Freitag, Oktober 08, 2021

Interreligiöser Rundbrief ... Nr. 2021-1

 


Interreligiöser Rundbrief für Bonn und Umgebung Nr. 2021-1

(07./08.10.2021)

„In den Heiligen Schriften gibt es Stellen, die so interpretiert werden können, dass sie zum Krieg aufrufen. Wir können diese Stellen ignorieren, wir können sie spiritualisieren, aber wir müssen sehen, dass es Gläubige gibt, die sie ernst nehmen.“

 

                                           Foto: Michael A. Schmiedel

Kardinal John Onaiyekam (Sinngemäßes Zitat aus dem Gedächtnis.)

 

Liebe Leser*innen des Interreligiösen Rundbriefes,

tatsächlich habe ich im ganzen Jahr 2021 noch keinen Interrel. Rundbrief geschrieben, sondern nur immer wieder mal Hinweise zu religiösen Feiertagen in diesem Verteiler rundgeschickt. Es gab immer so viel anderes zu tun. Das ist jetzt auch nicht anders, aber ich sitze gerade im Zug auf dem Heimweg von einer wunderbaren Tagung in Lindau am Bodensee, und möchte einfach ein paar Zeilen darüber schreiben.


Generations in Dialogue. Conference of the World Council of Religious Leaders on Faith and Diplomacy

Dazu muss ich sagen, dass das auch von mir erwartet wird, seit ich im März zum Öffentlichkeitsreferenten von Religions for Peace Deutschland gewählt wurde, wobei dieser Rundbrief aber mein persönliches Medium ist, und ein offizieller RfP-Text noch folgen wird. Das war eine Tagung von Religions für Peace International, von Ring for Peace (Stiftung Friedensdialog der Weltreligionen und Zivilgesellschaft) und vom Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland, und es gibt um den Dialog der Generationen über Glauben und Diplomatie. Ich muss sagen, ich erwartete bei dem Thema Diplomatie eine etwas förmliche und steife Gesellschaft anzutreffen, doch wurde ich sehr positiv überrascht, denn die Tagungsteilnehmer*innen waren vor allem sehr herzliche und unkomplizierte Menschen, selbst wenn ranghohe Diplomat*innen und religiöse Führer*innen darunter waren. Inhaltlich ging es dabei um die Hilfe für von Corona bzw. vom Lockdown geschädigte Menschen, um den Klimaschutz, selbstverständlich um Friedensarbeit und bei all dem eben auch darum, welche Rolle Diplomat*innen und religiöse Führungspersönlichkeiten dabei spielen, und wie sie interagieren können. Und es waren alte und junge Menschen, Senioren und Jugendliche darunter, und der römisch-katholische Kardinal aus Abuja in Nigeria, von dem das Zitat oben stammt, sagte dazu, dass die Jugend heute länger dauere, so bis zum Ende des Studiums, während in seinen jungen Jahren selbst Kinder schon erwerbstätig sein mussten und somit schon fast als Erwachsene galten.

Ich weiß gar nicht, wie viele Religionen bei dieser hybriden Tagung vertreten waren. Selbstverständlich die üblichen großen wie Christentum, Islam, Hinduismus, Buddhismus, Judentum und Bahá’í, aber auch indigene Religionen, die jede für sich weitaus weniger Mitglieder haben. Die Stars, zumindest wenn man das daran bemisst, wer sich alles mit ihnen fotografieren lassen wollte, waren sicher Großvater Dominique und Großmutter Marie-Josée Rankin vom Volk der Anicinape (Algonquin) in Quebéc, und das sicher nicht nur wegen seines schöne Federschmucks, sondern auch weil sie eine Weisheit der Naturverbundenheit repräsentierten.


Margot Käßmann, Marie-Josée Rankin, Dominique Rankin und Fatima Hallal bei der Ringzeremonie. Foto: Michael A. Schmiedel

Aber auch junge Leute waren Stars, als sie erzählten, wie sie in ihren Heimatländern für Menschen, die wegen des Covid-Lockdowns nicht arbeiten durften, Lebensmittel, Schutzmasken, Seife und anderes organisierten oder wie sie Bäume pflanzten, um den Klimawandel zu bekämpfen, und das jeweils in interreligiöser Zusammenarbeit. Andere erzählten von interreligiösen Dialogen, die die Unkenntnis übereinander minimierten. Mal wurden die Aktionen von staatlichen Stellen unterstützt, mal nicht. Gerade in Bezug auf den Schutz des Regenwaldes wurde es deutlich, dass es ohne staatliche Hilfe nicht geht, denn mit dem Regenwald sind auch die dort lebenden indigenen Völker gefährdet, auf deren Naturwissen man aber auch angewiesen ist.

Diese Tagung war ja eine Folgetagung der großen Weltversammlung 2019, auch in Lindau, und auf deutscher Ebene haben sich damals drei Arbeitsgruppen gebildet, die sich auch jetzt trafen und von ihren Aktionen berichteten, und zwar eine zum interreligiösen Klimaschutz, eine zum interreligiösen Lernen und eine zur Kartographie interreligiöser Organisationen in Deutschland. Für die Öffentlichkeit ist sicher die erstgenannte zunächst am interessantesten, da sie zum Beispiel am 31.10.2021 ein Klimafestival veranstalten, worauf ich noch extra hinweisen werde.

Also mir machte diese Tagung Mut für meine interreligiöse Arbeit. Aber es kamen auch Probleme zur Sprache, wenn auch manche eher bei den Pausengesprächen, so     Ausgrenzungen von Religionsgemeinschaften durch andere, oft innerhalb einer Religion, wie der Ahmadiyya durch andere Muslim*innen oder der Gülen-Anhänger*innen durch andere türkische Muslim*innen. Aber selbst die Generalsekretärin von Religions for Peace International Azza Karam fragte in einer Sitzung kritisch, ob man alle Religionsgemeinschaften zur Mitgestaltung der Gesellschaft einladen solle, wohl wissend, dass es auch sehr exklusivistische gibt, die nur ihre eigene Sichtweise durchsetzen wollen, worauf Irmgard-Maria Fellner vom Auswärtigen Amt meinte, man höre sich alle an, grenze niemanden von vornherein aus, und dann sehe man, was man miteinander machen könne.

Ein anderes Problem erschien mir die immer wieder mal zu hörende Meinung zu sein, religiöse Menschen seien besser geeignet, die Krisen der Welt zu meistern. So gab es auch eine Diskussion darüber, ob religiöse Akteure bei der Covid-Krise einzigartige Hilfe geleistet hätten, wobei je zwei Vertreter*innen pro und contra diskutierten, und vor und nach der Diskussion die Anwesenden nach ihren Meinungen dazu befragt wurden, wobei wiederum vor der Diskussion die Mehrheit die These bejahte, sie nach der Diskussion aber verneinte. Mir schien indes die Fragestellung zu verallgemeinernd, denn es gibt ja religiöse Akteure, die sehr hilfreich waren und solche, die die Lage noch verschlimmerten, und bei nichtreligiösen Akteuren ist es genau so, so dass man diesbezüglich gar nicht zwischen religiösen und nichtreligiösen Akteuren unterscheiden kann. Das hängt von vielen Faktoren ab, wie sich ein Mensch, sei er religiös oder nicht, in Bezug auf Corona positioniert. Azza Karam bestärkte meinen diesbezüglichen Aufruf auch noch, in dem sie klar machte, dass religiöse Menschen nicht per se bessere Menschen seien als nichtreligiöse.

 

House of One

Das mag jetzt erstmal zu dieser Tagung genügen, aber ich möchte noch auf ein anderes Ereignis im Laufes Jahres eingehen, nämlich die Grundsteinlegung des House of One am 27.05,2021, der ich online beiwohnte. Da haben sich Vertreter*innen des Christentums, des Judentums und des Islam zusammengetan, um ein interreligiöses Gebetshaus zu bauen, mit einer Kirche, einer Synagoge und einer Moschee, sowie einem Raum für andere Religionen, aber auch andere Zwecke zu bauen. Bei zwei Informationsveranstaltungen dazu fragte ich auch, ob es exklusiv ein Haus für die drei großen monotheistischen Religionen sein solle, was ausdrücklich verneint wurde. Das Haus sei eine Initiative von ganz konkreten Akteuren, also auch nicht von „den drei Religionen“, aber es solle allen offen stehen. Hätte man aber schon bei der Gründung versucht, Vertreter*innen aller Religionen mit ins Boot zu holen, würde das Haus auch immer teurer werden und vielleicht unmöglich werden. Gegenwind gebe es ja auch eh genug, auch aus diesen drei Religionen.

Ich lasse es jetzt mal genug sein, obwohl mir noch Themen auf der Seele brennen, aber ich will diesen Rundbrief nicht überfrachten.

Zum Abschluss noch ein Gedächtniszitat von der Tagung in Lindau:

 

„Wir müssen mit beiden Füßen auf der Erde stehen. Am besten barfuß.“

Großvater Dominique Rankin


                                            Foto: Michael A. Schmiedel

 

Wer jetzt noch mehr lesen, sehen und hören möchte:

Religions for Peace:
https://www.rfp.org/
https://religionsforpeace-deutschland.de/

Ring for Peace:
https://de.ringforpeace.org/ (Vor allem dort viel PR zur Tagung.)
https://vimeo.com/ringforpeace (Videos von der Tagung.)

Auswärtiges Amt:
https://www.auswaertiges-amt.de
https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/themen/kulturdialog/religion-aussenpolitik/212814
https://www.auswaertiges-amt.de/blob/2239074/b97244399c2026e963d1336d0aba1abf/religion-und-aussenpolitik-data.pdf (Religion und Außenpolitik)

Christian Röther. Religions for Peace – Interreligiöser Generationendialog am Bodensee. In: Deutschlandfunk. Tag für Tag. Aus Religion und Gesellschaft am 05.10.2021:

https://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2021/10/05/religions_for_peace_interreligioeser_generationendialog_dlf_20211005_0947_a4910ff8.mp3   

 

Interreligiöses Klimafestival:
https://greenfaith.org/klimafestival/?lang=de

 

House of One:
https://house-of-one.org/de


Christian Röther.
Grundsteinlegung des „House of One“ in Berlin – ein Haus für drei Religionen. In: Deutschlandfunk. Tag für Tag. Aus Religion und Gesellschaft am 27.05.2021:
https://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2021/05/27/grundsteinlegung_des_house_of_one_in_berlin_ein_haus_dlf_20210527_0936_83d51296.mp3

 (Alle Links geöffnet am 8.10.2021.)

Herzliche Grüße,
Ihr/Euer
Michael A. Schmiedel

 

                                            Foto: Hamideh Mohagheghi

(Geschrieben am 7.10.2021 im RE zwischen Lindau und Ulm, ergänzt am 8.10.2021 zu Hause, ein Tippfehler korrigiert am 15.10.2021.)

interreligioeser-rundbrief.blogspot.com