„Die heutigen Kulturen entsprechen nicht mehr den
alten Vorstellungen geschlossener und einheitlicher Nationalkulturen. Sie sind
durch eine Vielfalt möglicher Identitäten gekennzeichnet und haben grenzüberschreitende
Konturen. Das Konzept der Transkulturalität beschreibt diese Veränderung. Es hebt
sich ebenso vom klassischen Konzept der Einzelkulturen wie von den neueren
Konzepten der Interkulturalität und Multikulturalität ab.“
Wolfgang Welsch
„Transreligiös sind […] alle Prozesse der Selbstüberschreitung einer religiösen Tradition, sei es durch interne Auseinandersetzungen oder durch Begegnung mit anderen Traditionen.“
Karl
Baier
Interreligiöser
Rundbrief für Bonn und Umgebung 2015-02
(23.03.2015)
(23.03.2015)
Liebe Leser*innen des interreligiösen Rundbriefes,
ich wünsche Ihnen und Euch allen ein frohen Frühlingsanfang
oder gleich nochmal ein frohes neues Jahr, so Sie Norouz, Nowruz, Newroz, Nevruz
oder wie auch immer Sie es schreiben gefeiert haben!
Wie schon im Januar mitgeteilt, erhalten Sie interreligiöse Termine nun über kurzfristige Weiterleitungen, während der Interreligiöse Rundbrief „nur“ allgemeine Informationen und/oder Reflexionen enthält.
Diesmal möchte ich gerne ein paar Gedanken mit Ihnen teilen, die sich um einen Begriff ranken oder viel mehr um ein Präfix, nämlich „trans“.
Woran denken Sie bei „trans“? An den Trans-Europa-Express, die Transsibirische Eisenbahn oder den Trans Canada Highway? An Transzendez, Transzendentale Meditation oder die Transsubstation von Wein und Brot in Blut und Leib Christi? An das römische Gallia Transalpina, an Transitreisen oder an Transgender? Es hat jedenfalls immer damit zu tun, entweder zwei Enden eines Ganzen miteinander zu verbinden, so wie der Trans Canada Highway die Ostküste Kanadas mit der Westküste verbindet, oder damit, eine Grenze zu überschreiten, so wie Transgender eine Grenze geschlechtlicher Identität überschreiten.
In Bonn wurde neulich ein neuer Verein gegründet, der den Namen "ANQA - Verein für transkulturelle Bildung" trägt. Was „ANQA“ bedeutet, muss ich nochmal nachfragen. Die Bedeutung des Wortes „transkulturell“ erklärte mir Vereinsmitgründer David Clement folgendermaßen: Das geläufige Wort „interkulturell“, also „zwischenkulturell“, gehe davon aus, dass sich zwei oder mehr voneinander klar unterschiedene und im jeweiligen Inneren einheitliche Kulturen oder eben deren Vertreter zu Gesprächen oder gemeinsamen Aktionen träfen. Nicht berücksichtigt würde bei dem Begriff „interkulturell“, dass sie Grenzen zwischen den Kulturen durchlässig seien und dass die Kulturen selber in ihrem Inneren vielfältiger und von anderen Kulturen beeinflusst und durchdrungen seien. Die einzelnen Menschen seien eben nicht Vertreter dermaßen abgrenzbarer und einheitlicher Kulturen sondern Individuen mit vielen kulturellen Facetten. Diese Wirklichkeit lasse sich mir „transkulturell“ besser ausdrücken als mit „interkulturell“.
Ich fand dann heraus, dass der Philosoph Norbert Welsch den Begriff „transkulturell“ erfunden und in Umlauf gebracht hat. Ja, warum nicht mit der Sprache spielen und experimentieren, wenn man das, was man ausdrücken will, mit dem gewohnten Vokabular nicht angemessen ausdrücken zu können meint?
Nun kommt mir der Gedanke, ob man das „trans“ nicht auch in
den interreligiösen Dialog einbringen könnte, so dass aus dem inter- ein
transreligiöser Dialog würde. Neulich auf der 4. Integrationskonferenz der
Bundesstadt Bonn kam die dazu passende Diskussion im Workshop zum interreligiösen
Dialog auf, nämlich anhand der Frage, wer denn nun eigentlich die Adressaten
und Akteure des interreligiösen Dialogs seien. Sind es die Vertreter*innen der
Religionsgemeinschaften, die Amtsträger*innen der religiösen Institutionen? Sind
es die Menschen, die sich voll und ganz mit einer Religionsgemeinschaft oder
religiösen Institution identifizieren und in ihrer Gemeinde ihre Heimat finden?
Oder sind auch die Menschen gemeint, die nicht Mitglieder einer
Religionsgemeinschaft sind oder zwar Mitglieder sind, aber so genannte „Kirchenferne“,
die also in einer gewissen Distanz zur offiziellen Theologie oder Institution
ihrer Gemeinschaft stehen und sich stattdessen ihre eigenen Glaubensansichten
formulieren?
Ist der interreligiöse Dialog ein Dialog zwischen Religionen oder zwischen Menschen, die zu diesen Religionen in einem wie auch immer gestalteten Verhältnis stehen: sich mit ihnen mehr oder weniger oder gar nicht identifizierend, ihre Lehren bejahend, überdenkend, kritisierend oder ablehnend, konventionell oder unkonventionell religiös oder spirituell oder doch eher säkular?
Könnte da der Begriff „transreligiös“ nicht aushelfen, um niemanden auszuladen aus dem Dialog, weder die Konservativen, noch die Liberalen, weder die Orthodoxen, noch die Heterodoxen, weder die Fundamentalisten, noch die Freidenker, weder die Frommen, noch die Weltlichen, nicht die, die treu zu einer fest umrissenen Lehre und Gemeinschaft stehen, nicht die, die zwischen den Lehren und Gemeinschaften wandern oder gar gleichzeitig mehreren angehören, nicht die, die keiner Lehre oder Gemeinschaft sich zugehörig fühlen?
Sicher: Wichtiger als die Wörter, die wir verwenden, sind die Inhalte, die wir meinen. Wichtiger ist die Absicht, den Dialog, nennen wir ihn "inter-" oder "transreligiös" oder sonst wie, wirklich integrativ und inklusiv zu gestalten, nicht exklusiv. Jede*r soll eingeladen sein, sich einzubringen und teilzuhaben. Wenn diese Absicht fehlt, bringen noch so schöne Worte und Wörter und noch so trennscharfe Begriffe nichts. Lasst/Lassen Sie uns darüber nachdenken und uns austauschen.
Herzliche Grüße,
Ihr/Euer Michael A. Schmiedel
PS: Das erste Zitat oben stammt aus Wolfgang Welschs Aufsatz „Transkulturalität“, online: http://www.forum-interkultur.net/uploads/tx_textdb/28.pdf (aufgerufen am 23.3.2015)