Donnerstag, Dezember 05, 2024

Interreligiöser Rundbrief ... Nr. 2024-1

 Interreligiöser Rundbrief für Bonn und Umgebung Nr. 2024-1

(05.12.2024)

 

Meinen Bogen setze ich in die Wolken, der soll ein Zeichen des Bundes sein zwischen mir und der Erde. 14 Wenn es nun geschieht, daß ich Wolken über der Erde sammle, und der Bogen in den Wolken erscheint, 15 dann will ich an meinen Bund gedenken, welcher zwischen mir und euch und allen lebendigen Wesen von allem Fleisch besteht, daß forthin die Wasser nicht mehr zur Sündflut werden sollen, die alles Fleisch verderbe. 16 Darum soll der Bogen in den Wolken sein, daß ich ihn ansehe und gedenke an den ewigen Bund zwischen Gott und allen lebendigen Wesen von allem Fleisch, das auf Erden ist. 17 Und Gott sprach zu Noah: Das ist das Zeichen des Bundes, welchen ich aufgerichtet habe zwischen mir und allem Fleisch, das auf Erden ist![1]

 

Liebe Leser:innen des interreligiösen Rundbriefes,

das Jahr verging so schnell und war so voll, privat bei mir vor allem voller schöner Erlebnisse, weltpolitisch voller Schrecken und Wahnsinn! Eigentlich hatte ich nicht vor, erst gegen Ende des Jahres einen neuen interreligiösen Rundbrief zu schreiben, aber immer wenn ich einen schreiben wollte, kam wieder was dazwischen. Nun möchte ich unter den vielen Themen, die mich während des Jahres beschäftigten, eines herausgreifen und ein paar Gedanken dazu äußern.

Als wir im September im Rahmen der Bonner Friedenstage, eine Veranstaltung der Bonner Initiative für Respekt und Zusammenhalt (BIRZ) hatten[2], meldete sich ein Mann zu Wort, der sagte, er haben unter syrischen Freunden Werbung für die BIRZ gemacht und zu Antwort erhalten, dass sie bei der Organisation mit dem schwulen Regenbogen nicht mitmachen wollten. Darüber habe ich seitdem immer wieder nachgedacht.

Es gibt Menschen, die halten Muslime generell für homophob. Wer Thomas Bauer gelesen hat[3], weiß, dass die muslimische Kultur bis ins 19. Jahrhundert christlicher Zeitrechnung gegenüber Homosexuellen viel toleranter war als die christliche. Und dass Europa im Zuge der Aufklärung nicht nur aufgeklärter, sondern auch dualistischer wurde und damit auch noch vehementer als zuvor zwischen eindeutig richtig und eindeutig falsch unterschied. Bauer erzählt davon, dass die aufstrebenden Industrie- und Kolonialmächte im Wettbewerb um die Weltherrschaft die muslimischen Länder überholten und so zu Vorbildern für die jungen Intellektuellen der muslimischen Welt wurden. Sie hätten von Europa lernen wollen, mit europäischen Ideologien wie Sozialismus, Nationalismus und Kapitalismus experimentiert und mit all dem aus Europa auch eine extreme Homophobie übernommen. Als sie gemerkt hätten, dass sie trotz eifrigen Lernens nicht auf die gleiche Augenhöhe mit den europäischen Mächten kamen, ja von deren Vertretern geringgeachtet und zunehmend beherrscht wurden, hätten sie ihre eigenen Wurzeln im Islam entdeckt, aus welchem sie begonnen hätten, auf typisch europäische Weise  eindeutige Antworten herauszuziehen, während die traditionelle islamische Theologie auch der Mehrdeutigkeit ihren Wert zugemessen und so eine Kultur der Ambiguität gepflegt habe.     

Heute pflegen auch wir in Europa eine Wertschätzung der Vielfalt der Lebensweisen, so auch queerer. Das war ein langer Weg und noch immer gibt es – leider wieder zunehmend – starke Gegenkräfte. So las ich vor einigen Wochen auf der Website des NDR, dass in Neubrandenburg auf Antrag eines Ratsherren im Stadtrat die vor dem Bahnhof wehende Regenbogenflagge eingeholt und durch die schwarz-rot-goldene Deutschlandflagge ersetzt wurde. Ein starker Protest der Bevölkerung habe den Stadtrat zwar einlenken und zu einer Regelung finden lassen, nach der Regenbogen- und Deutschlandflagge abwechselnd je eine Woche vor dem Bahnhof wehen sollten, aber zwischenzeitig sei der parteilose Bürgermeister, der die Regenbogenflagge erstmals hatte hissen lassen, zurückgetreten, wegen zu vieler Anfeindungen und Bedrohungen von politisch rechter Seite. Der oben genannte Ratsherr habe damit sein Ziel erreicht, denn er habe einen Hass auf den Bürgermeister, weil der einen Bauantrag des genannten Ratsherrn aus Naturschutzgründen abgelehnt habe.[4] Dieses Beispiel zeigt, dass auch ohne muslimische Beteiligung Homophobie oder generell Queerfeindlichkeit in Deutschland immer noch oder wieder zu politischen Entscheidungen führen kann. Es besteht also gar kein Grund, auf vermeintlich rückständige intolerante Syrer herabzublicken.

Als wir bei der BIRZ den Regenbogen als Symbol wählten, diskutierten wir auch kurz darüber, ob das Symbol nicht missverständlich sei, kamen aber zu dem Schluss, dass wir mit den bunten Farben nicht nur die Vielfalt geschlechtlicher Identitäten und Orientierungen, sondern auch der Religionen, kulturellen Herkünfte und der Lebensentwürfe generell in einer gemeinsamen Gesellschaft meinen, in der wir miteinander im gegenseitigen Respekt leben wollen.  Der Regenbogen ist für uns also ein Symbol für Vielfalt oder auch für Einheit in Vielfalt.

Und er steht für den Bund zwischen Gott und den Lebewesen nach der Sintflut, den Noah‘schen Bund, von dem in der Bibel erzählt wird: Gott habe die Menschheit für ihre Sünden mit einer riesigen Flut bestraft, in der alle Menschen ertrunken seien bis auf Noah, seinen Sohn und seine Schwiegertochter. Von diesen sollen alle nachgeborenen Menschen abstammen, so dass der Bund, den Gott mit Noah geschlossen habe, alle Menschen und darüber hinaus alle Lebewesen umfasse. Man mag auch Kritikwürdiges in diesem alten Mythos finden, so enthält er doch eine schöne Symbolik dafür, dass alle Menschen eines Ursprungs sind und gemeinsam in eine gute Zukunft reisen sollen. Ein Freund von der Regensburger Religions-for-Peace-Gruppe meinte zwar neulich beim interreligiösen Online-Gesprächskreis, die Zahl der Farben beim biblischen und beim queeren Regenbogen seien unterschiedlich[5], aber wenn ich die oben zitierte Bibelstelle lese, lese ich da überhaupt nichts von Farben, sondern nur von einem Bogen. Aber wir wissen ja, dass so ein Regenbogen bunt ist, und ob es nun sieben oder mehr Farben sind, ändert doch nichts an der Interpretationsmöglichkeit des bunten Bogens für ein vielfältiges menschliches Leben in einer Welt voller Artenvielfalt in einem Bund mit der Größe, die in der Bibel „Gott“ genannt wird. Ich hatte auch mal einen Autoaufkleber von Greenpeace mit dem Regenbogen darauf, nannte Greenpeace doch drei ihrer berühmtesten Schiffe „Rainbow Warrior“. Eindeutige Interpretationen gibt es hier nicht, muss oder besser, darf es auch nicht geben. Statt Eindeutigkeit brauchen wir Ambiguität, also Mehrdeutigkeit einander ergänzender, komplementärer Deutungen. 

Übrigens sah ich irgendwo eine Flagge, die je zur Hälfte die Regenbogenfarben und die europäischen Sterne auf blauem Grund zeigte. Das geht sicher auch mit den Farben des Regenbogens und Schwarz-rot-gold oder allen drei zu je einem Drittel. Dann müssten sie auch in Neubrandenburg die Flaggen nicht wöchentlich wechseln.

Dieser Text ist übrigens nicht innerhalb der BIRZ abgesprochen, sondern mein persönliches Statement zum BIRZ-Regenbogen. Ich würde mich aber freuen, wenn auch Menschen syrischer, palästinensischer, israelischer und welcher Herkunft auch immer, sich mit meiner Deutung anfreunden könnten. Und Menschen deutscher Herkunft, denn die Regebogenflagge oder zumindest eine Vorform davon ist ja eine deutsche Erfindung, wie die schwarz-rot-goldene auch.[6]



Und noch ein Zitat zum Anschluss:

Ja, der alte Mann saß direkt am Ende des Regenbogens. Da kam ihm die Erleuchtung.“[7]

    

Herzliche Grüße
Ihr/Euer Michael A. Schmiedel
http://interreligioeser-rundbrief.blogspot.com/

 

(Geschrieben im RE 6 zwischen Bielefeld und Köln am 27.11.2024 und am 04.12.2024.)



[1] Bibel. 1 Mose 9, 13-17. Übersetzung Schlachter 1951, Bibel-online: https://www.bibel-online.net/buch/schlachter_1951/1_mose/9/#1 (aufgerufen am 27.11.2024)

[2] Vgl. Ein Zeichen für das interreligiöse Miteinander angesichts von Terror und Krieg
Veranstalter: Evangelisches Forum Bonn &  Bonner Initiative für Respekt und Zusammenhalt BIRZ
Moderation: Anne-Marie Quaas, Ev. Forum Bonn
Im Rahmen der Bonner Friedenstage: https://pzkb.de/bonner-friedenstage-2024/
Zeit: Mittwoch, 18. September 2024, 19 Uhr
Ort: Haus der Evangelischen Kirche, Adenaueralle 37, 5113 Bonn
Inhaltliches: Der Terrorakt der Hamas am 7. Oktober 2023 hatte Tausende von Toten und die Entführung von Geiseln, sodann einen israelischen Militäreinsatz mit noch mehr Tausenden von Toten und zerstörten Häusern zur Folge, sowie weltweit einer Spaltung der Gesellschaften in pro-palästinensische und pro-israelische Parteinahmen, durch die antisemitische und islamfeindliche Ressentiment gefördert werden. Die Bonner Initiative für Respekt und Zusammenhalt BIRZ setzt ein Zeichen gegen diese Auswirkungen und bringt jüdische, muslimische und andere Menschen für den Frieden zusammen.
Auf dem Podium stellen Roland Benarey-Meisel (jüdisch). Hossein Pur-Khassalian (muslimisch). Thomas Heimsath (christlich), Monika Winkelmann (buddhistisch) und Michael A. Schmiedel (Religions for Peace) die Initiative vor. Online: https://ifn-bonnregion.jimdofree.com/veranstaltungen/ - Zur BIRZ vgl.: https://interreligioeser-rundbrief.blogspot.com/2024/01/bonner-initiative-fur-respekt-und.html (beide Seiten geöffnet am 04.12.2024)

[3] Vor allem meine ich hier: Thomas Bauer. Kultur der Ambiguität. Eine andere Geschichte des Islam. Berlin (Suhrkamp) 2011. Vgl.: https://www.suhrkamp.de/buch/thomas-bauer-die-kultur-der-ambiguitaet-t-9783458710332 (geöffnet am 04.12.2024).

[4] Vgl. Neubrandenburg: Protest gegen Verbot der Regenbogenflagge. Stand: 11.10.2024 16:07 Uhr. Auf NDR https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Neubrandenburg-Protest-gegen-Verbot-der-Regenbogenflagge,neubrandenburg384.html und Überraschung in Neubrandenburg: Neue Chance für die Regenbogenflagge. Stand: 18.10.2024,, 16.44 Uhr. Auf NDR: https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Ueberraschung-in-Neubrandenburg-Neue-Chance-fuer-Regenbogenflagge,regenbogenflagge134.html  (beide Seiten geöffnet am 04.12.2024).

 

[5] Vgl. dazu auch: Symbol Regenbogen. Religiöses und queeres Symbol: Die Bedeutung des Regenbogens. In Sonntagsblatt. 360° Evangelisch. Online: https://www.sonntagsblatt.de/artikel/glaube/religioeses-und-queeres-symbol-die-bedeutung-des-regenbogens (geöffnet am 04.12.2024)

[6] Vgt. Regenbogenfahne. Auf Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Regenbogenfahne und Schwarz-rot-gold: Wie entstand die deutsche Nationalflagge. Von Gábor Páal. Auf SWR: https://www.swr.de/wissen/1000-antworten/schwarz-rot-gold-wie-entstand-die-deutsche-nationalflagge-120.html (beide Seiten geöffnet am 04.12.2024).

[7] Der Schatz am Ende des Regenbogens. Online: https://internet-maerchen.de/maerchen/schatz-regenbogen.htm (geöffnet am 04.12.2024).