenzen zu diesen Themen. Gegenwärtig hält sie eine Forschungsstelle im Sonderforschungsbereich SFB 640 „Repräsentation sozialer Ordnungen im Wandel“ an der Humboldt-Universität, wo sie sich mit Aspekten vonMedizin und Moderne in der tibetischen Bevölkerung von Qinghai auseinandersetzt.
Zum Vortragsthema: Im kargen weiten Nomadenland von Nagchu, das sich ca. 400 km nördlich von Lhasa auf einer Höhe von 3000 m und mehr erstreckt, praktizieren tibetische Landärzte ebenso wie staatlich angestellte tibetische Ärzte im Nagchu Mentsikhang [„Krankenhaus von Nagchu“] ihre traditionellen Heilmethoden. Die medizinische Ausbildung und regionale Praxis dieser Lineage-Ärzte mit ihrer stammesgesellschaftlichen Lokalgeschichte ist jedoch im Gegensatz zur institutionalisierten tibetischen Medizin, wie sie im Lhasa Mentsikhang praktiziert wird, wenig bekannt. Basierend auf biographischen Interviews mit Lineage-Ärzten in Nagchu im Jahre 2003 wird der Aspekt der traditionellen Weitergabe von lokalem medizinischen Wissen in der heutigen Medizinpraxis von Nagchu ebenso wie in Beziehung zur westlichen Medizin vorgestellt.


Cand. phil. Mingji Cuomu - Mingkyi Tsomo:

Frau Mingkyi Tsomo ist tibetische Ärztin. Von 1984 bis 1988 absolvierte sie ihre medizinische Ausbildung in Tibet, worauf sie in den Jahren zwischen 1988 bis 1995 als Doktor am Kreiskrankenhaus von Nagchu praktizierte. 1998 legte sie ihr B.A.-Examen am Tibetan MedicalCollege in Lhasa ab. Von 1998 bis 2001 war sie als Repräsentantin des Krankenhauses von Nagchu an den (u.a.) Erhebungen eines zwischen der Terma-Foundation (USA Tibetan Children Nutrition Research Programme), dem Kreiskrankenhaus von Nagchu und dem in Lhasa beheimateten Tibet-Krankenhaus (TAR People’s Hospital) koordinierten Forschungsprojekt beteiligt, dessen Augenmerk der Erhebung und Verbesserung der medizinischen Versorgung der in den ländlichen Gebieten Tibets lebenden Kinder galt. Vor und nach ihrem Abschluß ihrer M.A.-Studien am Tibetan Medical College in Lhasa war sie zwischen 2003 und April 2005 an Forschungsarbeiten für das Global Network for Women und für das Children’s Helath Research/NICHD NIH Tibet-Projekt tätig. Seit Herbst 2005 lebt Mingkyi Tsomo in Berlin, wo sie die Promotion am Zentralasienseminar der Humboldt-Universität anstrebt.
Zum Vortragsthema: Das tibetische Hochplateau, auf einer durchschnittlichen Höhe von 4000 m.ü.M. gelegen, stellt aufgrund des höhenbedingten reduzierten Sauerstoffgehalts der Luft und die z.T. extremen klimatischen Verhältnisse besonders in den ländlichen Gebieten große Herausforderungen an die körperliche Anpassungsfähigkeit seiner Bewohner.
Naturgemäß befinden sich gerade die Kinder im Alter zwischen 0 und 7 Jahren im Spannungsfeld dieser unterschiedlichen Umweltfaktoren und sind auf diese Weise vermehrt gesundheitlichen Risiken ausgesetzt. Verstärkt werden diese Grundbedingungen durch die z.T. bestehende Unterversorgung der in ländlichen Gebieten lebenden Kinder dieser Altersgruppe mit an modernen Standards gemessen ausgewogener, vitamin- und mineralstoffreicher Ernährung.
Aufgrund der Tatsache, daß die lokalen Krankenhäuser in der Regel den Bedarf an adäquater Prävention und medizinischer Grundversorgung nicht zufriedenstellend abdecken konnten, wurde die Notwendigkeit der Verbesserung eben dieser Faktoren erkannt. Dem Ruf der Stunde folgend wurde im Jahre 1998 ein Gemeinschaftsprojekt ins Leben gerufen, an dem die o.a. Terma-Foundation, das nach traditionellen tibetischen Diagnose- und Behandlungsmethoden behandelnde Präfekturkrankenhaus von Nagchu und das Tibet-Krankenhaus (TAR People’s Hospital) beteiligt waren. Im Zuge der Erhebungsarbeiten wurden der Gesundheitszustand bzw. die häufigsten Krankheiten von tausend Kindern im Alter zwischen 0 und 7 Jahren anhand eines zuvor erarbeiteten Erhebungsbogens in sechzig ländlichen Dorf- und Nomadengemeinschaften in den fünf Regionen der TAR untersucht und analysiert. Als wichtiger Faktor ist hier anzuführen, daß sowohl nach den Diagnosemethoden der traditionellen tibetischen Medizin wie auch der westlichen Schulmedizin vorgegangen wurde.
In ihrem Vortrag wird die Referentin dieses Projekt vorstellen und gemäß ihrer eigenen Arbeits- und Ausbildungsmethode eine Analyse der Krankheitsursachen sowie der Diagnose- und Behandlungsmethoden tibetischer Kinder nach den Verfahren der traditionellen tibetischen Medizin und der westlichen Schulmedizin präsentieren und darlegen, wie beide o.a. Traditionen zum größtmöglichen Wohl der Patienten einander ergänzend eingesetzt werden konnten und können.


Hanna Schneider:

Tibetologin mit Spezialisierung in den Fachgebieten der Vergleichenden Rechtsgeschichte und der tibetischen Urkundenforschung. Weitere Forschungs- und Interessensgebiete sind die Traditionen der Sakya-Schule und der Ris-med-Bewegung in ihrem historischen, religionsgeschichtlichen und ideengeschichtlichen Kontext. Seit April 2000 Vorsitzende der Deutsch-Tibetischen Kulturgesellschaft.
Der österreichische Kartograph und Bergsteiger Erwin Schneider (1906-1987), dessen Geburtstag sich am 13. April zum hundertsten Male jährt, war zeit seines Lebens den Weltbergen, insbesondere dem Himalayaraum eng verbunden.
Sein kartographisches Werk in Nepal umfaßt die auf den Methoden der trigonometrischen wie photogrammetrischen Erfassung der Regionen Nord- und Zentralnepals erstellten Karten [Khumbu Himal, 1:50.000, Lapchi Kang, 1:50.000, Rolwaling Himal, 1:50.000, Shorong/ Hinku (1:50.0000), Tamba Kosi (1:50.000), Dudh Kosi (1:50.000), Helambu-Langtang (1:100.000), Annapurna (1:100.000), Kathmandu Valley (1:50.000), Kathmandu City (1:10.000) und Patan City (1:7.500), die in den Sechziger-, Siebziger- und Achtzigerjahren des 20. Jh. entstanden sind. [Hierzu ist im Jahre 2004 in der Reihe Publikationen der Arbeitsgemeinschaft für Vergleichende Hochgebirgsforschung Band 9 erschienen: Arbeiten aus Nepal. Erwin Schneider zum Gedächtnis. Mit Beiträgen von Willibald Haffner, András Höfer, Corneille Jest, Robert Kostka, Georg Miehe, Gerhard Moser, Ulrike Müller-Böker, Gernot Patzelt und Perdita Pohle. Universitätsverlag Wagner, Wien 2004].
In ihrem Vortrag wird die Referentin Bilder aus dem persönlichen Nachlaß ihres Vaters zeigen: Kultur, Landschaft, Architektur ebenso wie Porträtaufnahmen u.a. aus den von der tibetischen Kultur nachhaltig mit-geprägten Gebieten Nordnepals zeigen und in ihremVortrag kommentieren.




Parallel zum Vortragsprogramm wird im Foyer des Universitätsclubs eine Photoausstellung
Die Kailash-Projekte

von Dhakpa Namgyal Ott, Olten/ Schweiz zu sehen sein
www.kailashprojekte.ch

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Wir hoffen, ein interessantes Programm zusammengestellt zu haben. Der Universitätsclub ist in 10 Minuten zu Fuß vom Bonner Hbf über den Hofgarten am Alten Zoll (direkt am Rhein) zu erreichen.



Hanna Schneider Yuldon GyanaTshang
(1. Vorsitzende) (2. Vorsitzende)


Deutsch-Tibetische Kulturgesellschaft e.V. www.tibet-kultur.de

Aktuelle Hinweise:

(1) Die 14 Dalai Lamas - Tibets Reinkarnationen des Bodhisattva Avalokiteshvara. Ausstellung im Völkerkundemuseum der Universität Zürich, Pelikanstraße 40, CH- 8001 Zürich, Tel. +41-(0)44-634 90 11, www.musethno.unizh.ch
Bis 30. April 2006. Öffnungszeiten: Di.- Fr. 10.00 – 13.00 Uhr und 14.00 Uhr - 17.00 Uhr, Sa. 10.00 – 17.00 Uhr, So. 11.00 -17.00 Uhr.

(2) Buddhisten, Jainas, Hindus – Auf der Suche nach dem Gottesbild. Die Sammlung Viktor und Marianne Langen. Ausstellung im Rautenstrauch-Joest-Museum für Völkerkunde der Stadt Köln, Ubierring 45, 50678 Köln, Tel. +49-(0)221 – 336940 www.museenkoeln.de/rautenstrauch-joest-museum/
13. Februar – 11. Juni 2006. Öffnungszeiten: Di. – Fr. 10.00 – 16.00 Uhr, Sa. 11.00 – 16.00 Uhr, So. 11.00- 18.00 Uhr.

(3) Schätze des tibetischen Buddhismus. Der innere Reichtum des Museums. Ausstellung im Museum für Völkerkunde Hamburg, Rothenbaumchaussee 64, 20148 Hamburg, Tel. +49-(0)1805-308888, www.voelkerkundemuseum.com; verlängert bis November 2006. Öffnungszeiten: Di. – So. 10.00 – 18.00 Uhr, Do. bis 21.00 Uhr.

(4) Tibet – Klöster öffnen ihre Schatzkammern. Große Tibet-Ausstellung in der Villa Hügel in Essen. Kulturstiftung Ruhr, Villa Hügel, 45133 Essen. Tel. +49-(0)201-61629-0; info@villahuegel.de, www.villahuegel.de/2006.htm; 19. August - 26. November 2006. Öffnungszeiten: Tägl. 10.00-19.00 Uhr, Di. und Fr. 10.00 -21.00 Uhr.

(5) Zeitgleich wird in der Sparkasse Essen die Ausstellung „Geld in Tibet“ aus der Sammlung Klaus Bronny zu sehen sein (Vernissage am 19. August 2006). Ort: Geschäftsstelle Innenstadt, III. Hagen 43, 45127 Essen, Zeitpunkt wird bekanntgegeben. www.sparkasse-essen.de

(6) Heinrich-Harrer-Museum Hüttenberg: 14. Mai: Spatenstich zum Tibet-Zentrum. Heinrich Harrer – Museum, Bahnhofstr. 12, A- 9375 Hüttenberg. Tel. +43-4263-8108, office@harrermuseum.at, www.harrermuseum.at
1. April – 31. Oktober 2006: Photoausstellung: „Der Barkhor – das religiöse und wirtschaftliche Zentrum von Lhasa“ von Hans-Günter Blau, Rösrath.


*

II.6. Studientag zur Friedenthematik am 17.6.2006 in Bonn
Dazu habe ich nur eine von Erhard Dischler zugschickte PDF-Datei, die ich nicht sinnvoll umformen kann. Bei Interesse kann sie bei mir angefordert werden, oder informieren Sie sich direkt beim Veranstalter:

Ökumenisches Netz Rhein Mosel Saar e.V.Pfarrer Werner Mörchen Str. 156564 NeuwiedTel.: (0 26 31) 35 41 40Fax: 0180 50 60 33 59 93 76Mail: info@oekumenisches-netz.dewww.oekumenisches-netz.de


*

III. ZERG ist online

von Barbara Tonn:


Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde des ZERG,

ich freue mich, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass die neue ZERG-Homepage nun online geschaltet wurde (www.zerg.uni-bonn.de). Dort sehen Sie auch unser neues Logo, das von artwork Köln gestaltet wurde. Wir hoffen, dass Ihnen sowohl die Homepage als auch das Logo gefallen und freuen uns über Anregungen, Lob und Kritik.

Auf der Startseite befindet sich rechts eine Spalte mit Hinweisen auf aktuelle Veranstaltungen des ZERG, z.B. unsere neue Reihe "Forum Religionen in der Gesellschaft", die im Sommersemester eröffnet wird. Fühlen Sie sich also schon jetzt sehr herzlich eingeladen! Wir würden uns freuen, Sie bald wieder bei uns begrüßen zu dürfen.

Mit freundlichen Grüßen,

Ihre

Barbara Tonn
*******************************************
Geschäftsführerin
Zentrum für Religion und Gesellschaft
Universität Bonn
Am Hof 1
53113 Bonn
Germany
Tel.: 0049 - (0)228 - 73 - 4265
Fax: 0049 - (0)228 - 73 - 7649
Email: tonn@zerg.uni-bonn.de
Internet: www.zerg.uni-bonn.de

**

IV. Zum Thema Karrikaturenstreit

IV.1. Chronologie Mohammed-Karikaturen

Zugeschickt von Peter Antes, Prof. für Religionswissenschaft an der Univ. Hannover, via Yggdrasill-Liste:

Liebe Mitglieder der Liste,

durch das Attachment, das die Entstehung des Streites um die
Mohammed-Karikaturen nachzeichnet und von Herrn Pfaff vom Vorstand der
Deutschen Muslim-Liga (www.muslim-liga.de) zusammengestellt worden ist,
möchte ich einen kleinen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion
leisten, auch wenn sich im Augenblick die Gemüter wieder etwas beruhigt
haben. Man kann daraus ersehen, wie eine Provokation zum "Kochen"
gebracht wird.

Mit besten Grüßen, Peter Antes.

Chronologie Mohammed-Karikaturen

Hintergrund Jyllands Posten
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,400035,00.html
http://www.taz.de/pt/2006/02/08/a0148.1/text

Hintergrund DVP:
http://www.faz.net/s/Rub9DDF988597D94E1689817E2BC0EC289A/Doc~E1A297F2815FC489692B2337964562047~ATpl~Ecommon~Scontent.html

Artikel „Chronik eines erhofften Streites“: http://www.fr-aktuell.de/ressorts/nachrichten_und_politik/die_seite_3/?cnt=814861


30. September 2005: Veröffentlichung von 12 Karikaturen mit dem Titel "Die Gesichter Mohammeds" in der Zeitung "Jyllands-Posten“(JP).
Als Motiv gibt der Chefredakteur an, er wolle das Ausmaß der „Selbstzensur“ in den dänischen Medien „testen“.

Anfang Oktober 2005: Als Reaktionen auf die Veröffentlichung der Karikaturen von muslimischer Seite ausbleiben, sendet JP Kopien der Karikaturen an muslimische Organisationen in Dänemark, mit der Bitte um Kommentierung.
http://www.islam.dk/

9. Oktober 2005: Jyllands Posten befragt den für seine radikalen Haltungen bekannten Imam Raed Hlayhel. Dieser forderte, Jyllands-Posten solle die Zeichnungen "zurückziehen" und sich bei allen Moslems entschuldigen.
Die Titelzeile von Jyllands-Posten lautete: "Moslems: sagt Entschuldigung!" Die Antwort von Chefredakteur Carsten Juste: "Nicht im Traum!"
http://www.fr-aktuell.de/ressorts/nachrichten_und_politik/die_seite_3/?cnt=814861

9 Oktober 2005: Islamische Organisationen in Dänemark reagieren mit Protestnoten.
http://focus.msn.de/hps/fol/newsausgabe/newsausgabe.htm?id=24579

12. Oktober 2005: Elf Botschafter moslemischer Länder fragen ein Gespräch bei Regierungschef Rasmussen an, um über die Karikaturen zu sprechen.
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,400019,00.html

14. Oktober 2005: 3.500 Moslems demonstrieren friedlich in Kopenhagen.
http://focus.msn.de/hps/fol/newsausgabe/newsausgabe.htm?id=24579

17.Oktober 2005 Nachdruck der Karikaturen im ägyptischen Boulevardblatt «Al-Fagr». Die Veröffentlichung in der Wochenzeitung, die für ihre provokative Berichterstattung bekannt ist, löste keine vernehmbaren Reaktionen, keinerlei Proteste aus.
http://www.nzz.ch/2006/02/20/al/articleDLH7M.html

21.Oktober 2005: nach 9 Tagen reagiert Rasmussen auf die Protestnote der arabischen Botschafter und lehnt ein Gespräch, mit dem Hinweis auf die Pressefreiheit, ab. Er regt an, die Beschwerdeführer könnten sich an ein Gericht wenden.
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,400019,00.html

28. Oktober: Eine Vereinigung dänischer Muslimgruppen reicht eine Klage gegen "Jyllands-Posten" ein, die aber abgewiesen wird.
http://www.diepresse.com/Artikel.aspx?channel=p&ressort=a&id=536682

Mitte/Ende Oktober 2005: Die Karikaturen „sickern“ über das Internet in die arabische Welt. Eine radikale Studentenorganisation in Pakistan ruft zum Mord an den Zeichnern der Karikaturen und den Journalisten der JP auf. http://www.islam.dk/

November/Dezember 2005: Eine Delegation dänischer Imame reist durch mehrere islamische Länder, um auf die Situation in Dänemark aufmerksam zu machen
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,398604,00.html

Dezember 2005: Eine Gruppe von über 300 dänischen Autoren verurteilt in einem Aufruf die die «Diskriminierung der ethnischen Minderheiten in der Alltagssprache und der Gesetzgebung». Diese Menschen würden «ausschliesslich als kriminelle, gesellschaftsschädigende Elemente, potenzielle Gewaltverbrecher und Sozialklientel» betrachtet. Führende Politiker der populistischen Volkspartei beschimpften «unsere muslimischen Mitbürger als ‚Pest’, ‚Bazillen’, ‚Krebsgeschwür’, und ‚Leute, die nur darauf warten, zahlreich genug zu sein, um uns zu erschlagen’».
http://www.nzz.ch/2006/02/08/fe/articleDK14K.html

10. Januar 2006: Die norwegische Zeitung "Magazinet" druckt die Zeichnungen nach. Der Streit eskaliert

1. Februar 2006: Durch den Nachdruck der Karikaturen in „Die Welt“ erreicht der „Karikaturenstreit“ Deutschland.


Stellungnahmen der Deutsche Muslim Liga:

· Presseerklärung vom 2.Februar: http://www.muslim-liga.de/1138910189_ja.htm
· Interview vom 02.Februar „Mich erinnern die Karikaturen an den Stürmer“ http://www.stern.de/politik/deutschland/554844.html?nv=cb
· Interview vom 03.Februar: „Aufruf zur Besonnenheit“ http://www.dw-world.de/dw/article/0,2144,1891335,00.html
· Interview vom 16.Februar: „Die Gewalt wiederspricht und beleidigt unseren Glauben wie die Karikaturen“ http://www.muslim-liga.de/download/page%2026%20from%20abc_madrid__internacional1.pdf

*


IV.2. *Der Karikaturenstreit und die Affäre Rushdie*

Von Dr. Gereon Vogel-Sedlmayr, Passau, zugeschickt via Yggdrasill-Liste, mit freundlicher Genehmigung, aber auch besonderem Hinweis auf sein Copyright hier wieder gegeben:



*1. Einleitung*



*/Der Führer der Hisbollah Hassan Nasrallah hat sich im Fernsehen zum
Karikaturenstreit geäußert: „If any Muslim had carried out the fatwa of
Imam Khomeini against the apostate Salman Rushdie, those despicable
people would not have dared to insult the Prophet Muhammad“ (Al-Manar
TV, 2. 2. 2006). Mit anderen Worten: Schade, dass niemand Salman Rushdie
umgebracht hat. Denn dann hätten die dänischen Karikaturisten nicht ihre
Bilder zu veröffentlichen gewagt. Spätestens diese Bemerkung eines
prominenten Islamisten gibt Anlass, die Ereignisse der Jahre 1988/1989
zu rekapitulieren. /*



*2. Die Affäre Rushdie – Anlass und Verlauf*



*Schon Ende der 80er Jahre gab es ähnliche Bilder von wütenden
islamischen Menschenmassen in den Medien wie heute: Veröffentlichungen,
die in westlichen Gesellschaften ganz selbstverständlich von der freien
Meinungsäußerung gedeckt werden, haben in der islamischen Welt einen
Sturm der Entrüstung entfesselt. D*ie damalige Affäre hatte zum Anlass
das Buch des indo-britischen Romanciers Salman Rushdie mit dem Titel:
„The Satanic Verses“. Der Verfasser ist seiner Herkunft nach Muslim.
Gedanklich ist der mittlerweile 58jährige von der Studentenbewegung der
60er geprägt und steht für einen politisch linken, säkularistischen
Multikulturalismus.

Der Roman „Die Satanischen Verse“ handelt von zwei indo-muslimischen
Schauspielern, die nach England kommen, dort scheitern und gebrochen
nach Indien zurückkehren. Eine besondere Aufmerksamkeit gilt dabei der
Rolle der Religion im gescheiterten Integrationsprozess. Rushdies These
ist, dass Religion den Menschen unter den Bedingungen der Moderne keine
Hilfen bietet, sondern geradezu dysfunktional wird. Für einen seiner
Protagonisten, Gibril Farishta, verwandeln sich durch den Kulturschock
die religiösen Überlieferungen in böse, psychotische Alpträume. An
diesen Alpträumen, die aus ihrem literarischen Kontext gerissen wurden,
hat sich die Empörung vieler Muslime entzündet.

Die wichtigsten beiden kritisierten Details: Zum einen erhält der
Prophet in den Träumen den Namen 'Mahound' - ein Schimpfname, der aus
der antiislamischen Polemik des Mittelalters stammt. Zum anderen
erscheint auch das Symbol des Vorhanges in verfremdeter Form. In der
islamischen Welt ist der Vorhang - Hijâb – ein symbolischer Ausdruck für
die Zurückgezogenheit der Frauen, die züchtige islamische Kleidung und
die Wohlanständigkeit. In den Alpträumen des Gibril Farishta ereignet
sich das, was man nach Sigmund Freud die „Wiederkehr des Verdrängten“
nennt. Hier ist 'Vorhang' ein Symbol der Unanaständigkeit – nämlich Name
eines Bordells in Mekka, in dem die Prostituierten zur Befriedigung
ihrer Freier in die Rollen der Frauen Muhammads schlüpfen.

In den Alpträumen von Rushdies Protagonisten Gibril Farishta tauchen
außerdem historische Überlieferungen auf, die die Zuverlässigkeit der
Koranüberlieferung in Frage stellen. Die erste von ihnen hat dem Roman
seinen Namen gegeben. Sie ist überliefert beim frühislamischen
Geschichtsgelehrten Tabarî und besagt: Der Prophet habe in der
Verkündigung der 53. Sure des Koran drei in Mekka populären Göttinnen
eine ähnliche Rolle zugestanden wie den Engeln; sie könnten bei Allah
Fürsprache einlegen. Erst später habe er gemerkt, dass es sich bei
diesen Zugeständnissen ans Heidentum um Einflüsterungen des Satans
gehandelt habe, und habe das zuvor verkündete Stück des Korans getilgt.
Diese Überlieferung sagt also, dass der Prophet selbst bei der
Offenbarung nicht gewusst habe, was für eine Macht sich ihm offenbart. -
Die zweite alte Überlieferung, die in Gibril Farishtas Träumen
auftaucht, bekundet Zweifel an Muhammads Aufrichtigkeit. Sie ist beim
frühislamischen Geschichtsgelehrten Vakidî überliefert und besagt:
Abdallah Ibn Saad, in der Frühzeit Anhänger Muhammads und mit diesem von
Mekka nach Medina ausgewandert, habe eine Zeitlang als Sekretär für den
Propheten Offenbarungen aufgeschrieben. Er habe jedoch, um den Prophet
auf die Probe zu stellen, willkürlich Änderungen am Text angebracht.
Nachdem Muhammad diese nicht bemerkt hatte, sei Ibn Saad vom Glauben
abgefallen und in das zunächst feindliche Mekka zurückgekehrt, was ihn
nach der Kapitulation Mekka vor Muhammad fast das Leben gekostet habe.

Wie im Fall der Karikaturen dauerte es im Fall der Affäre Rushdie einige
Wochen, bis sich in der islamischen Welt Widerstand geregt hat. Nach der
Veröffentlichung des Romans in England Ende September 1988 in London
entstand unter den dortigen Muslimen langsam eine Massenbewegung gegen
den Roman. In den Augen der liberalen Öffentlichkeit diskreditierte sich
diese durch Bücherverbrennungen. Man erinnerte an die
Bücherverbrennungen der Nazis und auch an Heines Bonmot, dass dort, wo
Bücher brennen, später auch Menschen brennen – was sich in diesem Fall
wieder einmal bewahrheiten sollte. Nach der Publikation des Romans in
den USA demonstrierten in Pakistans Hauptstadt Islamabad, wobei mehrere
Demonstranten getötet wurden. Viele Muslime warfen dem Romancier vor, an
den Todesfällen schuld zu sein: er hätte voraussehen müssen, dass sein
Roman zu gefährlichen Auseinandersetzungen führt. Der Ayatollah
Khomeini, Staatsoberhaupt und führender Theologe des schiitischen Iran,
ließ am Valentinstag 1989 durch den Rundfunk eine Erklärung verbreiten,
die als 'die Fatwa' weltweit bekannt wurde.

Der Wortlaut:

„/Im Namen (sc. Gottes) des Erhabenen!
Es gibt nur einen Gott, zu dem wir alle zurückkehren werden.
Den glaubenseifrigen Muslimen in der ganzen Welt gebe ich bekannt:
Der Verfasser des Buches 'Die Satanischen Verse',
das gegen den Islam, den Propheten und den Koran
erdichtet, gedruckt und verlegt worden ist;
ebenso die, die an seiner Veröffentlichung beteiligt sind und den Inhalt
kennen,
sind zum Tod verurteilt.
Von allen glaubenseifrigen Muslimen wünsche ich,
dass sie jene, wo immer sie sie finden, unverzüglich exekutieren,
damit kein anderer in die Versuchung gerät,
die heiligen Güter der Muslime verächtlich zu machen;
wer dabei den Tod findet, ist ein Märtyrer - so Gott will.
Selbstredend (sc. gilt):
Wenn jemand Zugang zu dem Verfasser des Buches hat,
sich aber außerstande sieht, ihn zu töten, soll er dies (sc. geeigneten)
Leuten mitteilen,
damit er (d.h. Salman Rushdie) den Lohn für seine Taten erhält.
Und der Friede sei mit Euch, die Barmherzigkeit Gottes und sein Segen.
Rûhollâh Mûsawî, 25. 11. 67“/



Mit diesem Vorfall wurde der Begriff „Fatwa“, der eigentlich lediglich
ein Gutachten des islamischen Rechts bezeichnet, im Westen
fälschlicherweise zum Synonym für Todesdrohung. Die sogenannte Fatwa
Khomeinis wendet sich dabei nicht nur gegen Salman Rushdie. Vielmehr ist
sie ein Aufruf zum Terror gegen alle, die wissentlich an der
Veröffentlichung des Romans "Die Satanischen Verse“ beteiligt sind.
Diese Gruppe von Menschen – Drucker und Verleger werden ausdrücklich
benannt – seien „zum Tode verurteilt“. Jeder Muslim solle sie umgehend
exekutieren. Wer dabei sterbe, habe als Märtyrer zu gelten.

Eine genaue Analyse der Fatwa zeigt, dass sie offensichtlich in Eile und
persönlicher Erregung verfasst worden ist. Es wurde oft bemerkt: Ein
traditioneller Mufti hätte gelassen bleiben müssen, was Khomeini
offensichtlich bei der Ausstellung der Fatwa nicht gewesen ist. Bei der
Prüfung der Zuständigkeit hätte er sich möglicherweise für unzuständig
erklärt – weil das Religionsvergehen sich ja in der nichtislamischen
Welt, also im „Haus des Krieges“ zugetragen hat. Die Fatwa nennt auch
weder die Rechtsnorm noch den Straftatbestand. Dazu wurde gemutmaßt,
dass Rushdies Vergehen eigentlich in seiner Apostasie zu sehen sei. -
Trotz dieser formalen Auffälligkeiten steht die Fatwa in einer
spezifischen islamischen Tradition; es gibt die Tradition von besonderen
Erlassen, die in Notsituationen ergangen sind. In dieser Situation
konnten Fatwas eben auch die sonst gepflegten Formgesetze verletzen.

*Nachdem die Proteste nicht gefruchtet hatten, kam es zu einer
Terrorwelle, die sich gegen Übersetzer und Herausgeber dieses Romans
richtete, und übrigens auch gegen zwei Muslime, die der Fatwa
zuwiderlaufende Stellungnahmen abgaben. Die ersten beiden Opfer
gezielter Terroranschläge waren am 29. März 1989 in Brüssel der aus
Saudi-Arabien stammende Geistliche Muhammad al-Ahdal und sein
tunesischer Bibliothekar Salem El-Beher. Sie wurden ermordet, nachdem
sie im Fernsehen zum Fall Rushdie die Meinung vertreten hatten, man
müsse sich als Muslim im Westen nach den hier geltenden Gesetzen
richten. Weitere Opfer der Terrorwelle waren der italienische Übersetzer
von Rushdies Roman, Ettore Capriolo, der japanische Übersetzer Hitoshi
Igarashi und der norwegische Herausgeber William Nygaard. Der schlimmste
Zwischenfall geschah am 2. Juli 1993 in der türkischen Stadt Sivas
anlässlich eines Kulturfestes unter Beteiligung vieler Aleviten. An
diesem Fest nahm der bekannte Schriftsteller Aziz Nesin teil, der eine
Übersetzung des Romans „Die Satanischen Verse“ ins Türkische angekündigt
hatte. Gegen die Veranstaltung fand eine Demonstration statt; die
Demonstranten hinderten die Menschen am Verlassen des Hauses, in dem das
Kulturfest stattfand, und legten Feuer. 37 Menschen starben, während
Nesin überlebte. *

*Erst seitdem der iranische Staat gegen Ende der 90er Jahre diplomatisch
gewährleistet hat, den staatlichen Apparat nicht mehr zur Durchsetzung
der Fatwa Khomeinis zur Verfügung zu stellen, hat sich die Sache
beruhigt. Salman Rushdie kann ohne größere Gefahr in der Öffentlichkeit
auftreten. Ich habe ihn am 22. Januar bei einer Podiumsdiskussion in den
Münchener Kammerspielen mit seinem Kollegen Vikram Seth gesehen.*

Im Rückblick ist für mich Besorgnis erregend an der Affäre Rushdie, dass
meines Wissens – und ich habe die Berichterstattung die Jahre über
wirklich aufmerksam verfolgt – in der internationalen Presse über keine
gerichtliche Verurteilung in Folge des Terrors und der Drohungen
berichtet worden ist. Alles, was bekannt wurde, war die Ausweisung von
drei Iranern aus England 1992, weil sie offensichtlich Salman Rushdie
ermorden sollten. Das heißt, für die islamische und nichtislamische
Weltöffentlichkeit ist Anfang der 90er Jahre der Eindruck entstanden,
der Westen sei gegenüber dem islamischen Terror wehrlos und betrachte
Morddrohungen als Meinungsäußerungen.



*3. Die Religion, der Islam und die Konflikte um Blasphemie*



Was Salman Rushdie ebenso wie die dänischen Karikaturisten getan haben,
ist eine scharfe Form der Kritik an einer Religion, wie sie von
religiöser Seite geläufigerweise als „Blasphemie“ oder „Gotteslästerung“
bezeichnet wird. In der Religionsgeschichte gibt es unterschiedliche
Formen des Umgangs, sich mit der sogenannten Blasphemie auseinander zu
setzen. Es reicht von der im antiken Rom verbreiteten Nonchalance mit
dem Grundsatz „deorum iniuriae dis curae“, d.h. die Götter sollen sich
selbst um das an ihnen erlittene (vermeintliche) Unrecht kümmern auf der
einen Seite, bis zur Bigotterie der Athener auf der anderen Seite, die
Sokrates zum Tode verurteilten, dem sie zur Last legten, „ die Götter
des Staatskults nicht anzuerkennen, neue Götter eingeführt zu haben und
die Jugend zu verführen“. - Das Beispiel des Sokrates zeigt übrigens,
dass der Versuch, durch Blasphemieverfahren religiöse Konformität
herzustellen, keineswegs mit dem Monotheismus zusammenhängt, wie
fälschlicherweise gelegentlich behauptet wird. Ein anderes Beispiel
dafür, dass der Polytheismus nicht eo ipso liberaler ist als der
Monotheismus spielt sich zur Zeit in Indien ab, wo radikale Hindus den
muslimischstämmigen Maler Maqbool Fida Husain in diesen Tagen wegen
eines Gemäldes der Blasphemie bezichtigt haben.

Für die heutigen Konflikte zeigt der Blick in die Religionsgeschichte:
Der Vorwurf der Blasphemie verdankt sich weniger der subjektiven
Empörung als vielmehr dem Anspruch auf gesellschaftliche Anerkennung. In
aller Regel verdankt er sich der Erwartung, mit diesem Vorwurf in
symbolpolitischen Konflikten Geltung zu erlangen. Zeigen kann man das
z.B. an der Entwicklung des Blasphemiebegriffes im Judentum. In antiker
Zeit tritt eine auffällige Häufung des Begriffes genau in den Texten
auf, die vom Kulturkonflikt der Juden mit der hellenistisch-römischen
Hegemonialkultur handeln, nämlich in den Makkabäerbüchern. Nachdem das
Judentum als politische Größe in diesem Konflikt unterlegen ist – das
heißt in den Texten nach dem jüdischen Krieg bzw. dem
Bar-Kochba-Aufstand, spielt das Thema praktisch keine Rolle mehr.

Für den Islam ist bestimmend der Widerspruch zwischen dem ursprünglichem
Rigorismus einerseits und der später üblich gewordenen Großzügigkeit
andererseits. Im Koran wird deutlich, dass die Religion über der
Erhaltung von Menschenleben steht. Ein mehrfach Grundsatz lautet:
„Verführen ist schlimmer als Töten“ (arabisch: „fitnatu aschaddu mina
l-qatli“). Das heißt, die Religion zu erhalten, ist für Muslime eine
Pflicht, die ausdrücklich Menschenleben kosten darf. Es gibt im Islam
eine Reihe von Delikten für Religionsvergehen: die Schmähung des oder
der Propheten („sabb an-nabî“ oder „sabb al-anbiyâ“ bzw. „schatm
ar-rasûl“), der Abfall vom Glauben („ridda“ bzw. „irtidâd“), die
Beigesellung anderer Götter („schirk“), die Häresie („zandaqâ“) und
bezeichnenderweise auch die Heuchelei („munâfaqa“). All diese werden der
Theorie nach als Kapitalverbrechen angesehen. Trotz dieses anfänglichen
Rigorismus im Islam hat man in der Geschichte die Religionsvergehen
jedoch häufig kaum verfolgt. Es gibt eine lange Tradition der Toleranz,
an die eine große Zahl kompromissbereite Muslime auch zur Zeit
anzuknüpfen versucht. Allerdings hat es auch in der Krise der
klassischen Zeit nicht an Persönlichkeiten gefehlt wie dem syrischen
Rechtsgelehrten Ibn Taimîya (Taqî Ad-dîn Ibn Taimîya, 1263-1328 n.Chr.),
der wieder zu dem ursprünglichen Rigorismus zurücklenkte. Von Ibn
Taimîya stammt das meines Wissens nach erste monographische Werk über
ein Religionsdelikt, das für die Hinrichtung eines Christen plädierte,
der den Propheten Muhammad geschmäht hat.



*4. Karikaturenstreit und Affäre Rushdie – Gemeinsamkeiten und
Unterschiede *



*Einem Beobachter der Affäre Rushdie kommen einige Begebenheiten um die
dänischen Karikaturen seltsam bekannt vor. Das betrifft die Form und die
Dauer der Mobilisierung in den Konflikten, und die Form des Protests.*

*In beiden Fällen hat nicht eine Graswurzelrevolution den Verlauf der
Affären verursacht, sondern es wirkte im Hintergrund eine Art
Dramaturgie, bei der Tourneen über Kontinente hinweg und Politiker eine
wichtige Rolle spielten. Bezüglich des Karikaturenstreits hat die New
York Times recherchiert, dass dänische Muslime ein 43seitiges Dossier
über die Karikaturen, pikanterweise mit drei sehr viel gröberen
Darstellungen, auf einer Tournee durch arabische Länder den arabischen
Innenministern übergaben. (Ein Bild zeigt den Propheten mit
Schweineschnauze, eines als pädophilen Dämonen und das dritte einen
betenden Moslem, den gerade ein Hund besteigt.) In der Affäre Rushdie
lief die Mobilisierung über einen Brief aus Indien an den Direktor der
Islamic Foundation in Leicester. Der kaufte sich Rushdies neu erschienen
Roman, stellte mithilfe aus dem Zusammenhang gerissener Kopien ein
Dossier zusammen, das an verschiedene britische Organisationen geschickt
wurde, und britische Muslime sollen einige Tage vor der Fatwa Khomeinis
Sohn eine Aufwartung gemacht habe*n, dessen Vater dann auf die
Demonstration in Islamabad in der entsprechenden Weise reagiert hat.

*Wie sehr der Karikaturenstreit in eingespielten Bahnen verlaufen ist,
macht auch eine zweite Gemeinsamkeit der beiden Fälle deutlich. Der
Versuch der größten iranischen Zeitung Hamschahri, die vermeintlichen
Provokationen des Westens mit einem Wettbewerb von Cartoons über die
Judenvernichtung zu konterkarieren, wurde in der Presse mit großem
Erstaunen zur Kenntnis genommen. Dabei gab es bereits 1995 einen
iranischen Wettbewerb von Cartoons gegen Salman Rushdie, ebenso wie
einen Schriftstellerwettbewerb, bei dem Autoren seine Situation unter
der Todesdrohung möglichst schrecklich darstellen sollten. *

*Drei signifikante Unterschiede von Affäre Rushdie und Karikaturenstreit
werfen dagegen ein kritisches Licht auf Themen, die in der
Berichterstattung zu den Fällen zumindest überbetont wurden. Der erste
Unterschied betrifft das Medium dessen, womit die Empörung erzeugt wird,
der zweite betrifft die politische Ausrichtung der Protagonisten der
Empörung und der dritte die Nähe und Distanz der Blasphemiker zu der von
ihnen kritisierten Religion.*

*Erstens hieß es im Karikaturenstreit oft, die Empfindlichkeit der
Muslime hänge mit einer Verletzung des islamischen Bilderverbots
zusammen: Muslime reagierten deshalb auf Karikaturen besonders
empfindlich. - In der Affäre Rushdie dagegen wurde dieses Bilderverbot
nicht tangiert. Dafür wurde damals argumentiert (und ich habe es damals
auch geglaubt, und viel Druckerschwärze für diese Theorie geopfert), es
sei besonders das Medium des Buches, auf das die Muslime als Angehörige
einer Buchreligion besonders empfindlich reagierten. Mittlerweile hat
sich jedoch ergeben, dass das Medium des Empörlichen keine große Rolle
spielt.*

*Zweitens: Auch die politische Couleur des vermeintlichen Empörers hat
nicht die Bedeutung, die ihr in vielen Stellungnahmen zum
Karikaturenstreit zugemessen wird. In der Affäre Rushdie ging es um
einen Alt68er, dem von konservativer Seite zur Last gelegt wurde, als
Linker nicht sensibel genug über Religion sprechen könne. Dagegen war es
im Karikaturenstreit eine Zeitung, die von Linken kritisiert wurde, dass
sie aus typisch konservativer Intoleranz gehandelt hätte. Offensichtlich
richtet sich die Empörung der Muslime aber nicht dagegen, dass die
Religionskritik von der einen oder der anderen Seite vorgebracht wird,
sondern dass überhaupt jemand ihre Religion kritisiert hat.*

*Drittens zeigt der Vergleich der beiden Fälle, dass auch Nähe oder
Distanz der Blasphemiker zu der von ihnen kritisierten Religion keine
Rolle spielen. Werden heute die dänischen Karikaturisten dafür
gescholten, dass sie eine ihnen doch so entfernte Religion aufs Korn
genommen haben, war es im Fall Rushdies genau umgekehrt. Damals wurde
als besonders schmerzhaft an der impliziten Religionskritik Rushdies die
Tatsache genommen, dass er als gebürtiger Muslim und mit einer guten
Kenntnis des Islam sich gegen die eigene Traditon wand. Noch im eingangs
zitierten Statement von Hassan Nasrallah wird Rushdie als „Apostat“
gegeißelt, d.h. als einer, der den eigenen Leuten nahe stand.*

Ein letzter und für mich subjektiv besonders wichtiger Unterschied der
beiden Fälle ist: Im Unterschied zu Salman Rushdies Roman von einer
hohen literarischen Qualität sind die Karikaturen einfach ästhetisch
jämmerlich schlecht. Es gibt ein Bonmot von Karl Marx, dass „alle großen
weltgeschichtlichen Tatsachen sich sozusagen zweimal ereignen: das eine
Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce". Statt einer Tragödie um die
ernsthafte Auseinandersetzung eines bedeutenden Schriftstellers mit
seiner Religion erleben wir in diesen Tagen die Farce, in der schwache
Karikaturen in einer geradezu irrsinnigen Weise bekämpft werden.



*5. Abschließende Gedanken*



Wir leben in einem Teil der Welt, in dem Religionskritik nicht als
wirkliches Problem gesehen wird. Im Gegenteil. Ich sehe mich selbst
geradezu als Repräsentant der religiösen Menschen in Mitteleuropa, die
es gelernt haben, der Religionskritik etwas abzugewinnen – schließlich
ist es ja lehrreich, wie andere Menschen sich die Welt erklären. So
freue mich zum Beispiel, mich in diesem Jahr an den großen Dichter und
Religionskritiker Heinrich Heine erinnern zu lassen, und habe keine
Angst vor dem Tag, an dem meine Kindern alt genug sind, dass ich mit
ihnen den Film „Das Leben des Brian“ anschaue.

Umgekehrt machen Affäre Rushdie und Karikaturenstreit klar, dass in
weiten Teilen der Welt nach wie vor eine schwere Bigotterie herrscht,
wie man sie auch aus der eigenen Geschichte kennt, und in die zumindest
ich nicht wieder zurück möchte. Als Theologe ist mir dabei wichtig, dass
man „Freiheit“ als einen theologischen Begriff festhält – wie es der
Apostel Paulus gesagt hat: /„Wo der Geist des Herrn ist, da ist
Freiheit“/ (2. Korinther 3, 17) oder /„Zur Freiheit hat uns Christus
befreit! So steht nun fest und lasst Euch nicht wieder das Joch der
Knechtschaft auflegen!“/ (Galater 5, 1). Gerade die Freiheit im
künstlerischen und religiösen Bereich ist nichts, was man je nach
Nachrichtenlage gewähren kann oder auch nicht. Sie ist keine
Beeinträchtigung, sondern eine Hilfe, in dieser Welt etwas von Gott zu
erkennen.

Deshalb bin ich auch kritisch gegenüber der Vorstellung Hans Küngs, ein
von den religiösen Führern gemeinsam erarbeitetes Weltethos könne aus
den gegenwärtigen Kulturkonflikten herausführen. Mir scheint da der
Teufel im Detail zu stecken: Der Vorschlag verkennt die geistige Enge,
in die auch die gutwilligen religiösen Führer stecken oder zu geraten
drohen.



Zum Abschluss noch eine letzte Idee: Wenn heutzutage in
Baden-Württenberg den Einbürgerungswilligen ein Fragenkatalog
unterbreitet wird, sehe ich dahinter durchaus eine berechtigte Absicht.
Auch ich halte es für notwendig, einer schleichenden Einschränkung
unserer Freiheiten durch die Einwanderung entgegen zu treten. Das Mittel
einer standardisierten Befragung ist jedoch in mehrfacher Hinsicht
problematisch. An den Fragen fand ich gut, dass sie auf einen
zusammengefassten, besser als den Grundgesetztext kommunizierbaren und
auf konkrete Themen hin explizierten Grundrechtekatalog hinaus laufen.
Ich denke jedoch, die Grundrechte sollten wesentlich einfacher
formuliert und memorierbar sein. Martin Luther hat in seiner Schrift
„Eine Unterrichtung, wie sich die Christen in Mose sollen schicken“ eine
Anregung gegeben, die man meines Erachtens beherzigen sollte. Über die
10 Gebote hat er gemeint: „wenn ich Kaiser wäre, würde ich ein Vorbild
für Gesetze daraus nehmen“. Meine vielleicht etwas utopische Vorstellung
ist: Europa würde angesichts der kulturellen Herausforderungen seine 10
Gebote für das 21. Jahrhundert formulieren. Es müsste von der
Menschenwürde die Rede sein, vom Recht auf Leben, vom Anfang bis zum
Ende, und auf körperliche Unversehrtheit, vom Verbot der Folter, von der
Gleichberechtigung der Geschlechter, von der Nichtdiskriminierung auf
Grund von rassischer, religiöse und sexueller Orientierung, von der
Freiheit der Meinungsäußerung und vom künstlerischen Selbstausdruck. Das
wären nach meiner Rechnung 10 Gebote für das Europa des 21. Jahrhunderts.



© Dr. Gereon Vogel Sedlmayr



Der Verfasser ist evangelischer Pfarrer in Passau und hat 1998 mit einer
religionswissenschaftlichen Arbeit über die Affäre Rushdie promoviert.



--
Dr. Gereon Vogel-Sedlmayr
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V. Zum Thema Religionswechsel

Vor noch wenigen Wochen waren die Schlagzeilen der Presse bestimmt von dem Todesurteil gegen Abdul Rahman in Afghanistan, weil er vom Islam zum Christentum wechselte. Dieses Urteil ist ja mittlerweile aufgrund massiver internationaler Proteste aufgehoben und Abdul Rahman ist in Ausland gegangen, aber die zwei folgenden Texte sind auch im Nachhinein noch interessant, denn ersterer erklärt die Ohmnacht der Menschenrechtsdeklaration in diesem Fall und zweiterer gibt die deutliche Verurteilung des Todesurteils seitens der deutschen islamischen Verbände wieder. Beide Artikel wurde mir von Dr. Jeannette Spenlen zugeschickt, die sie via amana-news@yahoogroups.de erhielt.


V.1. Religionswechsel umstritten

---Ursprüngliche Nachricht---
From:
To: "amana"
Subject: [amana-news] Religionswechsel umstritten FR 22.3.2006

FR 22.3.2006

Religionswechsel umstritten

Die Glaubensfreiheit zählt zu den Menschenrechten und beansprucht universale
Geltung. Aber diese Freiheit wird unterschiedlich interpretiert - damit beginnen die
Probleme.

VON ASTRID HÖLSCHER

Eindeutig erscheint Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948. "Jedermann hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit", heißt es da, wobei dies ausdrücklich die Möglichkeit einschließt, "seine Religion oder seine Weltanschauung zu wechseln". Auch wird niemand zum Gebet ins stille Kämmerlein verwiesen, sondern jeder darf seine Überzeugung "öffentlich oder privat durch Unterricht, Ausübung, Gottesdienst und Beachtung religiöser Bräuche bekunden".
Auf diesen Text kann sich allerdings der Afghane Abdul Rahman nicht direkt berufen. Bei der Menschenrechtserklärung handelt sich nur um eine politische Absichtsbekundung; sie hat keine unmittelbare Rechtswirkung.
Anders der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1966. Er stellt sozusagen die Ausführungsbestimmung der Menschenrechtserklärung dar und wurde von 149 Staaten ratifiziert, darunter vielen islamischen. Darin ist freilich nicht mehr von einem Recht auf Religionswechsel die Rede. Garantiert wird lediglich die Freiheit, "eine Religion oder eine Weltanschauung eigener Wahl zu haben oder anzunehmen".
Eine Einschränkung mit erheblicher Wirkung. In einer 2003 von der evangelischen Kirche herausgegebenen Broschüre "Bedrohung der Religionsfreiheit" schreibt der Trierer Staats- und Kirchenrechtler Professor Gerhard Robbers: "Diese Veränderung kam auf Verlangen muslimisch geprägter Staaten zustande, deren Religion den Wechsel vom Islam zu einer anderen Religion verbietet und in mancher extremen Ausprägung mit der Todesstrafe bedroht."
Die (verbindliche) Arabische Charta der Menschenrechte von 1994 garantiert zwar die Freiheit der Religion, unterwirft diese aber gesetzlichen Einschränkungen. Wie diese aussehen können, zeigt die Kairoer Erklärung über Menschenrechte im Islam, die 1990 sämtliche Rechte unter einen Scharia-Vorbehalt stellte. Es sei "verboten",heißt es da in Artikel 10, "auf einen Menschen in irgendeiner Weise Druck auszuüben oder die Armut oder Unwissenheit eines Menschen auszunutzen, um ihn zu einer anderen Religion oder zum Atheismus zu bekehren". In der Praxis bedeutet
dies, dass christliche Missionsversuche in islamischen Ländern in der Regel streng geahndet werden. Als krasses Beispiel moderner Christenverfolgung wird häufig der afrikanische Staat Nigeria angeführt, in dem etwa gleich viele Christen und Moslems leben. Dort hat der nordwestliche Bundesstaat Zamfara im Jahr 2000 das islamische Rechtssystem, die Scharia, eingeführt, von der Geschlechtertrennung in Bussen bis zur Steinigung von
"Ehebrecherinnen".
Doch selbst Nigeria, wo es zu erheblichen und zum Teil gewaltsamen Konflikten zwischen Christen und Moslems kam, ging nicht so weit, wie es jetzt in Afghanistan droht. Man habe Kompromisse gefunden, betonte Ahmed Sani Yerima, der Gouverneur von Zamfara. So würden Moslems, die zu einem anderen Glauben konvertierten, nicht mit der Todesstrafe bedroht. Auch in seiner Interpretation würde dies gegen die Religionsfreiheit verstoßen, die in der nigerianischen Verfassung garantiert ist.
Dokument erstellt am 21.03.2006 um 17:32:57 Uhr

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V.2. Deutsche Muslime gegen Todesstrafe in Kabul

---Ursprüngliche Nachricht---
From:
To: "amana"
Subject: [amana-news] Deutsche Muslime gegen Todesstrafe in Kabul netztg 22.3.2006

NETZEITUNG DRUCKVERSION: Deutsche Muslime gegen Todesstrafe in Kabul
URL dieses Artikels: http://www.netzeitung.de/deutschland/388402.html
22.3.2006

Deutsche Muslime gegen Todesstrafe in Kabul

Nach Auffassung deutscher Muslime gestattet der Koran auch einen Religionswechsel. Das Todesurteil gegen einen zum Christentum übergetretenen Afghanen zu verhängen, wäre deshalb nicht gerechtfertigt.

Islamische Verbände in Deutschland haben sich gegen die Todesstrafe für einen zum Christentum übergetretenen Afghanen ausgesprochen. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland appellierte am Mittwoch in Eschweiler an die afghanische Justiz, von einer Bestrafung Abdul Rahmans durch die Todesstrafe abzusehen. Der Koran untersage jeden Zwang in Glaubensangelegenheiten. Der Zentralrat bedauere jeden Abfall vom Islam, akzeptiere aber auch das Recht, die Religion zu wechseln.
Ali Kizilkaya, Vorsitzender des Islamrats für die Bundesrepublik Deutschland, sagte der Nachrichtenagentur epd, es gebe keine Rechtfertigung für die Todesandrohung. «Religion ist Überzeugungssache», betonte er. So wie man den Weg zu einer Religion finde, so müsse man auch die Möglichkeit haben, aus dieser auszutreten. Er hoffe, dass sich die afghanische Justiz die Klage fallen lasse. Kizilkaya sagte, er bedauere den Fall, der ein falsches Bild vom Islam gebe und dem Geist des Koran widerspreche.

Besorgt über den Fall äußerte sich auch der Zentralrat der Juden in Deutschland. Die Kritik an dem drohenden Todesurteil für Abdul Rahman habe nichts mit einer Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Landes oder gar westlicher Arroganz zu tun, sagte Stephan J. Kramer, Generalsekretär des Zentralrats. «Wenn (...) einem Menschen in Afghanistan der Tod nach den Gesetzen der Scharia drohe, weil er einen anderen Glauben angenommen hat, dann ist das schockierend und keinesfalls hinnehmbar.»

Kramer betonte, die religiöse Autonomie in einem Land habe dort ihre Grenzen, wo Menschenrechte außer Kraft gesetzt würden. Die Religionsfreiheit sei sowohl in der afghanischen Verfassung als auch in der internationalen Menschenrechtskonvention garantiert, erläuterte er. «Angesichts dieses Falles müsse man sich fragen, ob die Regierung in Kabul vor den religiösen Fundamentalisten im eigenen Land kapituliert», so Kramer. Er forderte, alles zu tun, damit die Regierung in Kabul «dieser rückwärtsgewandten Entwicklung in Afghanistan Einhalt gebietet und das drohende Todesurteil für Abdul Rahman verhindert».

Rahman, der lange in Deutschland lebte, war im Februar festgenommen worden, weil seine Familie ihm Glaubenswechsel vorgeworfen hatte. Der Angeklagte war vor 16 Jahren zum Christentum übergetreten, als er für eine Hilfsorganisation in Pakistan arbeitete. Er kehrte aus Deutschland in seine Heimat zurück, um sich um das Sorgerecht für seine bei den Großeltern lebenden beiden Töchter zu bemühen. Im Streit darum wurde der Glaubenswechsel den Behörden bekannt und Rahman verhaftet. (nz)

MEHR IN DER NETZEITUNG
Vaatz warnt vor überzogener Kabul-Kritik
http://www.netzeitung.de/deutschland/388385.html
Politiker fordern mehr Druck auf Afghanistan
http://www.netzeitung.de/deutschland/388322.html
Afghanistan über deutschen Protest empört
http://www.netzeitung.de/ausland/388308.html
Christen-Prozess: Steinmeier will eingreifen
http://www.netzeitung.de/deutschland/388259.html
Grüne Beer: EU-Hilfe für Afghanistan aussetzen
http://www.netzeitung.de/spezial/europa/388416.html
Islam sieht in Religionswechsel Verrat
http://www.netzeitung.de/ausland/388398.html

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VI. Berichte und Kommentare

Es folgen hier einige Berichte und Kommentare von mir. Ich dachte mir nämlich, dass ich ja nicht immer nur Konuerte, CDs oder Bücher rezensieren kann, sondern auch zu besuchten Tagungen, Podiumsdiskussionen und Ausstellungen was schreiben kann.

VI.1. „Islamisches Denken im Wandel und die Europäische Aufklärung“. Tagung des Annemarie Schimmel-Forums für Interreligiöse und Interkulturelle Verständigung e.V. am 21./22.1.2006 im Haus der Evangelischen Kirche in Bonn


Bericht:

Diese Tagung lag noch nicht im Schatten der jüngsten Karikaturen-Debatte. Was in fünf Einzelvorträgen und fünf Podiumsdiskussionen mit Öffnung zum Plenum an diesen zwei Tagen gesagt wurde, kann ich hier nur anreißen.

Der Samstagvormittag bestand aus diversen Grußworten und drei Vorträgen:

Mohammed A. Hobohm, Vorsitzender des Annemarie-Schimmel-Forums, sagte in der Begrüßungsrede, die muslimischen Verbände seien eher konservativ und restaurativ, legten sehr viel Wert auf Formen wie Kleidung, Schächtung usw., hielten an gängigen Koran- und Sunna-Auslegungen fest, und eine moderne Theologie der Integration und Konvivenz stehe noch aus. Dr. Gualtiero Zambonini, WDR-Beauftragter für Integration und kulturelle Vielfalt, meinte, der Islam könne uns Europäern wertvolle Impulse geben. Günter Knabe, Diplomatischer Korrespondent der Deutschen Welle für Asien und die Islamische Welt, erklärte, dass die Deutsche Welle ein Bild von Deutschland nach außen vermittele, eben auch in die islamische Welt hinein, und auch vom muslimischen Leben in Deutschland, wobei theologische Fragen aber ausgeklammert würden.

Dr. Murad W. Hofmann, der für seine Konversion zum Islam bekannte deutsche Botschafter a.D., kritisierte, dass der deutsche Staat von den Muslimen immer einen gemeinsamen Ansprechpartner wünsche, was er von Christen nicht erwarte. Der Islam sei aber von anfänglichen familiären und politischen Zwistigkeiten ausgehend theologisch so vielgestaltig, dass dieser Wunsch nicht erfüllbar sei. Zusätzlich zur traditionellen Vielfalt und den vier sunnitischen Rechtsschulen bilde sich momentan anscheinend eine neue, euro-amerikanische Rechtsschule durch Fatwa-Räte heraus, die sich mit modernen Problemen wie Gentechnik, auseinandersetzen. Eine neorationalistische Renaissance sei im Islam im Kommen, aber habe eine starke Gegnerschaft im Traditionalismus und Fundamentalismus.

Prof. Dr. Mohammed Arkoun aus Paris forderte eine neue Aufklärung nachdem die alte im Nationalismus entgleist sei. Auch im Islam habe es eine Aufklärung gegeben, die aber in der Reaktion auf die Kreuzzüge stecken geblieben sei. (Sein auf Französisch gehaltener Vortrag war zu komplex und auch teilweise konfus, da hatten die Übersetzerinnen Schwierigkeiten, und nicht nur sie.)
Später sagte er noch, man solle Prämissen überprüfen, zum Beispiel die Prämisse von der Unterscheidung zwischen göttlicher Offenbarung und menschlicher Vernunft. Was historisch und politisch aus der Aufklärung geworden sei, sei nicht die Aufklärung selbst.

Prof. Dr. Tariq Ramadan aus Paris, seines Zeichens Idol der jungen muslimischen Intelligenzia, kritisierte eine Reduktion der Vernunft auf den hellenestischen Ansatz, in dem es um einen Kampf des Menschen gegen die Autorität des Göttlichen gehe. Um die heutige Krise zu überwinden, müsse man einen Ansatz wählen, den auch Muslime mitvollziehen können. Für einen europäischen Ansatz der Aufklärung sei der Islam nur ein Hindernis, denn man könne nicht gleichzeitig auf dem Islam beharren und modern und wissenschaftlich sein. Muslime idealisierten oft die Vergangenheit und verträumten die Zukunft. Wichtig sei die Frage, warum wann und was in der Geschichte passierte. Muslime müssten sich der dominanten Realität der Welt anpassen und bräuchten eine Reform und eine neue Überarbeitung der Quellen, worin die Zusammenhänge neu gesehen werden müssten. Muslime müssten sich als Vernunftwesen sehen und sich selbst vertrauen, wie nahe sie Gott sind. Sie wollten Vernunft und Glauben in Harmonie bringen, das könne ein Beitrag des Islam für unsere Gesellschaft sein. Die tiefe Krise des Islam sei ein Mangel an Selbstvertrauen. Muslime glaubten oft, sich verteidigen zu müssen, weil die Mehrheitsgesellschaft sie als Gefahr ansehe, wodurch das positive Selbstvertrauen gelähmt werde. Muslime sprächen zu oft von ihren muslimischen Werten, anstatt von universellen Werten. Die heutige Wirtschaft lasse 80000 Menschen pro Tag zurück. Muslime müssten auf eine islamische Ethik zurück kommen und mit den Mitteln der Tradition die Welt zu einem Besseren wenden, dem stimmten auch Christen, Buddhisten, Atheisten und andere zu. Muslime müssten kreativer sein und tiefe Gläubigkeit mit kritischem Denken verbinden. Niemand, auch keine Gruppe, solle elitär für die Gemeinschaft denken, sondern jeder einzelne solle das selbständig tun.

Nach dem reichhaltigen und kostenlosen Mittagsbuffet ging es zunächst mit einer Diskussion zwischen Manfred Kock von der EKD und Prof. Dr. Mohammed Kalisch vom Lehrstuhl „Religion des Islam“ der Univ. Münster über Spiritualität, Rationalität und Gesetz weiter:

Koch sagte, christliche Spiritualität resultiere aus der Freiheit, die Gott dem Menschen gebe. Glaube sei eine Lebensgestalt und Rationalität ein kleiner Anfang davon.
Kalisch sagte, die islamische Spiritualität sei im Menschenbild angelegt, da der Mensch Träger des Geistes sei. Im Koran sei die direkte Beziehung zwischen Mensch und Gott wichtig. Nach dem sunnitischen Ansatz könne Rationalität nicht zur Religion im Widerspruch stehen, aber es gebe Dinge jenseits des vernünftig Erreichbaren. Die 12er Shi’a sage dagegen, Ratio sei primär, und die Offenbarung bestätige nur. Der Geist (Ru’h) sei ein Teil der Schöpfung und Manifestation Gottes, so wie alles Erschaffene aber nicht identisch mit Gott. Vernunft sei nicht das selbe wie Intelligenz. Auch die Offenbarung solle man vernünftig auslegen und nicht meinen, zum Beispiel im Koran erwähnte Strafen seien von Gott als für alle Zeiten gültig gewollt.
Kock sagte, die Bibel müsse man von ihrer Mitte, nämlich der Liebe Jesu her verstehen und nicht als Paragraphenbuch.
Kalisch erklärte, er vertrete nicht die Mehrheit der Muslime, sondern befinde sich am äußersten rationalistischen Rand der Koraninterpretation, aber Muslime hätten immer interpretiert. Die Offenbarung habe in Raum und Zeit stattgefunden und sei nicht in allen Formulierungen überall und immer gültig.
Hock ergänzte, Spiritualität, Innerlichkeit, Erbauung ohne soziale Verantwortung sei schlecht.

Anschließend gab es einen Vortrag von Prof. Dr. Abdulkarim Sorush aus Teheran und Berlin, in welchem er sagte die Menschenrechte würden von vielen Muslimen wegen ihrer teils christlichen, teil weltlichen Herkunft, und weil in Ländern wie dem Iran hauptsächlich marxistisch orientierte Intellektuelle sie propagierten, kaum akzeptiert. Andererseits würden die Menschenrechte von diesen marxistischen Intellektuellen oft als Irreführung der Menschen durch das Bürgertum gesehen. Zudem seien die Mächte, die sich die Menschenrechte auf die Fahne schrieben, oft unehrlich. Zudem gebe es Regeln in den Menschenrechten, die für Shari’agläubige ein Schlag ins Gesicht seien. Aber es sei Gottes Aufgabe, und nicht die der Menschen, Menschen für Verstöße gegen den Koran zu bestrafen. Über die Bibel sagte er, indem er sich auf einen Autor berief, dessen Namen ich nicht verstand, dass darin nie von Rechten die Rede sei, sondern Bibel und Koran betonten die Pflichten der Menschen. Pflichten und Rechte aber gehörten zusammen, während man heute die Priorität all zu sehr auf die Rechte lege. Laut Koran müsse man Gott gehorchen und dürfe ihn nicht in Frage stellen, aber auch Gott möchte sich rechtfertigen, das sei in die Rationalität eingebettet, in der auch die Menschenrechte verankert seien. Das zu verbreiten sei die Aufgabe der Prediger, Theologen und so weiter. Idschtihad, also sie immer weiter gehende Interpretation des Koran, sei wichtig.

Nach einer Kaffeepause gab es eine Diskussionsrunde über kooperative Beziehungen zwischen Staat und Religion, an der Prof. Dr. Ernst Gottfried Mahrenholz, Vizepräs. des Bundesverfassungsgerichts a.D. und wieder die Herren Soroush und Hofmann teilnahmen. Mahrenholz sagte, die Anwesenheit von zwei bis drei Millionen Muslimen in Deutschland bliebe bestehen, denn diese Muslime seien hier zu Hause. Eine halbe Millionen Muslime seien deutsche Staatsbürger. Das Ziel der Integration sei ein funktionierendes Beziehungsgeflecht vom Kindergarten an. Ein Kopftuchverbot für Kindergärtnerinnen sei integrationsgefährdend. Für Ehrenmorde beschuldigten wir oft alle Muslime, für das Verhungernlassen von Kindern aber nicht alle Deutschen. Es fehlten Migrations- und Rassenthemen in Schul- und Kindergartenbüchern. Obwohl wir eine brainbased economy seien, förderten wir nicht alle Begabungen der Schüler in den Schulen. Es sei falsch, dass die Türkei die DITIB-Imame immer wieder abrufe. Vielmehr sollten die Imame in Deutschland ausgebildet werden, so wie in Österreich auch schon dort arbeitende Imame ausbildet würden. Er schloss mit der Frage, ob die hier lebende zweite und dritte Generation von Muslimen hier in Deutschland ein Heimatgefühl habe.
Hofmann sagte, es gebe außer dem Iran keinen muslimischen Staat, der als Gottesstaat bezeichnet werde. Glaube und Staat (din wa daula) seien auch im Islam zwei verschiedene Dinge, und es werde eine harmonische Beziehung verlangt zwischen ihnen, keine Einheit. In Großbritannien und Frankreich sei diese harmonische Beziehung nicht vorhanden, in Deutschland schon eher. Das, was in Deutschland an Religions-Staats-Beziehung zwischen Christentum und Staat da sei, solle auch auf das Verhältnis zwischen Muslimen und Staat übertragen werden.

Abends gab es ein Konzert, auf das ich schon im Rahmen meiner Musikrezensionen im interrel. Rundbrief Nr. 119 eingegangen bin.

Am Sonntag kam ich wegen eines Zwischenfalls in der Stadtbahn etwas später und bekam von Prof. Dr. Yasemin Karakasoglus Vortrag über Islam und interkulturelle Bildung nur noch einen Teil mit. Sie sagte, Lehrer könnten interkulturelle Konflikte in Klassen unbeabsichtigt verschärfen oder mit verursachen, wenn sie zu emotional reagierten. Einige muslimische Pädagogen wollten ethnische Traditionen durch reine islamische Lehre ersetzen.

Anschließend gab es eine Diskussion zwischen Prof. Mona Siddiqui von der School of Divinity in Glasgow, Prof. Dr. Cilija Harders, von der Ruhr-Univ. Bochum und wieder Frau Karakasoglu über die Rolle der Frau im Wandel des islamischen Denkens.
Siddiqui sagte, Frauen dächten über Religion meistens im Sinne von Überzeugung und Kontext. Die starken Frauen im Koran hätten auch nicht den Männern widersprochen und seien insofern keine Vorbilder für die echte Gleichberechtigung. Die Geschichte müsse also neu geschrieben werden. Viele Frauen hätten aber auch kein Interesse an einer Veränderung. Das Wort Gottes sei zu respektieren, aber es sei nicht alleiniger Maßstab für komplexe individuelle Entscheidungen. Islamische Probleme dürften aber nicht homogenisiert werden. Immer wenn man sich auf die Schrift berufe, müsse man sich an eine bestimmte Lesart halten. Die Schrift sei wichtig, ohne sie gehe es nicht, aber sie müsse neu ausgelegt werden. Die Menschenrechtsdebatte sei wichtiger als die Frauenrechtsdebatte. Hindernisse für die Menschenrechte lägen darin, dass viele Menschen sich an bestimmte Schriftauslegungen klammerten. Heute seien muslimische Gemeinschaften meist sehr konservativ, lehnten Liberalität ab aus Angst, sonst den Glauben zu verlieren.

Am weiteren Vormittag gab es eine Diskussionsrunde zwischen Peter Philipp von der Deutschen Welle, Prof. Dr. Henke vom WDR und Prof. Dr. Kai Hafez von der Univ. Erfurt über die Frage, ob Medien Kulturbrücken seien. moderiert von unserm Ex-Bonner, jetzt Erfurter Islamwissenschaftler Prof. Dr. Jamal Malik.
Philipp sagte, vor dem 11.9.2001 habe man ganz anders über den Islam berichtet als heute. Die Berichterstattungen hätten quantitativ zugenommen, aber viele Journalisten hätten sich gar nicht in dem Themengebiet ausgekannt. Sehr wichtig sei eine richtige Sprachfindung, um nicht Vorurteile zu bedienen.
Malik brachte die Wortschöpfung „Veranderung“, also mit a, nicht mit ä, was bedeute, dass man in diesem Prozess das Fremde im Anderen betone und in so immer fremder, immer mehr zum Anderen mache.
Henke betonte, dass der WDR als einziger Sender einen Integrationsbeauftragten habe. In Fernsehkrimis gebe es eine positive Diskriminierung von Schwarzen, Türken und anderen Minderheiten, die nie als Täter, höchstens mal als Verdächtige dargestellt würden.
Hafez thematisierte die Schimmel-Kontroverse von 1995 nach Annemarie Schimmels Bemerkung über die Rushdie-Affaire bei Sabine Christiansen, in welcher sie Verständnis für die Reaktion der Muslime gezeigt habe, was ihr als Gutheißung des als Fatwa erlassenen Mordaufrufes ausgelegt worden sei. Schimmel habe deswegen anschließend mit dem Medien nichts mehr zu tun haben wollen. Sie habe durch die Kontroverse ihr toleranzförderndes Lebenswerk in Gefahr gesehen. Mit den modernen Medien sei sie nicht zurecht gekommen. Positiv an der Debatte sei aber gewesen, dass so viele Menschen erstmals mit der Thematik konfrontiert worden seien. Die Öffentlichkeit sei viel interessierter an der politischen Seite des Islam, des Judentums und so weiter als an der spirituellen. Die medialen Berichte über den Islam hätten eine Schieflage, denn 60 bis 70 % der Berichte über den Islam hätten mit Gewalt zu tun, was sich dann bei den Menschen wiederspiegele. Es herrsche eine „aufgeklärte Islamophobie“, das heiße, einerseits eine differenzierte und aufgeklärte Sichtweise, andererseits eine gewaltzentrierte Themenfindung. Journalisten seien oft sehr selbstkritisch, aber redaktionelle Plätze für andere Berichterstattungen gebe es zu wenige. Wir bräuchten eine umfassende Reform des Auslandsjournalismus. Zu viele Terrorismusberichterstattungen nützten vor allem den Terroristen.
Philipp hielt dagegen, die Gewalt sei eben da und die Medien berichteten darüber, die Journalisten erfänden doch nicht die Gewalt und die Konflikte. Wenn sie falsch darüber berichteten, sei das zu bedauern, aber es gebe ja viele Hintergrundberichte in den dritten Programmen, auf ARTE und in den Zeitungen, nur könne das Publikum nicht dazu verdonnert werden, diese zu verinnerlichen.
Henke sagte, Spiritualität oder gar Konfessionalität im Fernsehen werde von vielen Menschen nicht gewollt, teilweise komme es aber doch vor.
Hafez forderte, man solle Muslime als Muslime ansprechen, wenn es um die Religion gehe, aber nicht bei anderen Themen. Medien beeinflussten auch die Menschen.

Nach dem Mittagessen gab es für die Abschlussdiskussion das Thema „Muslime in Deutschland zu den Themen des Symposiums“, und so saßen Vertreter des Zentralrates der Muslime in Deutschland (ZMD) Dr. Ayyub Axel Köhler, des Islamsrates für die Bundesrepublik Deutschland Ali Kizilkaya, des Zentrums für Islamische Frauenforschung und Frauenförderung (ZIF) Dr. Sabiha El-Zayat und der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs Oguz Ücüncü auf dem Podium.
Kizilkaya beurteilte die Diskussionen des Symposiums eher als ein Neben- als ein Miteinander und fragte, wie man sich als Muslim denn integrieren solle.
Ücüncü sagte, muslimische Jugendliche begeisterten sich sehr oft für bestimmte Dinge, aber nicht für den normalen Moscheealltag, so wie christliche Jugendliche bezüglich der Kirchen auch.
Köhler bezeichnete sich als Kosmopolit und Deutschland als seine Heimat. Es sei wichtig, Muslime in der abendländischen Welt zu beheimaten vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen Herkunft. Zur Heimat gehöre die Möglichkeit, den eigenen Glauben leben zu können. So frage er sich manchmal, ob das hier auch wirklich seine Heimat, seine Republik sei. Sie als Muslime müssten sich bewegen, aber Berufsverbote und so weiter engten die Entwicklungsmöglichkeiten ein. Ohne Freiheit aber gebe es keine Entwicklung.
El-Zayat sagte selbstkritisch, dass sie Muslime die Brückenbauer oft zu sehr instrumentalisierten und es ihnen dadurch schwer machten. Sie sollten sich auch zurückhalten mit der Hermeneutik für andere. Aufrichtigkeit und Objektivität in den Debatten seien wichtig.
Köhler forderte, die vier großen muslimischen Verbände sollten zusammen halten, aber auch die Politiker sollten sie nicht durch unterschiedliche Bevorzugungen auseinander dividieren.

Ich erinnere mich im Zusammenhang mit dieser Abschlussdiskussion auch an eine Bonner Schülerin, die erzählte, wie sie ihre negativen Vorurteile gegenüber dem Kopftuchtragen einer muslimischen Mitschülerin dadurch abgebaut habe, dass sie diese persönlich angesprochen und so kennen gelernt habe. Sie wünschte sich auch einen gemeinsamen Religionsunterricht aller Schülerinnen und Schüler, nicht getrennt nach religiöser Zugehörigkeit, denn durch den getrennten Religionsunterricht sei eine gemeinsame Werteerziehung nicht gewährleistet und das Zusammengehörigkeitsgefühl werde nicht unterstützt. Sie selber sei vom der katholischen zur evangelischen Kirche gewechselt, um eben selbst eine Entscheidung zu treffen und sich in religiösen Fragen nicht bevormunden zu lassen. Ihr Vorschlag wurde vom Podium einstimmig abgelehnt, unter anderem mit der Begründung, Kinder sollten zuerst einmal ihre eigene Religion richtig kennen lernen, bevor sie an andere Religionen heran geführt werden sollten, und dazu sei ein konfessionell getrennter Religionsunterricht notwendig. (Vgl. dazu VIII.1.)

Prof. Dr. Stefan Wild, unserem emeritierten Bonner Islamwissenschaftler oblag es, ein Schlusswort des Symposiums zu sprechen. Er lobte die gute Selbstkritik auch der gerade der Muslime auf der Tagung. Aufklärung, Moderne und Säkularisierung bedürften auch radikaler Kritik. Ein Panel zur Gender-Thematik sollte aber gemischtgeschlechtlich besetzt sein, denn das sei kein reines Frauenthema, sondern gehe Frauen und Männer gleichermaßen an. Desgleichen sollten Frauen bei den anderen Themen stärker vertreten sein.


Kommentar:

Und nun mein persönlicher Eindruck des Symposium, das ich hier der Einfachheit halber an meinen Notizen entlang hangelnd dokumentiert habe. Zunächst herzlichen Dank an Ghulam -D. Totakhyl und seine Mitarbeiter(innen) des Annemarie-Schimmel-Forums für die Organisation, die Einladung und auch für das super leckere und zudem kostenlose Essen! Für das Kostenlose auch Dank an die Robert Bosch Stiftung, die Stiftung Internationale Begegnung der Sparkasse Bonn, den Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland und die Islamische Gemeinschaft in Deutschland, die das Symposium förderten. Inhaltlich habe ich den Eindruck, dass es ganz gewaltig gärt. Es ist vieles in Bewegung innerhalb der islamischen Welt in Deutschland, sowohl was gemeinschafsinterne, als auch was nach außen kommunizierte Diskurse anbelangt. Selbstbehauptung und Anpassung wetteifern miteinander, die richtige Strategie zu sein. Vieles davon wird von Nichtmuslimen gar nicht wahrgenommen, weil die Massenmedien es zu wenig thematisieren und persönliche Kontakte oft an der Oberfläche bleiben. Solche Symposien erreichen zunächst auch nur einige Hundert teilnehmende Menschen, und auch beim Notizenmachen gehen hinterher wieder viele Details verloren. So viel ich weiß, haben die Bonner Zeitungen gar nicht darüber berichtet, weil es irgendeinen Clinch zwischen ihnen und dem Annemarie-Schimmel-Forum gibt, den ich nicht beurteilen kann. Und ganz klar gibt es überall, wo Interessen vertreten werden, auch Klüngel und Lobbyismus, ob innerhalb der muslimischen Verbände oder innerhalb der Medien und politischen Einrichtungen, die mit ihnen zu tun haben. Ich würde idealistisch gerne fordern: Lasst ihn sein, er schadet mehr als er nützt. Aber realistisch muss man sehen, dass es zum Beispiel bezüglich der christlich-kirchlichen Unterstützung der Idee eines von den islamischen Verbänden geleiteten Religionsunterrichtes auch sehr stark um Eigeninteressen der Kirchen gegenüber des zum Beispiel von der Schülerin geforderten gemeinsamen Unterrichtes für alle geht. Den Unterricht zu gestalten bedeut aber auch Einfluss auf die religiösen Vorstellungen der Kinder zu haben, und dieses Heft möchte sich keine religiöse Institution gerne aus der Hand nehmen lassen. Was ich vermisse in solchen Fragen ist ein echter herrschaftsfreier Diskurs. Die muslimischen Verbände wollen von der ohnmächtigen Randstellung weg kommen und so einflussreich wie die christlichen Kirchen werden, und wo es um Einfluss und Macht geht, da bleiben individuelle Interessen von Eltern und Kindern oft auf der Strecke. Aber selbstverständlich ist den Verbänden das Recht zuzusprechen, die Menschen in der Öffentlichkeit zu vertreten, die ihnen dazu ein Mandat gegeben haben, nicht aber im Namen aller Muslime zu reden. Auch die staatlichen Behörden dürfen von den Muslimen nicht verlangen, sich von einem Verband vertreten zu lassen, ungeachtet der inneren Pluralität der Auffassungen, denn es werden auch nicht alle Christen von einer gemeinsamen Kirche vertreten. Man sollte dazu kommen, dass wer sich vertreten lassen will, einen Mandatsträger benennt, und dieser auch nur die Mandatsgeber vertritt, aber nicht alle, die sich irgendwie auch mit seiner Religion identifizieren. So zumindest interpretiere ich eine sinnvolle Fortführung der Aufklärung, die von mündigen Individuen ausgeht und nicht von fremdgeleiteten Kollektiven. In dieser Beziehung gibt es noch viel Diskussionsbedarf, und Symposien wie dieses sind geeignete Orte dafür, reichen aber alleine nicht aus, sondern diese Diskussionen müssen überall geführt werden, wo diese Thematik die Menschen angeht. Vielleicht regt ja diese meine Dokumentation auch dazu an, das würde ich mir wünschen.


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VI.2. ZERG-Workshop „Fundamentalismus in den Religionen“ im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland am 27.1.2006

Bericht:

Das Zentrum für Religion und Gesellschaft der Universität Bonn (vgl. auch III.) lud für einen Nachmittag zu einem öffentlichen Workshop über Fundamentalismus in den Religionen ein, also nicht nur im Islam und im Christentum.

Folgende Vorträge standen auf dem Programm:

- Thematische Einführung durch die Veranstalter
- Wout van Bekkum (Groningen): Historical perspectives of modern Jewish fundamentalism
- Erich Geldbach (Bochum): Fundamentalismus im Christentum: Historische Herleitung und Erscheinungsformen (auch in Deutschland)
- Stephan Conermann (Bonn): Gemäßigter und radikaler islamischer Fundamentalismus – ein und dasselbe Phänomen?
- Manfred Hutter (Bonn): Die Konstruktion des ‚reinen’ Buddha-Wortes: Fundamentalistische Intentionen und Auswirkungen im modernen Theravada-Buddhismus
- Hermann Kulke (Kiel): Hindu-Nationalismus oder Hindu-Fundamentalismus?
- Diskussion mit einem Einleitungsstatement von Werner Gephart (Bonn)

Für die Veranstalter sprach der evangelische Theologe Prof. Dr. Michael Meyer-Blanck und sagte, Fundamentalismus, da seien wir immer dagegen, und Fundamentalisten seien wie die Terroristen immer die Anderen. Fundamentalismus sei eine moderne Erscheinung, und zwar eine Sichtweise, die sich gegen die Moderne richte, zum Beispiel gegen die moderne, historisierende Sichtweise der Heiligen Schriften. Fundamentalismus sei nicht vormodern, sondern antimodern, was nicht das selbe sei. Für Fundamentalisten sei Gott nicht mehr das Geheimnis der Welt, sondern ein Universalschlüssel der Welterklärung. Der Fundamentalismus dürfe nicht einseitig erklärt werden, auch nicht soziologisch, exegetisch, islamwissenschaftlich, theologisch oder wie auch immer. Er stellte die Frage, ob es einen Fundamentalismus der Moderne gebe und erwähnte einen Muslim, der vor 15 Jahren auf der Trialogtagung in Lokkum gesagt habe, es gebe nichts eurozentrischeres als den interreligiösen Dialog, denn bei diesem gewännen immer die weißen, gebildeten Europäer. Meyer-Blanck schloss seine Einleitung mit drei Fragen: 1. Welche Rolle spielt unsere Aufklärung? 2. Sollte man überhaupt von Fundamentalismus reden? 3. Wie kann man wissenschaftlich und bildungsbezogen fundamentalistischen Tendenzen begegnen.

Prof. Dr. Wout van Bekkum von den Middle East Studies in Groningen erklärte historische Perspektiven des jüdischen Fundamentalismus aufgeteilt in fünf Perioden, nämlich die Bibel, die Geschichte, den Rabbinismus, das Mittelalter und die moderne Zeit. In der Bibel machte er ein mythisches Repertoire der jüdischen Tradition aus, welches einen Genozid an der im verheißenen Land lebenden Bevölkerung während der Landnahme, die Exklusivität des auserwählten Volkes, den in kriegerische Auseinandersetzungen parteinehmend eingreifenden Gott, die Propheten, die die Identität des jüdischen Volkes gegenüber den anderen Völkern stärkten und die Heiligkeit religiöser Symbole beinhalte. Als Geschichte beschrieb er die Zeit der Königreiche Judäa und Israel, des Exils mit dem Leiden und der Antwort darauf, den jüdischen Nationalismus der Makkabäer und Hasmonäer (deren Bücher übrigens in der christlichen Bibel, nicht aber in der jüdischen enthalten seien), die Fragmentierung der jüdischen Gesellschaft und die römische Besetzung des Landes mit der Zerstörung des Tempels 70 chr. Zr. und dem Bar-Kochbar-Aufstand 132-135 chr. Zr.. Als Rabbinismus stellte er den Einfluss des Hellenismus, den Anti-Messianismus, das moralische Judentum und die das Diaspora-Judentum dar. Für das Mittelalter stellte er den Mystizismus, Messianismus und Millenarismus dar, ging auf Moses Maimonides ein, erklärte den Sabtinismus und Hasidimismus als Pseudomessionaismus und ging auf die Auseinandersetzung mit Christentum und Islam ein. Für die moderne Zeit ging er auf die Einflüsse der Aufklärung, des Säkularismus ein und dann auf den Holocaust und den Zionismus, sowie auf das israelisch-palästinensische Verhältnis zuerst bis, dann seit 1967, wobei ersteres durch Kolonialismus, Nationalismus und Patriotismus und zweiteres durch Besetzung, Fundamentalismus und Fanatismus gekennzeichnet sei. Des weiteren sei die israelische Gesellschaft durch Autorität, territoriale Fragen, das Verhältnis zu den Arabern und die Suche nach Frieden bestimmt, sowie durch unterschiedliche Interpretationen der Bedeutung des Tempelberges. Eine besondere Bedeutung spielten dabei dann auch christliche Bibelfundamentalisten in den USA.

Prof. Dr. Erich Geldbach, baptistischer Theologe an der Ruhr-Univ. Bochum, gab einen historischen Überblick über die Entstehung des Fundamentalismusbegriffes. Der US-Bürgerkrieg 1861-65 habe die Idee des gottverheißenen Amerikas beendet. Es habe in den USA zu dieser Zeit jeweils zu 50 % Stadt- und Landbevölkerung gegeben, aber die vielen Einwanderer, darunter viele Katholiken, hätten die Stadtbevölkerung stark anwachsen lassen, wodurch die Protestanten sich bedroht gefühlt hätten. Zu dieser Zeit sei auch die Evolutionstheorie aufgekommen. Das I. Vaticanum habe das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes gebracht, dem die Protestanten sodann das Dogma von der Unfehlbarkeit der Bibel entgegen gestellt hätten. Fundamentalismus in diesem Sinne sei ein besonderes Erkenntnisprinzip in Bezug auf die Heilige Schrift, die für Fundamentalisten keine Fragen, sondern Fakten liefere. Deren Exegeten suchten nach diesen Fakten, so wie Naturwissenschaftler die Natur erforschten. Ihr Prinzip bestehe im „rightly deviding the word of truth“, also im Auseinandernehmen der Bibel, um ihre Teile einzelnen Heilsabschnitten zuzuordnen. Die hätten fünf Fundamentalien formuliert: 1. die Unfehlbarkeit der Bibel, 2. die Gottessohnschaft Jesu, 3. das Sühneopfer Jesu, 4. die historische Wahrheit der Wunder der Bibel und 5. die leibliche Wiederkunft Jesu. Warum aber gerade diese fünf Lehrinhalte so betont wurden, werde von den Fundamentalisten nicht gerechtfertigt. Diese fünf Punkte seien Absolventen des Union Colleges in New York abgefragt worden, und zu prüfen, ob sie sich als Pfarrer eigneten. Die Kirche wird von derartigen Fundamentalisten als zu Pfingsten vom Heiligen Geist gegründet verstanden und das „Vater unser“ als vorpfingstlich gesehen und oft gar nicht gebetet. Wichtig sei ihnen der Entrückungsglaube und verbunden damit der Glaube, dass nach der endzeitlichen Entrückung der christlichen Gemeinde der Staat Israel als Heimstatt der Juden eine heilsgeschichtliche Bedeutung habe. Die Zeitgeschichte werde heilsgeschichtlich gedeutet, so die Eroberung Jerusalems durch die Briten im I. Weltkrieg, die Grundsteinlegung für die Einwanderung der Juden in der Belfour-Erklärung, das Entstehen der Sowjetunion als „Königreich aus dem Norden“ der Apokalypse interpretiert. Letzteres sei nach dem Zusammenbruch der SU auf die islamischen GUS-Staaten übertragen worden. Der Fundamentalismus sei zudem maskulin, nach Paulus’ berüchtigtem Wort, dass die Frau in der Gemeinde zu schweigen habe. Er wachse in den USA hauptsächlich durch Geburten, weniger durch Neubekehrungen. 1925 hätten sie in Tennessee den sogenannten Affenprozess verloren, in dem die Frage nach der Schöpfung in sechs Tagen als nicht wörtlich zu nehmen erklärt worden sei. Danach sei dann der Fundamentalismus als nicht ernst zu nehmen erklärt worden, und man habe sein baldiges Verschwinden erwartet. Das sei nun aber nicht geschehen. Einfallstore für diesen Fundamentalismus in Deutschland seien 1. alternative theologische Ausbildungsstätten zum Beispiel in Basel und Gießen, 2. der Bibelbund, 3. Literatur und 4. der Kreationismus, der wieder verstärkt um sich greife. Die Fundamentalisten bezeichneten sich selber gerne als „Bibeltreue“, wohingegen nicht alle Evangelikalen Fundamentalisten in diesem Sinne seien, sehr aber anfällig, welche zu werden.

Prof. Dr. Stephan Conermann, Chef der Bonner Islamwissenschaft, sagte, bis ins 19. Jahrhundert hätten Muslime das Gefühl gehabt, die besttaugliche und erfolgreichste Religion zu haben, bis dann Europäer muslimische Staaten besetzt und neue Ideen hinein gebracht hätten, unter anderem durch Zeitschriften. Als Gegenreaktion hätten einige muslimische Intellektuelle den Islamismus erfunden, dessen Ziel ein Gegenmodel zur europäischen Gesellschaft sei. Einer seiner bekanntesten Vertreter Sayyid Qutb, dass kein Land wirklich islamisch sei und es legitim sei, gegen die vom Glauben abgefallenen Herrscher gewaltsam vorzugehen und gemäß der Shari’a zu bestrafen. Das sei dann Dschihad.

Prof. Dr. Dr. Manfred Hutter, unser Bonner Chef der Religionswissenschaft, betonte, dass Fundamentalismus ein moderne Anti-Modernismus sei. Im 18. Jahrhundert hätten singhalesische buddhistische Mönche den Sasana, also die im Gegensatz zum überzeitlichen Dhamma zeitliche und politisch und gesellschaftlich sich auswirkende Ordnung des Universums, wieder herstellen wollen und thailändische und burmesische Mönche nach Ceylon eingeladen, um im 8. Buddhistischen Konzil den Pali-Kanon neu aufzulegen. Es sei dabei die Frage nach dem reinen Buddhawort aufgekommen. Diese Neubesinnung sei auch eine Folge des europäisch-christlichen Einflusses gewesen, denn in den sogenannten Debets hätten sich Buddhisten und Christen heftige Diskussionen geliefert, bei denen sich die Buddhisten analog zu dem Sichberufen auf die Bibel der Christen, auf den Pali-Kanon als maßgebende Heilige Schrift berufen hätten, eben um der Bibel etwas gleichrangiges entgegen zu setzen. Es sei auch in anderen südostasiatischen Ländern zu nationalistischen Bewegungen gekommen, die den Buddhismus als wertprägendes Kulturgut verwendet hätten. Neben dem Fremdeinfluss der Europäer hätten diese buddhistischen Nationalisten Verweltlichung und Laxheit als zu bekämpfen angesehen. Der Kern der eigenen Religion sei als unverrückbar angesehen worden. Rechtgläubige im traditionelleren Sinne hätten die Religion mehr als Weg zum jenseitigen Ziel mit einer Freiwilligkeit der Wahl gesehen, während die Fundamentalisten die Gesellschaft gestalten und ihre Lehre anderen aufzwingen wollten. So habe Anagarika Dhammapala den Buddhismus untrennbar mit singhalesischem Nationalismus verbunden. Es sei sogar zu Anschlägen auf singhalesische Muslime gekommen, deren Religion als Fremdkörper angesehen worden sei. 1956 sei der Buddhismus zur Staatreligion Sri Lankas geworden und Singhalesisch zur allewigen Staatssprache. IN Thailand habe die Santi Asoke-Bewegung versucht, die Trennung zwischen Mönchen und Laien zu überwinden und eine asketische Lebensführung propagiert, einfach, bewusst und in Übereinstimmung mit der Natur, wobei sei aber eine Unterscheidung zwischen Elitebuddhisten und der breiten verdorbenen Masse vorgenommen hätten, und Nicht-Santi-Asoke-Angehörige gleich als Nicht-Buddhisten diskreditiert hätten. Ihr Gründer Phra Bodhirak habe den Buddhismus in einen okkulten, einen kapitalistischen, einen hermetischen und einen authentischen Buddhismus eingeteilt und sich zu letzterem gerechnet. Die Bewegung sei aber klein geblieben und habe sich in den 1990 dem traditionellen Sangha, also dem Mönchsorden, angeschlossen.

Prof. Dr. Hermann Kulke, emeritierter Indologe aus Kiel, zeigte Dias aus Indien, die das Aufkommen der nationalistischen Parteien Indiens darstellten, die auch mit der bei uns im Westen so gut ankommenden indischen Spiritualität z.B. von Swami Vivekananda und Mahatma Gandhi verbunden sei.


Kommentar:

Soweit meine hoffentlich korrekte Zusammenfassung, und nun ein Kommentar: Mit solchen Wörtern wie „Fundamentalismus“ ist es ja so eine Sache. Sie bezeichnen ja keine Gegenstände wie einen Baum oder eine Teekanne, sondern sind abstrakte Begriffe für Kategorien kultureller Erscheinungen. Und je nach Diskursuniversum werden diese Wörter verschieden verwendet, wobei Wissenschaftler darauf aus sind, sie eindeutig zu gebrauchen und ihre eindeutigen Definitionen auch der Öffentlichkeit mitzuteilen. Leider ist ein solches Unterfangen letztlich zum Scheitern verurteilt, und es bleibt dem mit solchen Wörtern arbeitenden Wissenschaftler nichts anderes übrig, als immer wieder zu erklären, was er denn nun im Kontext seiner jeweiligen Darstellung damit meint. Und dem Konsumenten wissenschaftlicher Texte bleibt nichts übrig, als sich diese Definition genau durchzulesen, damit er den Text versteht und nicht falsch einordnet. Ich selber verwende den Fundamentalismus-Begriff nicht unbedingt immer nur im Kontext der Moderne, kann aber sehr wohl verstehen, warum man das so macht. Je enger der Wortgebrauch, desto trennschärfer ist ein Begriff, aber desto mehr verschiedene Wörter müssen verwendet werden. Je weiter ein Wortgebrauch, desto größer ist die Gefahr von Missverständnissen und desto schwieriger wird überhaupt eine eindeutige Aussage, aber desto größer ist die Chance, die Verwandtschaft ähnlicher Phänomene darzustellen. Meine Tipp an alle Leser(innen): Fragen Sie gegebenenfalls immer nach, was denn mit einem abstrakten Begriff gemeint ist.

Inhaltlich ist aber doch klar geworden, dass Geisteshaltungen, die sich gegen eine epistemologische und normative Vieldeutigkeit der Welt richten und deren Träger Zuflucht in eindeutigen Antworten suchen, deren Tragkraft für sie aber erst dann gewährleistet ist, wenn sich die ganze Gesellschaft oder gar die ganze Menschheit danach richtet, nicht nur im Judentum, im Christentum und im Islam vorkommen, sondern auch dem Buddhismus und dem Hinduismus nicht fremd sind. Aber, und das wurde bei diesem Workshop weniger thematisiert, auch die Moderne selber, in all ihren Spielarten des Humanismus, des Säkularismus, des Agnostizismus, des Kapitalismus, des Liberalismus und so weiter, kann solche Geisteshaltungen hervorbringen, umso eher, je unsicherer die Lebensumstände der Menschen sind. Am ehesten wurde die enge Verbindung zwischen religiösem Fundamentalismus und Nationalismus dargestellt, wobei man aber bei letzterem auch genau hinsehen muss, inwiefern er ein reines Produkt der Moderne oder ein Alternativbegriff für jeden Ethnozentrismus ist. Wirtschaftliche und soziale Unsicherheit, sowie Gefühle der Erniedrigung und Ausgrenzung scheinen extreme Geisteshaltungen zu fördern, vor allem, wenn man sich von ihnen die Lösung seiner Probleme verspricht. Insofern tragen nicht nur Theologen und Philosophen eine Verantwortung der Aufklärung ihrer Anhänger, sondern vor allem Ökonomen und Politiker tragen die Verantwortung, in ihrem Einflussbereich gerecht zu wirtschaften und Politik zu betreiben.


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VI.4. Dialog ohne Vorbehalte? Chancen und Grenzen des Interreligiösen Dialoges in der Diskussion um gemeinsame Werte

Podiumsdiskussion mit
Horst Dahlhaus (Arbeitskreis Religion und Integration)
Pastorin i.S. Beate Sträter (Fachberatung für Islamfragen und Begegnung mit
Muslimen des Ev. Kirchenkreis Bad Godesberg-Voreifel)
Luise Becker (Referentin des Zentrums für Islamische Frauenforschung)
Ghulam -D. Totakhyl (Annemarie Schimmel Forum)
Hidir Celik und Gundula Schmidt (EMFA)

beim Brunch
Sonntag, den 26. März
um 11 :30 Uhr
In den Räumen der Evangelischen Migrations- und Flüchtlingsarbeit Bonn,
Thomas-Mann-Straße 1 (Eingang Florentiusgraben)

Es rächt sich jetzt, dass ich mit bequemlichkeitshalber keine Notizen gemacht habe, denn von den konkreten Redebeiträgen ist so viel momentan nicht abrufbar in meinem Gedächtnis.
Die Redebeiträge drehten sich vor allem um den christlich-muslimischen Dialog und die Frage nach gemeinsamen Werten von namentlich christlich geprägter deutscher Mehrheitsgesellschaft und hauptsächlich muslimischen Migranten. Dabei wurde von Horst Dahlhaus das gemeinsame abrahamitische Erbe betont, und dass man das Fragezeichen hinter dem Veranstaltungstitel durch ein Ausrufungszeichen ersetzen sollte. Ghulam Totakhyl weitete den Rahmen aber mit der Bemerkung aus, dass auch Humanisten und Atheisten ihre positiven Werte besäßen und zeigte sich erfreut, dass von gemeinsamen Werten und nicht von Leitkultur die Rede sei, wie überhaupt dieser Begriff fast einstimmig abgelehnt wurde, weil dadurch eine leitende und eine geleitete Partei postuliert würde. Ebenso wurden sämtliche derzeit propagierten Fragebögen und Videos, mit deren Hilfe nicht integrationswillige Einwanderer abgewehrt werden sollen, abgelehnt, vor allem mit dem Hinweis, dass die wenigsten Migranten Probleme mit dem Grundgesetz hätten, sondern eher mit der Anerkennung ihrer Vereine usw., wie Beate Sträter es aus ihrer beruflichen Erfahrung betonte. Natürlich kam auch das Kopftuchthema wieder zu Sprache, und Luise Becker wies darauf hin, dass in der islamischen Kulturgeschichte das Kopftuch kein Symbol der Unterdrückung, sondern der Würde der Frau sei, und Ghulam Totakhyl ergänzte, dass z.B. in Isfahan mehr Studentinnen in der Uni eingeschrieben seien als Studenten, und das selbstverständlich mit Kopftuch. Hidir Celik bemerkte aber auch, dass nicht wenige Muslime ein kollektives Identitätsverständnis hätten und daher Konflikte mit dem in Westeuropa mittlerweile gängigen individuellen Identitätsverständnis aufträten. Es scheint mir eine von allen mitgetragene Überzeugung zu sein, dass der Dialog zwischen Menschen unterschiedlicher religiöser und weltanschaulicher Überzeugung ein nie abgeschlossener Prozess ist, der, kaum dass er zu Ergebnissen kommt, auch schon wieder neue Fragen aufwirft. Mir scheint es aber auch notwendig, zu der Einstellung zu gelangen, die Lösung nicht in einer Zustimmung aller Parteien zu einer gemeinsam entworfenen Anschauung zu suchen, sondern im Respekt des Anderen in seinem Anderssein, das allerdings auf der Grundlage gemeinsam entworfener und immer wieder neu zu entwerfender Maxime des Miteinanderlebens.


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VI.5. Kommentar zur Ausstellung „Eine Frage des Glaubens. Religiöse Vielfalt in Köln“ im Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln.

Die Ausstellung ist recht klein und übersichtlich. Im Treppenhaus des Museums hängen 25 Portraitfotos von Mitgliedern von Kölner Religionsgemeinschaften. Die dargestellten Personen sind mehr oder weniger zufällig gefundene Ansprechpartner für die Studierenden, die die Ausstellung konzipiert haben. Pro Foto gibt es eine kurze Darstellung der jeweiligen Gemeinschaft und ein Zitat des portraitierten Mitgliedes zur eigenen Glaubensmotivation. Die Fotos sind nicht nach Religionen geordnet, sondern hängen absichtlich ungeordnet, scheinbar zufällig, aber eben doch willkürlich. Da hängt die sunnitische Muslima neben dem schwulen Christen, der Asaturar neben dem Freikirchler, der liberale Jude neben dem Hindu (so ungefähr zumindest).

Tiefgehende oder umfassende Informationen über die einzelnen Gemeinschaften darf man also nicht erwarten, so dass man strenge religionswissenschaftliche Maßstäbe nicht an die Ausstellung herantragen sollte. Aber sie wirkt auf mich menschlich sehr sympathisch und interreligiös-pädagogisch wertvoll. Die persönlichen Zitate weisen auf sehr ähnliche Befindlichkeiten hin, auf die Suche nach und/oder das Finden von Gemeinschaft, Orientierung, Verwurzelung, Heimat und so weiter. Das könnte auch bei den dargestellten Personen, so sie sich nicht nur ihre eigenen Darstellungen anschauen, zu einer Offenheit den Anderen gegenüber führen. Könnte... Ob es dazu kam oder kommt entzieht sich meiner Kenntnis.

Die Ausstellung ist noch bis zum 27.08.2006 verlängert.

Rautenstrauch-Joest-MuseumUbierring 4550678 Köln
Internet: www.stadt-koeln.deInternet: www.museenkoeln.de

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VI.6. Kommentar zur Ausstellung „Urban Islam. Zwischen Handy und Koran.“ im Museum der Kulturen in Basel.

Basel liegt zwar auch am Rhein, aber nicht eben mal nebenan. Da meine Frau und ich dort kürzlich ein paar Tage Urlaub machten, und diese Ausstellung unübersehbar in der Stadt plakatiert war, führte unser Weg selbstverständlich ins das Museum der Kulturen, das ohnehin für ethnologisch Interessierte einen Besuch wert ist, und auch das im gleichen Haus untergebrachte naturgeschichtliche Museum.

Die Ausstellung ist abgesehen von einer allgemeinen Einführung in den Islam auch personenzentriert, aber viel größer, da sie ja eine Hauptausstellung war. Vier Menschen aus vier Großstädten in vier verschiedenen Ländern (Istanbul in der Türkei, Marrakesch in Marokko, Paramaribo in Surinam und Dakar im Senegal), sowie ein paar Schweizer werden mit ihrer Weise, den Islam in der Modernen zu leben, vorgestellt, die ersten vier recht intensiv mit Videosequenzen, Zitaten und Exponaten aus deren Umwelt. So bekommt man auch gleich einen Eindruck in die unterschiedlichen Kulturen. Wer hätte z.B. gewusst, dass es in Surinam (Südamerika!) 19,6 % Muslime gibt, und dass sie dort einen regen Austausch mit ebenfalls dort lebenden 27,4 % Hindus haben?

Video-Portraits einiger Schweizer Muslime und Ausschnitte aus Fernseh- und Radiodiskussionen zum Thema vervollständigen die Ausstellung und stellen den Bezug zur Schweiz her, den man mit Abstrichen auch auf Deutschland übertragen kann.

Ich kann die Ausstellung sehr empfehlen, zumindest, wenn man ohnehin schon vor Ort ist.
Sie ist noch bis zum 2.7.2006 zu sehen

http://www.mkb.ch/de/home.html
http://www.mkb.ch/sonderausstellungen/urbanislam/index.htm
http://www.urbanislam.ch/





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VII. Forum

VII.1. Leserbrief von Barbara Mohr

Hallo lieber Michael!

Ich habe gerade deinen Rundbrief gelesen und muss sagen, dass mir deine
Gedanken zur Verletzbarkeit religiöser Gefühle wirklich gefallen haben! Ich
hoffe, dass sie noch ein paar andere Menschen erreichen und zum Nachdenken
anregen.

Ich hab außerdem einen kleinen Hinweis, der vielleicht für deinen nächsten
Rundbrief interessant wäre:
Möglicherweise erzähl ich dir nichts Neues, aber ich hab grad selbst zum
ersten Mal die Online-Datenbank der Bahá'i entdeckt, die sich tatsächlich
die Mühe gemacht haben, die heiligen Schriften der großen "Weltreligionen"
zu digitalisieren und für alle zugänglich ins Netz zu stellen.

www.bahai-education.org/ocean/

Das Programm ist kostenlos downloadbar und mit echt guten Suchfunktionen
ausgestattet, so dass man einzelne Aspekte wunderbar zwischen den
verschienen Religionen vergleichen kann. Ein wirklich praktischer Beitrag
zum interreligiösen Dialog!
Leider gibt's in der deutschen Übersetzung bislang nur die Bahá'i-Schriften,
aber auf englisch und französisch ist praktisch alles digitalisiert.

Also, vielleicht freut sich der ein oder andere ja über dieses Angebot.

Liebe Grüße und alles Gute sendet dir die

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Barbara Mohr

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VIII. Buch- und Filmrezensionen

VIII.1. Britta Kanacher. Chance Islam?!. Anregungen zum Überdenken.

= Zeitdiagnosen, Bd. 10. Münter (Lit Verlag) 2004.

von mir:

Bei diesem Buch handelt es sich nicht um eine Werbeschrift für den Islam, wir man angesichts des Titels denken könnte, sondern um eine Analyse des problematischen Verhältnisses zwischen deutscher Mehrheitsgesellschaft und den in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund (mein Rechtschreibprogramm kennt dieses Wort gar nicht, und ich las es nie zuvor so oft wie in diesem Buch). Diese Menschen, die entweder selber oder deren Eltern oder Großeltern nach Deutschland eingewandert sind, sind keineswegs alle Muslime, und auch die Probleme, die sie haben oder die die Mehrheitsgesellschaft mit ihnen hat, sind keineswegs alle islamspezifisch, aber irgendwie scheinen sich doch manche Probleme am Verhältnis zwischen nichtmuslimischen Deutschen und muslimischen Menschen mit Migrationshintergrund drastischer darzustellen.

Britta Kanacher hat schon in ihrer Doktorarbeit über christliche und muslimische Identität, die ich für den interrel. Rb. Nr. 121 rezensieren werde, einen wichtigen Mentalitätsunterschied zwischen christlichen Europäern und muslimischen Asiaten und Afrikanern heraus gearbeitet, den sie vor allem an dem Unterschied zwischen individualistischer und kollektivistischer Identitätsauffassung festmacht. Aus diesem Unterschied ergäben sich schwerwiegende Verständigungsschwierigkeiten, denn, wenn schon die Bedeutung von „ich“ und „wir“ unterschiedlich gesehen werde, so auch die von „du“ und „ihr“, und man erwarte selbstverständlich Verhaltensweisen vom Anderen oder von den Anderen, die man selber in ähnlichen Situationen erbringen würde, die aber der Mentalität der jeweils Anderen nicht entsprächen. Aufgrund wesentlich verschiedener primärer und sekundärer Sozialisationen ergäben sich gänzlich verschiedene Erwartungshaltungen gegenüber den Mitmenschen, und das führe zu Konflikten, sowohl zu psychischen, als auch zu sozialen.

Britta Kanacher bleibt nicht bei der Analyse stehen, sondern propagiert Lösungsvorschläge, womit dieses Buch zu einem Beispiel normativer und praktischer bzw. anwendungsbezogener Religionswissenschaft und Soziologie wird. Vor allem propagiert sie das interkulturelle Lernen, also einerseits das Erlernen von kulturspezifischen Eigenheiten der jeweils Anderen, andererseits aber auch einfach das Reduzieren auf das allen Menschen Gemeinsame, um auf dieser Grundlage Einfühlungsvermögen zu entwickeln. Sie propagiert eine zugleich multikulturelle und gemeinsame Gesellschaft, in der Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft voneinander lernen und miteinander leben sollen. Wir europäischen Individualisten könnten zum Beispiel einiges von der Solidarität lernen, wie sie in Gemeinschaften mit kollektivistischer Identitätsauffassung noch praktiziert wird, und asiatische und afrikanische Kollektivisten könnten einiges von der bei uns üblichen Wahlfreiheit des Individuums lernen. Kanacher bleibt aber auch nicht bei dieser Dichotomisierung stehen, sondern sieht auch die faktisch vorhandene Vielfalt der religiös-weltanschaulichen Überzeugungen bei Menschen, die nominell dem Islam angehören, und dass die muslimischen Verbände nur ca. 20% von ihnen repräsentieren. Demzufolge lehnt sie einen von diesen Verbänden geleiteten Religionsunterricht an den Schulen ab, damit nicht so genannte Kulturmuslime unter sozialen Druck geraten, ihre Kinder in diesen Unterricht, den sie inhaltlich ablehnen, schicken zu müssen. Statt dessen fordert sie einen gemeinsamen Religions- und Werteunterricht für alle Kinder, gleich welcher Religion ihre Familien oder sie selber angehören.

Als Anregung zum Überdenken ist dieses Büchlein jedem und jeder zu empfehlen, die oder der mit der genannten Problematik zu tun hat, sei es als Lehrerin, als Sozialarbeiter, als Pfarrerin, als Religionswissenschaftler, als Sozilogin oder einfach als Mensch, der mit In- und Ausländern in seinem Alltag zu tun hat. Als Manko ist aber die etwas hölzerne Sprache zu erwähnen, mit zum Beispiel sehr vielen schwerfälligen Passivkonstruktionen, und die nicht sehr wenigen Tippfehler. Da hätte der Lektor oder die Lektorin gründlicher korrekturlesen sollen. Ich fühle mich geschmeichelt und bestätigt durch die mehrmalige Erwähnung des interreligiösen Rundbriefes als Transportmittel von muslimischen Pressemitteilungen, die ansonsten von der Presse nicht verbreitet wurden, muss aber auch hier kritisieren, dass die korrekte Quellenangabe fehlt und der uneingeweihte Leser oder die Leserin nicht weiß, was denn das für ein Rundbrief ist.

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VIII.2. What the bleep do we (k)now!? – Ich weiß, dass ich nichts weiß! Und: Das kleine Buch der „Bleeps“.

von Traudel Reiß:


Was ist Realität und wie können wir diese bewusst verändern und neu erschaffen? Haben wir überhaupt Einfluss auf das, was uns passiert, oder sind wir Opfer der Umstände? Was sind Emotionen und Gedanken? Und warum verändert sich nicht wirklich etwas? Diesen und weiteren Fragen gehen in dem Film vierzehn Wissenschaftler und Dozenten anhand der Erkenntnisse aus den verschiedenen Fachgebieten – von der Quantenphysik über die Gehirnforschung bis hin zur Neurophysiologie – nach. Bei der Beantwortung der Fragen verwischen im Verlauf des Films die Grenzen zwischen Wissenschaft und Spiritualität. Die Animationen im Film greifen einige komplexe Themenbereiche auf, vermitteln diese auf anschauliche Weise, verstärken so die wissenschaftlichen Aussagen des Films und bringen auf den Punkt, wie wir die Realität unserer menschlichen Erfahrung verändern können. Interviews, Spielszenen und Animationen wechseln einander ab.

Das Buch zum Film (Das kleine Buch der „Bleeps“, J. Kamphausen Verlag 2006, Paperback, durchgängig vierfarbig, 160 Seiten, ISBN 3-89901-083-3, Euro 10,00) enthält inspirierende Zitate aus dem Film, die mit Originalszenen illustriert sind. „Statt zu denken, dass Dinge Dinge sind, habt ihr euch angewöhnt zu denken, dass alles um uns herum bereits ein Ding ist, das ohne meinen Input, ohne meine Wahl existiert. Diese Denkweise muss man sich abgewöhnen … Stattdessen muss man erkennen, dass selbst die materielle Welt um uns nichts anderes als mögliche Bewegungen des Bewusstseins sind. Und ich treffe in jedem Moment eine Auswahl aus diesen Bewegungen, um meine tatsächliche Erfahrung zu manifestieren. So radikal muss man denken. Aber es ist so radikal, so schwierig, weil wir dazu tendieren, dass die Welt schon unabhängig von unserer Erfahrung da draußen existiert. Aber das tut sie nicht. Die Quantenphysik hat das klar herausgestellt. Heisenberg, der Mitentdecker der Quantenphysik, sagte, dass Atome keine Dinge, sondern nur Tendenzen seien. Anstatt in Dingen muss man also in Möglichkeiten denken. Es sind alles Möglichkeiten des Bewusstseins“ so Amit Goswami, Ph. D. (S. 30). In dem Buch sind die wichtigsten Aussagen des Films enthalten, die durch wiederholtes Lesen einen Paradigmenwechsel fördern.
Traudel Reiß

(Erstveröffentlichung dieser Rezension in Buddhismus aktuell 2/2006, S. 80, hier mit freundlicher Genehmigung der Autorin und der Redaktion wiedergegeben.)


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IX. Literaturtipps

IX.1. Karlo Mayer (Hrsg.). Lea fragt Kazim nach Gott

zugeschickt von Karlo Meyer via Yggdrasill-Liste:

Liebe Listenteilnehmer,

[...]

Ich darf aufmerksam machen auf ein Lehrerbuch, das gerade von mir veröffentlicht wird:
Lea fragt Kazim nach Gott.
Mit Impulsen des ethnographischen Ansatzes von Bob Jackson und religionspädagogischen Überlegungen von John Hull habe ich eine Unterrichtsreihe zur christlich-muslimischen Begegnung konzipiert. Ein muslimischer Junge und ein christlichen Mädchen stellen christliche und muslimische Handlungen und Geschichten rund ums Thema "Gerufen werden" und "Gebet" vor. In einer anliegenden CD habe ich die entsprechenden Materialien zusammengefasst
von dem Ruf zum Gebet und Glockengeläut
über Fotoserien zu den Waschungen, Gebetsritualen, Kircheneinrichtung usw.
über 34 verschiedene Arbeitsblätter
bis hin zu einem Minifilm mit dem muslimischen Pflichtgebet auf deutsch.
Das Buch erscheint bei Vandenhoeck und Ruprecht in Göttingen.
Ich freue mich über Interesse und Rezensionen.

Karlo Meyer



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Dr.Karlo Meyer
(Arbeitstelle für interreligiöse Kooperation
in der Lehramtsausbildung)
Obergstraße 6
31139 Hildesheim
Tel: 05121 2040570
Fax: 05121 265297

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IX.2. Ina Wunn. Muslimische Patienten. Chancen und Grenzen religionspezifischer Pflege.

zugeschickt von Eva-Maria Schulz via Yggdrasill-Liste:

Liebe Listenmitglieder,

leider fehlten bei meiner letzten Mail, der weitergeleiteten Einladung zur Bucherscheinung "Muslimische Patienten" der Studierendengruppe um Frau PD Dr. Dr. Ina Wunn an der Universität Hannover, weitere Angaben zum Buch. Das möchte ich hiermit nachreichen:

Ina Wunn: Muslimische Patienten. Chancen und Grenzen religionspezifischer Pflege.
Kürzlich erschienen bei Kohlhammer
ISBN: 3170193252

Für mehr Infos wenden Sie sich bitte an Frau Wunn: wunn@mbox.rewi.uni-hannover.de

Mit freundlichen Grüßen,

Eva-Maria Schulz

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IX.3. Lydia Thalmayer. Abraham und das Vermächtnis seiner Frauen
zugeschickt von Hartmut Neubauer:

Guten Tag,ich möchte gern ein Buch weiterempfehlen.Lydia Thalmayer

Abraham und das Vermächtnis seiner FrauenEine ökumenische Vision der Versöhnung zwischen Juden und Arabern»Der Streit im Haus Abrahams muss endlich begraben werden.« Dieser Ausspruch von Hans Küng gab der Autorin den Anstoß, nach den religiösen Wurzeln des Streits zwischen Juden und Arabern zu fragen. Sie will den Schatten verscheuchen, der in der biblischen Erzählung über Abraham, seinen Frauen und Söhnen liegt. Lydia Thalmayer entwickelt mit großem Einfühlungsvermögen in die damalige Zeit eine ökumenische Vision der Geschichte Abrahams und vermittelt eine neue Perspektive. Was Politikern und Religionsführern bis heute nicht gelang, zeigt sie uns an zwei großen Frauengestalten auf, im Vermächtnis der Frauen Sara und Hagar. In den drei Religionen Abrahams – Judentum, Christentum und Islam – glauben die Menschen an den gleichen Gott, den Einzigen. Sie sind von seiner Allmacht, Güte und Liebe überzeugt. Wäre dies den Gläubigen insgesamt bewusst, sollte sie dies befähigen, nicht länger das Trennende in den Vordergrund zu stellen, sondern das Gemeinsame hervorzuheben.Erschienen 2001 bei Publik Forum VerlagsgesellschaftGruß und Frieden, Schalom & SalaamEuer/IhrHartmut Neubauer-- Hartmut NeubauerTürnicher Str. 3 Wg. 6.1D-50969 KölnTel. (0221) 39 61 56hartmut.f.neubauer@t-online.de **
X. off-topic: Musikrezensionen

Die folgenden Musikrezensionen sind, wenn nicht extra gekennzeichnet, von mir, ansonsten von Ferdi La Roche.

X.1. Konzertrezension: Irish Spring – Festival of Irish Folk Music am 15.3.2006 in der Kunst- und Ausstellungshalle in Bonn

Das 6. Irish Spring Festival gastierte wieder in der KAH und war trotz des Termins mitten in der Woche fast restlos ausverkauft. Da hat sich wohl die Plakatierung gelohnt, oder erfuhren die etwa alle durch den folkigen Rundbrief davon? Wohl kaum, so viele Leute habe ich gar nicht im Verteiler, und unsere Internetseite hat keinen Zähler. Es war bestimmt Ralf mit seinem Irischen Rundbrief, ja so muss es sein! Oder die Terminseite im Folker!

Der Opener war Tony McManus, ein jetzt in Südontario lebender Schotte, der hauptsächlich Instrumtentals auf der Gitarre spielte. Einige Stücke waren ruhig und verträumt, meiner Frau kam spontan die Assoziation „NDR-Pausenmusik“, andere aber waren regelrechte Reels, bei denen er die Gitarre ohne Fingerpicking als Melodieinstrument einsetzte, wobei er zwischendurch auch mal zu Akkorden überwechselte, als würde er ein Melodieinstrument begleiten. Sowas habe ich bislang noch nicht gehört! Und dann sang er auch ein Lied, und seine Stimme erinnerte micht an Sean Keane, nur nicht ganz zu quakig, sondern etwas tiefer. Dass er zwischendurch deutsches Bier lobte, machte ihn noch sympatischer, doch schwand dieser Bonus gleich wieder, als er sein Lob auf Bitburger zuspitzte. Ich schrieb es schon mal: 5 Mio. Hektoliter müssen nicht noch per Schleichwerbung angepriesen werden, während kleine Brauereien dicht machen. Es bleibt also die einfach erstklassige Musik als Bonus übrig, aber das reicht ja auch für ein Konzert.

Den Solisten löste sodann ein Quartett ab, auch aus Nordamerika, und zwar aus Michigan. Millish, bestehend aus Brad Phillips (Geige, Mandoline), Jesse Lee Mason (Gitarre), Tyler Duncan (Uilleann Pipes, Saxophon, Low Whistles) und Mike Shimmin (Schlagzeug, Darabuka) bot eine Musik, die sie selbst als „Progressive Irish Folk“ oder „Avantgarde Irish Folk“ bezeichnen, die für meine Ohren aber ein gutes Beispiel für moderne Weltmusik mit irischen Wurzeln war. Die Einflüsse, die ich heraus hörte, und die mir Jesse Lee Mason dann im Gespräch bestätigte, kamen aus Ungarn, dem Balkan, Mexiko, Arabien und jede Menge Jazz war auch dabei. Sie spielten zwar auch Jigs und Reels, und das so quirlig, dass es mich an Kíla erinnerte, was Jesse als Kompliment auffasste, als ich es ihm sagte, aber die Arrangement waren zumeinst nicht zum Tanzen gedacht, sondern zum Zuhören, denn die Tempi wurden immer wieder durch langsamere Passagen unterbrochen. Leider war das Mikrophon bei der Uilleann Pipe etwas leise eingestellt, aber davon abgesehen war es einfach prima was die Jungs da in den letzten zwei Jahren, in denen sie sich mit irischer Musik beschäftigen, entwickelt haben! Die Pause kam viel zu schnell!

Nach der Pause wurde es ruhiger und traditioneller. Mary McPartlan aus Irland sang irische Lieder, teils a capella, teils begleitet von Tony McManus und zum Schluss auch von Mike Shimmin. Ihre Stimme war tief, aber ansonsten erinnerte mich ihr Stil an Geraldine MacGowan. Sie sang echten Folk im engeren Sinne, Volkslieder eben aus verschiedenen Jahrhunderten, so dass sie „A Rainy Night in Soho“ von Shane MacGowan aus den 1980ern als „contemporary music“ ankündigte. Aber auch eine Version eines Liedes von Elvis Presley („Love me Tender“) war dabei, nur mit einem anderen Text, so wie sie es mal in der Muppet Show gehört hatte.

Den Abschluss bildeten die Schwestern Breda und Cora Smyth auf Fiddles, Tin und Low Whistles in Begleitung eines Sean Leahy (Gitarre) und Paul O' Driscoll (Kontrabass) Sie sind durch die Lord of the Dance-Show berühmt geworden und heizten auch ohne Tanzbrigade dem Publikum ordentlich ein. Mir gefiel ihr an Mary Bergin erinnerndes, helles, fließendes und dabei doch leicht stakatohaftes Whistlespiel noch besser als ihr Fiddlespiel. Die meisten Tunes waren mir bekannt, wenn auch nicht dem Namen nach, und es erwies sich im Nachhinein als richtig, sie an den Schluss zu setzen, denn das Publikum klatsche mit bis die Hände schmerzten. Da zieht Tradition mehr als Avantgarde. Mitklatschfähigkeit ist zwar in meinen Augen kein besonderes Gütekriterium für Musik, aber die Musik war gut, daran lässt sich nichts rütteln.

Natürlich gab es eine Festivalsession aller Musiker ganz am Schluss. Enkh Jargal, also Epi, leitete es wie gewohnt auf seiner mongolischen Pferdekopfkniegeige ein, auf der er wie auch bei den letzen Malen und vielleicht schon seit Beginn des ISF überhaupt „Jimmy Mó Mhíle Stór“ spielte. Valentin, der Tourmanager kündigte es als Experiment an. Nun, es war sein erstes ISF. Ober- und Untertongesang des „Irish County of Mongolia“, wie Tony McManus, der ihn begleitete, es nannte und dann im Unterton-Brummton die Aufforderung „CD kaufen!“ zeigten, dass man das alles nicht so ernst nehmen muss, und so sei es Mary McPartlan auch nachgesehen, dass sie beim letzten Lied „The Spanish Lady“ die Melodie nicht so sang, wie ich sie kannte. Außerdem sang sie „the handsome lady“. Aber meine bescheidenen Kenntnisse der irischen Musik sind ja auch nicht das Maß aller Dinge.

Nach diesem aufweckenden Konzert muss nun aber der Frühling kommen!


http://www.irishspring.de
http://www.tonymcmanus.com/
http://www.millish.com
http://www.marymcpartlan.com/
http://www.epi.beep.de
http://www.kah-bonn.de/

meine ISF-Rezi 2005:
http://folktreff-bonn-rhein-sieg-rezensionen.blogspot.com/2005/03/konzertrezension-irish-spring-festival.html
http://tinyurl.com/buqlf

http://folktreff-bonn-rhein-sieg-rezensionen.blogspot.com/2006/03/konzertrezension-irish-spring-festival.html


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X.2. Konzertrezension: Iontach am 17.3.2006 im Feuerschlösschen in Bad Honnef

Am diesjährigen St. Patrick’s Day hatten es Freundinnen und Freunde der Irish Folk Music wirklich schwer. Nicht weil es keine Konzerte gegeben hätte, nein, im Gegenteil, man musste sich von fünf Konzerten eines aussuchen, und sich somit gegen vier andere entscheiden. Last Night’s Fun spielten in der Mausefalle, Ben Bulben in der Gesamtschule in Beuel, die Lokal Heroes im Bungertshof, Irish Stew in Hennef, und im Feuerschlösschen trat Iontach auf. Ich entschied mich für letztere, zum einen, weil sie den weitesten Anreiseweg hatten (sie kommen aus Wremen, was zwischen Cuxhaven und Bremerhaven liegt), zum anderen weil das FiF ein gemeinnütziger Verein ist, vor allem aber, weil ich 2004 die CD von Iontach für den Folker! rezensiert habe und diese mir so gut gefiel, dass ich ganz zaghaft Mike Kamp sagte, dass ich sie für besonders gut halte, was er mir bestätigte, worauf hin „the half gate“ als erste in Deutschland produzierte Irish Folk-CD in der bis dato siebenjährigen Geschichte des Folker! als „Besondere“ gekürt wurde. (Im nächsten Heft wird es die zweite „Besondere“ aus dieser Kategorie geben, und der Folker! befindet sich nun im neunten Jahr. Welche CD das sein wird, werde ich hier rechtzeitig bekannt geben.) Also war ich sehr gespannt auf das Life-Erlebnis der Iren von der Waterkant.

Irgendwie scheinen auch bei diesem Konzert die Ankündigungen auf fruchtbaren Boden gefallen zu sein. Das Foyer im Feuerschlösschen war so voll, dass selbst alle noch aus dem Nebenräumen herbeigetragenen Stühle, einschließlich aller Kinderstühle, nicht ausreichten, um allen einen Sitzplatz zu gewähren. Da standen sie also, Auge in Auge mit ca. 100 hörwilligen Rheinländern, die ihre Ohren spitzten: Angelika Berns (Bodhrán, Tin Whistle, Rassel, Keyborads und Gesang), Siobhán Kennedy (Geige, Tin Whistle, Querflöte und Gesang) und Jens Kommnick (Gitarre, Bouzouki, Mandoline, Uilleann Pipes, Tin Whistle, Cello, Keyboards und Gesang) (natürlich nicht alle Instrumente gleichzeitig spielend), und begannen wie auf der CD mit dem Reelset „the dream of home“. Im Laufe des Konzertes spielten sie noch mehr Jigs und Reels, Hornpipes, Airs und anderes, was sie wirklich gut können, aber die besondere Stärke dieses Trios liegt in der Mehrstimmigkeit, sowohl bei Instrumentals, aber besonders auch bei Liedern. Zum Beispiel war da die auch auf der CD vorhandene Muneira (die Tilde über dem n lasse ich hier mal weg), ein galizischer Tanz, dreistimmig auf drei Tin Whistles gepielt, oder das von Siobhán auf Gälisch, dann von Angelika und Englisch gesungene Lied „brighid’s kiss“, das die jeweils zwei anderen mit zweiter und dritter Stimme zuerst summend, dann im Satzgesang begleiteten. Mich durchfuhren wahre Schauer der Wonne! Zwischen den Liedern gab es den einen oder anderen lustigen Schnack, darunter einen Witz über Heino, den ich hier aber nicht erzähle. (Ich habe auch gar nichts gegen Heino und kann nur empfehlen, mal in Bad Münstereifel ins Heino Café einzukehren und dort den Nusskuchen zu probieren.) Und all das taten sie totally unplugged, also ohne Mikrophone oder Verstärker, was trotz der aufgestellten Dämmplatten von einer Bad Honnefer und zugleich dänischen HiFi-Firma, die zur Klangverbesserung und Werbung für eben diese Firma aufgestellt waren, akustisch gut rüber kam.

Der gälische Name „Iontach“ wird übrigens „Intach“ ausgesprochen und bedeutet einerseits soviel wie „gut“, „super“, „spitze“ und andererseits soviel wie „seltsam“, „komisch“, „merkwürdig“, und Jens meinte, im Spannungsfeld dieser zwei Bedeutungrichtungen sähen sie sich auch gerne. Ich fragte Jens einmal, wie das eigentlich gemacht werde bei einer Studioaufnahme, wenn er anschließend auf zwei Instrumenten gleichzeitig zu hören sei, ob er dann zuerst eine Tonspur mit dem einen Instrument aufnehme und diese dann beim Aufnehmen der zweiten Tonspur über Kopfhörer höre oder nicht. Ja, erklärte er, er höre das bisher Aufgenommene, während er das nächste Instrument aufnehme. Für viele von Euch mag das selbstverständlich sein, für mich war e jedenfalls interessant, das zu erfahren.

Die beiden Deutschen und die eine Irin ließen dann Bad Honnef noch ein wenig verzauberter zurück, als es eh schon ist. Wer jetzt traurig ist, an dem Abend nicht dabei gewesen zu sein, der oder die sei getröstet, denn am 26.5.2006 treten Iontach beim 2. Celtic Attractions Festival im Zirkuszelt in Köln-Weiß auf, das Ralf Wackers organsiert, und als zweite Gruppe wird Dán dabei sein.

www.iontach.de
http://www.inter-times.de/Components/Vereine/Vereine_Bad_Honnef/Stapelseiten_Bad_Honnef_/stapelseiten_bad_honnef__33.html

Hier meine CD-Rezension, wobei da ein Fehler drin ist, denn es ist nicht Regina Elling, die im Büchlein abgebildet ist, sondern es sind Angelika und Siobhán:
http://www.folker.de/200406/bescd.htm#03

http://folktreff-bonn-rhein-sieg-rezensionen.blogspot.com/2006/03/konzertrezension-iontach-am-1732006-im.html

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X.3. Konzertrezension: Lokal Heroes am 17.3.2006 im Bungertshof in Königswinter-Oberdollendorf

von Ferdi La Roche:


St. Patrick’s Day mit den Lokal Heroes

Auftritt am 17. März im Bungertshof Königswinter-Oberdollendorf

Besetzung: Wendel Biskup (E-Gitarre), Mike Haarmann (Schlagzeug),
Kristaps Grasis (Mandoline), Liene Sejane (Flöte), Christoph Spix
(Gesang, Conference), Ralf Wolfgarten (Tin-Whistle, Gesang).

Der St. Patrick’s Day ist in jedem Jahr einer der Höhepunkte der irischen
Folk-Musik und ihrer Bands. Ich besuchte in diesem Jahr das Konzert der
Lokal Heroes im Bungertshof. Das Publikum erschien so zahlreich, dass
zusätzlich Tische und Stühle aufgestellt werden mussten, um alle Gäste
unterzubringen, und dennoch mussten etliche mit Stehplätzen vorlieb
nehmen. Unter der Leitung ihres Frontmannes Christoph Spix (Gesang,
Conference) heizten die sechs Lokal Heroes gleich zu Beginn mit "Rover"
und "County Down" ordentlich ein und fuhren die Stimmung im Publikum in
kürzester Zeit hoch. "Frontman" ist eigentlich bei den Lokal Heroes eine
unpassende Bezeichnung, weil alle der sechs Bandmitglieder musikalische
"Frontleute" sind.

Besonders erwähnen möchte ich das einzige weibliche Mitglied dieser
vielseitigen Band, Liene Sejane aus Lettland, die mit ihrem Flötenspiel
das Melodiöse der irischen Musik ganz hervorragend zu Gehör brachte,
perfekt begleitet von Christoph Spix (Gesang) und Mike Haarmann am
Schlagzeug. So wurden nicht nur die irischen und schottischen Weisen zu
Gehör gebracht, es gab auch Abstecher in die rockige Musik der USA und
zu den Rhythmen der Karibik, wie zum Beispiel den "Flowers of Bermuda".
Gerade auch hier zeigte sich wieder die bekannte musikalische
Vielseitigkeit dieser Band, die mich als Zuhörer schon immer fasziniert hat.

Melancholisch-melodische Liebeslieder wechselten sich ab mit
temperamentvollen Tunes, deren Rhythmus so manches Bein zum Mitschwingen
brachte und der das Publikum begeistert mitklatschen ließ. Irische
Sauflieder, deren Thema der Whiskey ist und schottische Kriegsballaden,
traurige Liebeslieder, die vom Leid verschmähter Liebe berichteten, und
die äußerst temperamentvollen Lieder der Iren, die sie auf ihren Festen
singen und die jedes Bein in ein Tanzbein verwandeln möchten, alles war
an diesem Abend vertreten. Besonders schön ein kleines Potpourri aus
drei verschiedenen Tunes, die trotz ihrer grundverschiedenen Tempi zu
einem einzigen längeren Stück (Tuneset) zusammenwuchsen und ohne Gesang
vorgetragen wurden. Wenn es nicht vorher angesagt worden wäre, so hätte
ich nicht bemerkt, dass es sich eigentlich um drei verschiedene Stücke
handelte. Wendel Biskup (E-Gitarre), Ralph Wolfgarten (Tin-Whistle,
Gesang) und Kristaps Grasis (Mandoline) komplettierten die musikalische
Bandbreite, die das Publikum immer wieder von den Stühlen riss und zum
Mitklatschen und Mittanzen animierte. Leider war das Tanzen wegen des
übervollen Raumes nicht so ungehindert möglich, der Stimmung im Saal tat
das aber keinen Abbruch. Schließlich spendierte uns Mike Haarmann noch
ein Sahnehäubchen in Form eines mitreißenden Schlagzeugsolos.

Das Publikum hat natürlich nicht mit Applaus gespart und forderte immer
wieder Zugaben, so dass die Lokal Heroes weit über eine halbe Stunde
länger spielen mussten.

Es war wieder mal ein St. Patrick-Day vom Feinsten und ich bin froh,
dass ich mich bei dem Riesenangebot von Irish Folk in der Region an
diesem Tag für diese Veranstaltung entschieden habe. Ich bedanke mich
ganz herzlich bei den Lokal Heroes für diesen hervorragenden
musikalischen Abend.

FLR

http://www.lokalheroes.com
http://www.bungertshof.de/

Frühere Lokal Heroes-Rezension von Michael
http://folktreff-bonn-rhein-sieg-rezensionen.blogspot.com/2000_12_01_folktreff-bonn-rhein-sieg-rezensionen_archive.html bzw. http://tinyurl.com/bkaka
http://folktreff-bonn-rhein-sieg-rezensionen.blogspot.com/2004/02/cd-rezension-lokal-heroes-hurrah.html
bzw. http://tinyurl.com/97rws
http://folktreff-bonn-rhein-sieg-rezensionen.blogspot.com/2005/01/konzertrezension-lokal-heroes-am.html
bzw. http://tinyurl.com/agzk7
http://folktreff-bonn-rhein-sieg-rezensionen.blogspot.com/2006/01/cd-rezension-lokal-heroes-smash.html
bzw. http://tinyurl.com/8lowz
http://folktreff-bonn-rhein-sieg-rezensionen.blogspot.com/2006/01/konzertrezension-lokal-heroes-am.html
bzw. http://tinyurl.com/7wsr9

http://folktreff-bonn-rhein-sieg-rezensionen.blogspot.com/2006/03/konzertrezension-lokal-heroes-am.html



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X.4. Konzertrezension: Soul United am 18.3.2006 im Session in Bonn

Petra, meine Frau, geht ja oft mit zu Irish Folk-Konzerten und war auch von Iontach sehr begeistert, aber ihr musikalisches Herz schlägt doch mehr für Rap, Reggae, Blues, Pop, Rock und Soul. So traf es sich gut, dass endlich mal ein Soul-Konzert an einem dafür angenehmen Wochentag und zu annehmbarer Uhrzeit in erreichbarer Entfernung geboten wurde und zwar von Soul United im Session, der kleinen Kellerkneipe fast neben dem Münster in Bonn, die mit den zirka 30 Gästen des Abends schon recht voll war. Das Konzert begann mit einem E-Gitarren-, E-Bass- und Schlagzeug-Instrumental, das sofort für eine mitreißende Stimmung sorgte. Neben uns begann ein junger Mann heftig mit zu klatschen, und wir dachten, das sei aber ein eingefleischtes Fanpublikum, doch ging er nach vorne zu einem der noch freien Mikrophone und begann zu singen in einer tiefen, rauen Stimme und im Text jemand anders aufzufordern, auch dazu zu kommen, und das war dann eine junge Frau, die sich als Sängerin der Gruppe entpuppte. Nachdem noch ein Keyboarder dazu gekommen war, war die Combo vollständig: Michael „Groove“ Boecker aus Köln (Gesang, Percussion), Charlotte Smith, ursprünglich aus Louisina, jetzt aus Köln (Gesang), Carol Knauber aus Bonn (E-Gitarren; den kennen wir ja von Sahara und String Attack), Thomas Schneider aus Hennef (E-Bass), Michael Teichen aus Köln (Keyboards) und Lothar Simon (Schlagzeug).

Ja, Michael Boecker sang und bediente zugleich ein Minischlagzeug, aber so was Ähnliches kennen wir seit dem Auftritt von Schöne Weile ja auch vom Folk. Das Repertoire von Soul United besteht vor allem aus Stücken aus den 1990ern von The Nevile Brothers, The Brand New Heavies, Incognito und anderen, sowie aus welchen aus den 1980ern von The Crusaders, Diana Ross und anderen, aber natürlich fehlten auch nicht Stücke von James Brown wie „sex machine“ oder „I feel good“, die auch mir bekannt waren, sowie anderen Größen des Soul, und es gibt auch noch ganz aktuelle Hits von Anastacia, Mary Mary und anderen. Ich muss sagen, ich wusste gar nicht, dass Soul nach wie vor so viel komponiert wird, und auch nicht, dass so mancher Radio-Charts-Hit zum Soul gehört. Die Musik war fast durchweg im Viervierteltakt, der aber in sich durch Dehnen des einen oder anderen Taktes und vor allem durch zahlreicher jazzige und oft funkige Soli der Gitarre, des Basses oder des Keyboards in jedem Stuck sehr vielgestaltig war. Ich habe ja nicht so viel Ahnung von Soul, kenne als Lifegruppe aus eigener Erfahrung nur noch Souled Out, und von daher vermisste ich eine Bläsergruppe mit Trompete, Posaune und Saxophon, aber es war nun auch nicht so, dass die wirklich fehlten. Ich machte Ähnlichkeiten zu oder Einflüsse von Blues, Gospel, Jazz, Cajun & Zydeco und Rock aus. An Gospel ernnerte vor allem so manches von Charlotte gesungene Intro. Und dann kam auch noch ein spontaner Gast ans Mikro und sang „diggin’ on james brown“ von Tower of Power aus den 90ern und auf Wunsch des Publikums in der Zugabe „I feel good“ vom Altmeister selbst. Der Gast sang so kraftvoll und schrill, dass ich mir schon dachte, dass das nicht einfach nur ein spontaner Gast war, und wie ich dann erfuhr, war sein Name Walter Stremmel, und Carol meinte, er sei ein Urgestein des Rock in Bonn und schon seit den 1960ern kräftig dabei. Der Bandleader Lothar Simon ist ebenfalls aus dieser Altersgruppe und bediente das Schlagzeug wie ein Junger. Respekt!!!

Petra war den ganzen Abend in ihrem Element, mir gefiel es auch, aber sie meinte, ich hätte nicht irisch darauf tanzen sollen, das habe nicht gepasst. Ich meinte: „Wieso, das war ein Viertvierteltakt, da passt ein Pas de Basques“, den ich übrigens beim Scottish Coutry Dancing gelernt habe. Wer will da dann so harte Grenzen ziehen? Wie meinte Carol: „Na Hauptsache, es hat Euch Spaß gemacht!“ Hat es!

Am nächsten Abend traten sie dann noch in der Klangstation auf.

http://www.soul-united.de
http://www.carolknauber.de/content/view/21/55/

Session:
http://www.bonn-nordstadt.de/gastro/betriebe/session.html
http://www.typo3cms.info/toms_blues_session.0.html
http://www.bonnaparte.de/locations_new.php3?locationid=70&subcat=40&art=Kneipe

Einträge zu Walter Stremmel, der wohl nur mir und Petra ein Unbekannter war:
http://www.fme-hifi.de/company.html
http://www.bonner-rock-lexikon.de/leseprobe_s112_the-guards.html
http://www.secondhand-bonn.de/band.html
http://www.kaiser-passage.de/detail_fme.htm
http://www.fme-hifi.de/

Frühere Rezis von mir zu Carol Knauber:
http://folktreff-bonn-rhein-sieg-rezensionen.blogspot.com/2006/02/konzertrezension-sahara-am-1122006-in.html
bzw. http://tinyurl.com/8qfzs
und
http://folktreff-bonn-rhein-sieg-rezensionen.blogspot.com/2006/03/cd-rezension-carol-knaubers-string.html
bzw. http://tinyurl.com/pwc5q


http://folktreff-bonn-rhein-sieg-rezensionen.blogspot.com/2006/03/konzertrezension-soul-united-am.html

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X.5. Konzertrezension: Die Erkelteten und Keen on Tunes am 28.3.2006 in der Musikschule Kirschallee in Bonn

Die Musikschule in der Kirschallee in Bonn-Poppelsdorf feierte vom 26.3. bis zum 1.4.2006 mit zahlreichen Konzerten und auch anderen Veranstaltungen ihr 25-jähriges Bestehen. Tom Kannmacher war von Anfang an dabei und begann auch sofort, Schülerinnen und Schüler in traditioneller irischer Musik zu unterrichten, woraus dann schon 1982 die Band Cherry Alley hervorging, die parallel zu der von 1985 bis 2004 von ihm geschulten Band Rolling Wave bis 2002 bestand. Seit 2002 sind es die Bands Keen On Tunes und Die Erkelteten, die durch Tom in das Wesen und die Praxis irischer Musik eingeweiht werden, und diese beiden gaben nun an diesem Abend ihren Beitrag zum Jubiläum der Musikschule. Der Abend war dreigeteilt in je ein Konzert der beiden Gruppen und eine anschließende Session, und damit die Gäste außer Musik auch noch andere irische Spezialitäten genießen konnten, gab es Guinness Drought Stout aus der Dose mit Widget-Kapsel und drei Sorten irischen Käse.

Schon zwei Konzerte der Erkelteten durfte ich erleben und rezensieren, nämlich beim 1. BIFF und vor einem Jahr, als sie mit Rolling Wave beim letzten Konzert der letzteren vor deren Umbenennung in Ryan’s Airs zusammen spielten. Man kann es der unten angefügten Besetzungsliste entnehmen, dass die Kids allmählich schon fast (Heike Kosmider auch ganz) junge Erwachsene sind. Es ist eine gewisse Routine ins Spiel gekommen, ob Hornpipes, Jigs und Reels oder Lamentations und Seefahrtlieder auf Englisch und Gälisch, sie gaben unter Toms Anleitung ein sehr schön arrangiertes Konzert, fein gespielt, an die Chieftains erinnernd, die Liedstrophen abwechselnd mit Pipes, Fiddle, Flute, Whistle oder Harfe begleitend, Gitarre und Bodhrán natürlich auch immer dabei, bei den Tunes eher unisono spielend, wobei Tom selber manchmal eine zweite Stimme hinzu fügte. Was ihnen noch fehlt ist ein gewisser Pep, den ich vor allem bei einem Lied der Pogues vermisste, da ich das sehr aggressiv vorgetragene Original im Hinterkopf hatte. Das Lied wirkte zu brav. Und überhaupt gerade die Lieder könnten noch etwas mehr Expressivität vertragen. Aber das kann ja noch kommen.

Keen On Tunes besteht nun mehr aus Leuten die noch älter sind als ich, woran man sieht, dass auch ältere Semester noch lernen können. Es liegt wohl an Tom als gemeinsamem Lehrer, dass sie sich so sehr anders als die Erkelteten auch nicht anhörten, aber vielleicht hatte ich auch einen ungünstigen Sitzplatz, so dass mir einige Feinheiten entgingen. Auch hier wieder: schöne Arrangements, fein vorgetragen, aber auch bei den Liedern etwas zu brav. Tom wirkte außer als Mitspieler auch etwas als Dirigent, der den Auftritt überwachte und leitete. So hatte das Konzert etwas Klassisches an sich und es fehlte mir etwas das Spontane und Improvisierende, das ich gerade in den letzen Monaten bei einigen Spitzenbands gehört habe. Aber oh je, was tue ich da: Ich vergleiche Schülerbands mit den großen Meistern, das ist unfair. Nein, ich möchte nicht diesen Eindruck hervorheben, sondern den, dass es ein wunderschöner Abend war, dass mich die Musik berührte, und dass ich es gerade in einer Zeit, in der in durchschnittlichen Jugendbüchern über Musik der Dudelsack noch nicht einmal im Register vorkommt, besonders wichtig und herzerfrischend finde, was Tom hier in Bonn leistet. Er teilte mir noch mit, dass es noch ein paar Kollegen in Deutschland gibt, die irische Musik unterrichten, teils traditionelle, teils Folk im weiteren Sinne, aber dass sein Unterricht wohl der traditionsverwurzelste sei.

Ein Besonderes Schmankerl gab es am Ende des zweiten Teiles, und zwar eine Bönnsche Umtextung von Fiddler’s Green, in deren Refrain es dann hieß:

Pack misch in in ming Hemp un’ ming Jöppsche
He’ am Kai seht ihr nie mih ming Köppsche
Sach denne Jungs, dat isch up minge letzte Reis bin,
Doch mir sehn uns all widder in Fiddler’s Green.

Herrlich!!!

Zur anschließenden Session gesellten sich noch sieben andere Musiker(innen) dazu, die fast alle durch Toms Schule gelaufen sind, und ohne die Bands wie Ryan’s Airs, Whisht!, Last Night’s Fun und Foggy Stew nicht das wären, was sie sind. Und dank dieser Meisterschüler(innen) kam dann auch noch etwas mehr Drive in die Musik, wenn Tom das Tempo auch absichtlich bremste, damit in der Schule nicht das darwinistische Ausleseprinzip der Fiddler’s Session griff, nach welchem man ausfällt, wenn man nicht mehr mithält. Ich spielte auch ein wenig mit, soweit ich es konnte, und ich weiß nicht, wie viele der Zuhörer an diesem Abend ihren Erstkontakt mit Irish Folk Musik hatten, aber der Eindruck dürften nicht der Schlechteste sein.

Hier die Besetzunglisten des Abends, die Tom mir zuschickte:

Die Erkelteten:
Jonas Heidebrecht (16): Uilleann Pipes, Whistle
Heike Kosmider (21): Fiddle, Gesang
Anna Lück (16): Harfe
Julia Lück (18): Flute, Whistle, Gesang
Mario Wagner (15): Gitarre
Julian Goertz (16): Bodhrán, Gitarre
Thea Staab (z.Z. krank) (16): Gesang

Keen On Tunes:
Heinz Peter "Henry" Goergens (52): Bodhrán, (spielt außerhalb der Band Great
Highland Bag Pipe)
Ute Goergens (48): Flute
Dagmar Hoffmann: Tin Whistle
Joachim Hoffmann (47): Uilleann Pipes
Maryanna Krah: Flute, Tin Whistle
Heike Vielmetter (44): Fiddle
Resia Lehmacher (59): Harfe, Gesang

Tom Kannmacher (57) spielt, was der Besetzung noch fehlt (Cello, Whistle,
Pipes, Gitarre, Flute, Fiddle, Gesang...) und erstellt Arrangemententwürfe.

http://www.kannmachmusik.de
http://www.bonn.de/familie_gesellschaft_bildung_soziales/musikschule/index.html

Frühere Rezis von mir zu den Erkelteten:
http://folktreff-bonn-rhein-sieg-rezensionen.blogspot.com/2002/04/konzertrezension-1-bonner-irish-folk.html bzw. http://tinyurl.com/8oltl
http://folktreff-bonn-rhein-sieg-rezensionen.blogspot.com/2005/04/konzertrezension-die-erkelteten-und.html bzw. http://tinyurl.com/8oy6w

http://folktreff-bonn-rhein-sieg-rezensionen.blogspot.com/2006/03/konzertrezension-die-erkelteten-und.html bzw. http://tinyurl.com/jnsoe


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X.6. Konzertrezension: Le Clou am 31.3.2006 in der Harmonie Bonn-Endenich

von Ferdi La Roche:

Cajun Swamp Groove vom Feinsten!

Die nicht nur in unserer Region Bonn/Rhein-Sieg wohlbekannte Band "Le
Clou" erfreute uns an diesem noch kühlen Märzabend wieder mit ihrer
wundervollen Musik aus dem tiefen heißen Süden der USA. Die Einmaligkeit
und Vielseitigkeit dieser Gruppierung zeigt sich schon durch ihre
Instrumentierung: Michel David bediente die Gitarre, zeigte aber auch,
dass man ein altmodisches rubbeliges Waschbrett aus Uromas Zeiten als
Rhythmus-Instrument effektvoll einsetzen kann - übrigens ein Wahrzeichen
von Le Clou. Michel, der aus Paris kommt, sang auch die meistens
selbstkomponierten Lieder. Es ist nämlich guter Brauch bei Le Clou, dass
möglichst viele der dargebotenen Stücke selbst komponiert werden, denn
man will nicht nur einfach irgendetwas nachspielen, sondern man stellt
etwas ganz Neues auf die Ohren der Zuhörer. Yves Gueit trug zu der
Vielseitigkeit der Darbietungen mit Akkordeon, Saxophon, Klarinette und
Flöten bei. Johannes Epremian unterstützte den singenden Michel mit
seiner Stimme, ausserdem machte er mit seiner Geige und diversen Gitarren eine ausgesprochen rhythmische Musik, die die Zuschauer schnell zum Mitklatschen und auch
zum Mittanzen in dem grossen, stuhlfreien Raum animierte, der übrigens
so gut besucht war, dass zum temperamentvolleren Tanzen kaum Platz
blieb. Gero Gellert (E-Bass) und Ralf Schläger (Schlagzeug)
komplettierten die instrumentelle Ausstattung.

Cajun ist die Musik von französischen Einwanderern, die zunächst in
Kanada lebten, die von den Engländern im 18. Jahrhundert von dort
vertrieben wurden und in Louisiana, in den "Swamplands" (Schwemmland)
des Mississippideltas eine neue Heimat fanden. Ihre Musik übernahm und
integrierte unter anderem Elemente der Country and Western-Musik der
anglo-amerikanischen Einwohner, woraus sich die Cajun-Musik entwickelte.
Die Texte sind alle in französicher Sprache. Da bei uns wohl die
wenigsten in der Lage sind, diese Texte zu verstehen, brachte uns Johannes
in einer sehr unterhaltsamen Conference zwischen den einzelnen Stücken
die Inhalte der Lieder rüber. Vieles davon, oder besser gesagt, das
meiste davon sind erfundene lustige Geschichten, wie zum Beispiel die
von den in einem See ausgesetzten japanischen Zierfischen, die mit ihrer
Gefräßigkeit die ganze andere Fauna zu vernichten drohten. Kein Mittel
half, die Tiere wieder aus dem See zu entfernen. Bis die Behörden ein
Gesetz erließen, das die Tiere unter Schutz stellte. Da die Cajuns alles
andere als obrigkeitshörig sind, machten sie sich sofort über die Fische
her und nach wenigen Tagen war kein einziger mehr in dem See zu finden.
Solche und andere lustige Stories, die sich auch oft um den während der
Prohibition schwarz gebrannten Whisky drehten, der wegen des nächtlichen
Geheimbrennens "Mondschein-Whisky" genannt wurde, waren die Textinhalte
der sehr temperamentvoll klingenden Lieder.

Ich selbst bevorzuge temperamentvolle, rhythmische Musik und weniger die
sehr melancholischen, balladenhaften Varianten, aber bei Le Clou werden
auch solche mehr nachdenkliche Stücke so vorgetragen, dass sie den
Zuhörer immer rhythmisch mitnehmen, wozu auch Johannes Epremians
Geigenspiel beitrug, das für ein eher melodisch klingendes Instrument
sehr stark rhythmusbetont gespielt wurde. Unterstützt wurde das durch
das Schlagzeug von Ralf Schläger (Nomen est omen?). Ich habe Le Clou zum
ersten Mal vor 4 Jahren im Sommerfestival im Biergarten des
Parkrestaurants Rheinaue gehört. Bis dahin habe ich nicht gewusst, dass
es solche Musik gibt, aber seitdem gehört Le Clou zu den "must hear"
einer jeden musikalischen Folk-Saison.

http://www.leclou.com
http://www.bungertshof.de


Michaels Artikel und frühere Rezi über Le Clou:
http://www.folker.de/200602/09clou.htm
http://folktreff-bonn-rhein-sieg-rezensionen.blogspot.com/2006/02/konzertrezension-le-clou-am-322006-in.html bzw. http://tinyurl.com/7zgux

FLR

http://folktreff-bonn-rhein-sieg-rezensionen.blogspot.com/2006/03/konzertrezension-le-clou-am-3132006-in.html bzw. http://tinyurl.com/prrwt
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X.7. Konzertrezension: Irish Stew am 1.4.2006 in der Harmonie in Bonn-Endenich

Irish Stew aus Herchen an der Sieg dürfte auch Besuchern des Bonner Folktreffs im Anno Tuback noch bekannt sein, denn dort spielten sie nicht nur einmal, und eine der wenigen Rezensionen aus dieser Zeit dokumentiert einen Auftritt von Irish Stew, im Übrigen die vorletzte Folktreff-Veranstaltungen überhaupt im Dezempber 2003. Seit dem habe ich sie auch nicht mehr gehört, obwohl sie schon vor einem Jahr in der Harmonie spielten, aber ich kann ja nicht überall dabei sein. Nun ergab sich aber wieder die Gelegenheit als ich Günter Koch beim Konzert der Lokal Heroes im Januar in der Harmonie traf und er uns zum Irish Stew -Konzert einlud. So schreibe ich jetzt eine Rezension, das hat er nun davon. Er meinte ja ganz bescheiden, sie würden im Vergleich zu anderen doch eher schlecht abschneiden. Ob das so stimmt? Schaut selbst:

Mittlerweile hat sich die Besetzung der Band ein wenig geändert, und ein für mich neues Mitglied, Nelah Moorlampen, begann das Konzert, nachdem Günter das Publikum fragte, ob es nun soweit sei, mit einem ruhigen, mir jetzt namentlich nicht, aber ansonsten doch bekannten irischen Lied, bei dem ich schon den Eindruck gewann, dass der Stil dieser Band sich doch verändert habe. Dieses ging sodann aber über in eine gewohnte rockige Darbringungsweise von „Johnny Cope“, wobei Günter das Publikum aufforderte, kräftig mit zu klatschen. Da er selber sich gerade in dieser Woche eine Erkältung zugezogen hatte, bat er sodann, man möge ihn beim Singen kräftig unterstützen, obwohl, das muss ich sagen, seine angekratzte Stimme gerade den kräftigeren Songs eine nicht unpassende Herbheit verlieh. Es ging weiter mit Songs wie „Rocky Road to Dublin“ und anderen bekannten Hits des Irish Folk, wie zum Beispiel auch „The Star of the County Down“, und auch das Eine oder Anderes aus dem Repertoire von Paddy goes to Holyhead wie „Johnnyboy went to the war“ und „Gipsie’s Wedding Day“, wobei er sich selbst auf Gitarren und Mandola begleitete, Petra Herdtle die E-Geige temporeich strich, so wie ich es in Erinnerung hatte, eine zweite Gitarre aber wieder von einem Neuling, nämlich Klaus Gresista bedient wurde, und auch das Schlagzeug das Ganze noch ein Spur deftiger machte, obwohl von einer Frau bedient, nein, nicht mehr von Karola Mittler, sondern von Marion König, und des weiteren war da noch Mathias Hudelmayer mit seinem Cello, das er mal sitzend strich und mal stehend zupfte. Nun musste Günter aber weder alles alleine singen, noch sich nur auf das Publikum verlassen, sondern einerseits ließ Nelah noch des öfteren ihre wunderbare Stimme ertönen, zum anderen wurde auch Ex-Mitglied Hans Rüdiger Lemke zweimal auf die Bühne gebeten, der zwar seine singende Säge nicht dabei hatte, aber „Ride on“ und anderes zum besten gab. „Ride on“ gehörte nun zu den ruhigeren Liedern des Abends, und dabei zeigte Marion, dass sie nicht nur trommeln, sondern auch Blockflöte spielen kann, und das tat sie in einer zweiten Stimme, so dass ich gerade von diesem Arangement total begeistert war. Auch das von Nelah gesungene „Greensleeves“ begleitete sie mit Blockflöte und Matthias mit dem Cello. Überhaupt dieses Cello, was ja im Folk Rock-Bereich kein häufig anzutreffendes Instument ist, gibt der gesamten Musik von Irish Stew eine ganz besondere Note, auch bei den rockigeren Liedern. Nelah, die übrigens zwischendurch auch Gitarre, Tin Whistle und Bodhrán spielte, liegen meines Erachtens die ruhigeren Lieder auch mehr, denn für Kriegslieder wie „The Haughs O’Cromdale“ scheint mir ihre Stimme zu zart, und viel besser geeignet, „Amazing Grace“ wie ein Gosplelied, klingen zu lassen, was es ja auch urprünglich ist, auch wenn mancher meint, es sei die schottische Nationalhymne. „The Haughs O’Cromdale“ wurde extra als Abstecher nach Schottland angekündigt, obwohl das schon vorher dargebrachte „Johnny Cope“ doch auch schottisch ist, so viel ich weiß, und das „Ye Yacobites“ allemal. Ja, es waren fast alles Lieder, aber das eine oder andere Instrumental kam auch vor, zu, Beispiel ein Set aus „Dingle Regatta“ und den Titelmelodien aus „Pipi Langstrumpf“ und „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“, und sogar an „Toss the Feathers“ wagten sie sich heran, doch fand ich dabei die Blockflöte in der zweiten Stimme im Verhältnis zur Geige in der ersten zu laut, aber erstere ging dann in die erste Stimme von „Amazing Grace“ über, was sehr gekonnt war. Überhaupt ist es meiner Hörerfahrung nach ungewöhlich und deshalb originell, diesem Reel eine zweite Stimme hinzu zu gesellen. Matthias sang auch eine Strophe seines selbst komponierten – das einzige des Abends – Liedes, dessen Name mir nicht einfällt, obwohl es schon 2003 im Repertoire war, und dieses Lied klingt so, dass ich an Brian Ferry dachte, was mir aber weder meine Frau die Brian Ferry gerne hört, noch Matthias selbst, der nur verwirrt guckte, als ich es ihm sagte, bestätigte.

Man sieht, dass das Sichweiterentwickeln anscheinend eine ansteckende Sache unter Musikern ist. Da hört man mal drei Jahre lang eine Band nicht, und dann erlebt man solche Überraschungen. Es mag auch daran liegen, dass gerade die neuen Mitglieder nicht nur Amateure sind, wie mir Marios Mann Hermann erzählte, wobei Günter mir am Schluss aber augenzinkernd sagte, sie seien doch alle Amateure. Lassen wir diese Spekulation, ich muss mich da noch mal kundig machen, aber jedenfall darf man gespannt sein, was aus dem irischen Eintopf von der Sieg noch wird. Das Publikum, so ca. 200 Leute oder mehr, so dass die Harmonie locker gefüllt war, war jedenfalls begeistert, es hätte der Aufforderung zum Mitklatschen gar nicht bedurft, die Leute taten das ganz von selbst und das sogar wechselrhytmisch und die Musik antreibend und nicht abbremsend, wie es ja auch hier und da vorkommt. Und die ruhigen Lieder kamen auch gut an, da wurde es muksmäuschen still, und man hörte nur noch ergriffenes Atmen.

Wir saßen übrigens erstmals auf der neuen Empore, von wo aus man einen guten Überblick hat. Anschließend aßen wir noch was Leckeres im Restaurant (ich Spaghetti Aglio e Olio für unter 5 Euro), und ein alkoholfreies Hefeweizen von Schneiders (zwischen Fasnacht und Ostern bin ich abstinent) mundete mir auch, während Petra und Ferdi sich guten Bordeaux-Rotwein munden ließen. Diese Qualitäten der Restauration muss man ja auch mal erwähnen, denn was täten die Musiker und wir Musikfreunde ohne die Veranstaltungsorte?

http://www.irishstew.de
http://www.harmonie-bonn.de/

Ferdis Rezi von 2003:
http://folktreff-bonn-rhein-sieg-rezensionen.blogspot.com/2003/12/konzertrezension-bonner-folktreff-mit.html bzw. http://tinyurl.com/aqr44

http://folktreff-bonn-rhein-sieg-rezensionen.blogspot.com/2006/04/konzertrezension-irish-stew-am-142006.html bzw. http://tinyurl.com/msc95

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X.8. Konzertrezension: Mirta & The Goalgetters am 7.4.2006 im Bungertshof in Königswinter-Oberdollendorf

Und wieder folgte ich mal dem Geschmack meiner Frau Petra zu einem Konzert (umgekehrt kommt es viel häufiger vor) und zwar diesmal in den Bungertshof, wo Mirta & The Goalgetters Latin, Funk und Soul spielen sollten, was sie auch taten. Mirta ist Kubanerin und lebt in Köln, die Goalgetters sind eigentlich eine eigene Band, die sich für diese Tour und die Einspielung des Albums „with influence“ mit Mirta zusammen getan hat und aus Guido Craveiro aus Portugal am Keyboard, Andreas „Schimmel“ Schimmelpfennig aus Deutschland am E-Bass, Mirko „Micky“ Kamo aus Mazedonien am Schlagzeug, Tibor Szücs aus Ungarn an der akustischen Gitarre, Jörg Hartig aus Deutschland an der E-Gitarre und Silvia Palma aus Portugal und Yma America aus Venezuela, die Mirta mit ihrem Hintergrundgesang unterstützten, besteht. So hätten wir sieben Mitmusiker(innen) Mirtas, obwohl im Bungertshofprogrammheft und auf Mirtas Homepage von neuen Leuten die Rede ist. Nummer Acht ist bestimmt Uli „Das Ohr“ Auer am Mischpult, aber Nummer Neun konnte ich nicht ausmachen. Ah, die Liste auf Mirtas Homepage nennt noch Renis Medoza an der Percussion, aber der war an dem Abend wohl nicht da.

Mirta begann Ihren Auftritt mit einem kubanischen Arbeitsgesang, für den sie das Publikum zu einem langsamen rhythmischen Klatschen aufforderte, und der mich an einen Walking Song erinnerte, wie Kerstin Blodig ihn gerne singt. Das war dann aber auch das einzige rein traditionelle Lied des Abends, denn schon das zweite war sehr poppig, aber im Temperament recht zurück haltend. Das blieb nicht lange so, um im Rückblick erwies sich dieses zweite Lied als das langweiligste, da waren sich Petra und ich einig. Uli am Mischpult brauchte auch noch ein paar Lieder, bis er die günstigste Einstellung für alle Musiker gefunden hatte, denn anfangs klang alles ein wenig dröhnend und wenig differenziert, aber nach und nach kamen die einzelnen Instrumente und Stimmen gut heraus. Daran zeigt sich, wie wichtig dieser Job bei nicht rein akustischen Konzerten ist, gerade wenn der Raum selber keine so gute Akustik hat, und ich muss im Nachhinein (und evlt. auch im Voraus) dafür um Entschuldigung bitten, dass ich bei meinen bisherigen Rezensionen die Inhaber der Mischpultfunktion nie erwähnt habe (in Zukunft bemühe ich mich darum). Die teils englisch, teils spanisch gesungenen Lieder entwickelten immer mehr Groove, was auch bedeutet, dass sich ihr Temperament nicht rein durch Tempo zeigte, sondern eher durch einen ruhigen, walzenden Rhythmus, der durch Mirtas Stimme teils deftig, teils filigran umspielt wurde und natürlich auch durch das eine oder andere Solo der E- und A-Gitarre, des E-Basses oder des auf Piano gestimmten Keyboards, die teilweise sehr jazzig klangen. Die akustische Gitarre hatte einen sehr flachen Klangkörper, so dass sie fast wie eine E-Gitarre aussah. An Musikstilen hörte ich neben Soul auch Reggae heraus, einiges erinnerte mich gar an Rap, z.B. an Orishas aus Kuba oder auch an Coolio, besonders gut gefiel mir aber ein Calypsolied namens „Baby sing that song“, das eine richtig fröhliche Stimmung verbreitete, dann meine ich Merengue (Merenge, Meruenge, Marenge, Marengue, Maruenge; Welche Schreibweise stimmt denn da? Ich nehme mal die von Wikipedia.), Samba und Ska heraus gehört zu haben, und auch den einen oder anderen afrikanischen Einfluss, alles in allem aber eine Mischung mit sehr amerikanischem Flair, von Karibik und Florida bis Südkalifornien, also auch sehr sonnig und lebensfroh, und dabei auch etwas ernst im Hintergrund, eine multiethnische Mischung mit Schmelztiegelcharakter. Einige der Lieder schrieb Mirta selbst, nur leider verstand ich die Texte nicht. In einer Ansage sagte sie, ein Lied sei gegen Gewalt und für offene Grenzen. Je ein Lied wurde auch von Yma und Silvia gesungen, die das auch sehr gut konnten. Es kam sehr viel Wärme in der Musik rüber, nicht nur wegen der südlich-sonnigen Assoziationen, sondern auch menschliche, und ich bin sehr froh, dass Petra sich dieses Konzert raus gesucht hat. Sie spielten übrigens zirka eineinhalb Stunden ohne Pause und legten dann noch zwei Zugaben obenauf.

Petra kaufte sich Mirtas CD „with influence“ mit acht Stücken für acht Euro. Die Aufnahmen sind klarer und feiner als die Liveakustik, und es sind auch ein paar Bläser dabei, die mit schönen souligen Partien aufwarten.

Der Bungertshof war übrigens angenehm gefüllt, man konnte bei der Musik Speisen und Getränke genießen (ich wieder ein alkoholfreies Hefeweißbier, diesmal von Erdinger, Petra einen Oberdollendorfer Spätburgunder, und wir beide zusammen eine Käseplatte mit vier leckeren Käsesorten und reichlich Schwarz- und Weißbrot), die Kellner waren in gewohnter Weise schnell zur Hand aber keineswegs aufdringlich, und Hans der Wirt tanzte ausgiebig auf der kleinen Tanzfläche. Da kann man sich schon wohl fühlen!

http://www.mirta.de
http://www.the-goalgetters.de
http://www.bungertshof.de/

http://folktreff-bonn-rhein-sieg-rezensionen.blogspot.com/2006/04/konzertrezension-mirta-goalgetters-am.html bzw. http://tinyurl.com/o9grg


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X.9. CD-Rezension: Carol Knauber’s String Attack. the journey

Swinging Banana Records 2000 mit englischen Informationen und ein paar Fotos
11 Tracks, 49,42 Minuten

Carol Knauber’s Sting Attack dürfte noch Besuchern des Bonner Folktreffs im Anno Tubac bekannt sein. Zwei- oder dreimal hörte ich dort dieses kleine aber feine Bonner Ensemble, meiner Erinnerung nach immer ein Trio, auf dieser mittlerweile schon sechs Jahre alten CD aber ein dreifaches Trio, also ein Novett, wenn man das so sagt, bestehend aus Hans Greuel (Bass; wie Carol auch bei Sahara dabei), Ingmar Meissner (Violine), Michael Pölchau (Violine), Phillip Richter (Violine), Mario Argandona (Percussion), Alfonso Garrido (Percussion), Roland Peil (Percussion), Tom Busse (Dobro; er ist Folktreffbesuchern auch als Slidin’ Tom B. oder auch als die eine Hälfte von Slide Kick bekannt) und Carol T. Knauber (Steel String Guitars, Nylon String Guitars, 12 String Guitars, Octave Guitar, Quart Guitar, Sitar Guitar, Mandolin, Octave Manoldine und Percussion).

Meiner Empfindung nach handelt es sich dabei um Kammermusik im Sinne einer feinen, minutiös gespielten, nicht sehr aufregenden, sondern mehr für den stillen und aufmerksamen Hörgenuss gedachten Instrumentalmusik. Aber es ist keine Klassik, sondern alle elf Stücke sind Carols Eigenkompositionen. Beim oberflächlichen Hören mag man denken: na ja, ganz nett, klingt etwas nach der Gitarrenmusik, die früher mal der NDR bei Fernsehpausen ausgestrahlt hat, wobei ein Zeichentrickbalon über die Landschaft flog. Beim genaueren Zuhören merkt man aber, wie zahlreich die musikalischen Einflüsse sind, die da verarbeitet wurden: Bluegrass, Raϊ, Irish Traditional, Barock, deutsche Volksmusik, verschiedene Arten von Jazz z.B. Ragtime, und noch mehr, und das, ohne dass es ein wirres Gemisch wäre, sondern bei aller Komplexität der Instrumentbenutzung und der Arrangements merkt man: diese Musik kommt direkt aus dem Herzen. Die Musik ist durchweg sehr rhythmisch, in den Feinheiten auch innerhalb der einzelnen Stücke sehr abwechlsungsreich, und die vielfältigen Einflüsse zeigen sich in den einzelnen Stücken sehr unterschiedlich, „Montain View“ klingt nach der Filmmusik eines Jugendabenteuerfilms, wie Christian Bruhn sie schrieb, „It’s About Time“ klingt etwas skandinavisch, „Bue Men“ am meisten nach Ragtime, „Take 5 Ad 6“ nach Raϊ, nur eben ohne Gesang und „Wrong Time“ barock. Carol selber nennt als Musiker, die ihn in Bezug auf diese CD am meisten inspirierten Tony Rices, Al DiMeola, John McLaughlin, Michael Flatley, Sam Bush, David Grismann, Mike Marshall, Butch Baldassari, Simon Mayer und Khaled. Ob alle diese Namen einem was sagen oder nicht, man möge der CD einfach unvoreingenommen begegnen und ihre Stärken entdecken.

Sting Attack gibt es derzeit leider nicht life zu hören, sondern müsste wieder belebt werden, aber Carol - übrigens einer der besten Gitarristen, die ich kenne - kann man mit seiner Formation Soul United am 18.3.2006 im Session in der Bonner Innenstadt (21 Uhr) und am 19.3. in der Klangstation in Bad Godesberg (20 Uhr) hören und mit Sahara am 29.4. im Kubana in Siegburg (19 Uhr).

http://www.carolknauber.de

http://folktreff-bonn-rhein-sieg-rezensionen.blogspot.com/2006/03/cd-rezension-carol-knaubers-string.html
bzw. http://tinyurl.com/pwc5q

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XI. Und noch’n Gedicht: Look to this day

zugeschickt von Murad Merwanji aus Bremen:


Look to this dayfor it is lifethe very life of life.In its brief course lie allthe realities and truths of existence,the joy of growth,the splendor of action,the glory of power.For yesterday is but a memoryAnd tomorrow is only a vision.But today well livedmakes every yesterday a memoryof happinessand every tomorrow a vision of hope.Look well, therefore, to this day.... ~ ancient Sanskrit poem ~
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So, das war es mal wieder, hoffentlich habe ich nicht zu viele Tippfehler übersehen (einige bestimmt), und ich wünsche allen Christinnen und Christen, die es feiern mögen, eine besinnliche Karwoche und ein frohes Osterfest, und allen Menschen eine frohe und erfüllte Zeit bis zum nächsten interrel. Rundbrief und darüber hinaus.

Herzliche Grüße,
Ihr/Euer Michael A. Schmiedel