Freitag, Juni 17, 2022

Interreligiöser Rundbrief [...] Nr. 2022-4 (17.06.2022)

 

Interreligiöser Rundbrief für Bonn und Umgebung Nr. 2022-4

(17.06.2022)

„Damit begann ein ungleicher Kampf, den die Abgeordneten – darunter Mullahs, die ihr Entsetzen über den Beschuss nicht verbargen – unmöglich gewinnen konnten. Trotz ihrer Unterlegenheit hinsichtlich der Zahl und der Ausrüstung lieferten sich einige Konstitutionalisten einen furchtlosen Kampf mit den Kosaken, feuerten von den Minaretten auf sie und setzten drei Geschütze außer Gefecht. Damit verfügten die Kosaken aber weiterhin über drei Geschütze, mit denen sie Schrapnelle auf die Verteidiger feuerten, das Dach des Parlamentsgebäudes beschädigten und Löcher in die rückwertige Seite schossen. Der Kampf dauerte nicht länger als vier Stunden und forderte einige Hundert Menschenleben – letztlich ein bescheidener Blutzoll für eine Tragödie, die in der gesamten modernen Geschichte des Iran nachhallen sollte.“

                                                                                                          Christopher de Bellaigue[1]

 

Liebe Leser*innen des interreligiösen Rundbriefes,

 

auf den Interrel. Rundbrief Nr. 2022-3 gab es zwei Leser*innenbriefe, deren einer zur Veröffentlichung gedacht ist:

Hallo Herr Schmiedel,

was für eine beeindruckende Sammlung!

Auf jeden Fall teile ich die implizite Auffassung, dass Oper und Theater inklusive der neueren Formate, wie Kino, in künstlerischer Verdichtung das analysieren, was die historischen Menschen und uns bewegt. Auf keinen Fall darf man hier diese Parsifal-Inszenierung vergessen, deren Klage über die Gottlosigkeit der Gegenwart mir nach Jahrzehnten des positiven Genusses den maximalen, zu Tränen gerührten Respekt des Negativen abgenötigt hat, und die die Schlingensief Inszenierung darin noch übertrifft.

Was produziert die Kunst hier eigentlich? Es ist die Information, die Vergleichsbasis, die uns die Möglichkeit eröffnet, dass wir es im wahren Leben anders und vielleicht besser machen. Zusätzlich trösten die Vorbilder in den Fällen, in denen wir doch scheitern. Der Unterschied zum Religionsgründer ist gering.

Obwohl Sie die eigene Entscheidungsschwäche darstellen, tragen Sie doch Kriterien zusammen. Genau das ist die Aufgabe in der Zeit der Unschärfe, die für Sie und mich und andere vorliegt, solange wir nicht zum Handeln gezwungen sind. Die Beweissicherung und -auswertung kommt vor dem Gericht, das auch erst ganz am Ende entscheidet.

Herzliche Grüße
Harald Bergmann“

Der andere Leser*innenbrief war nur an mich gerichtet und kritisierte meinen Vergleich zwischen dem Krieg in der Ukraine und der Star-Wars-Filmreihe und trat für einen strikten Verzicht auf die Lieferung von Waffen ein.

Danke für beide Rückmeldungen! Praktisch wäre es für mich, immer direkt zu erfahren, ob ein Leser*innenbrief nur für mich oder für alle Leser*innen gedacht ist. Notfalls frage ich nach. Lustigerweise erhalte ich auf Rückfragen dann meistens Antworten wie: „Wenn ich nichts dazu schreibe ist es privat“ oder „Wenn ich nichts dazu schreibe, ist es zur Veröffentlichung gedacht.“


Zum Zitat über dem Rundbrief:

Das Zitat zu Beginn dieses Rundbriefes handelt vom Iran zu Beginn des 20. Jahrhunderts, genauer vom 23. Juni 1908. Damals hatten sich die Iraner ein nationales Parlament gewählt, das dann aber Entscheidungen traf, die den russischen und britischen Interessen am Iran wegen seiner Rohstoffe und seiner strategischen Lage widersprachen, woraufhin die Russen von Norden und die Briten von Süden einmarschierten, da Teheran im Norden liegt, die Russen das Parlament beschossen und auflösten und ein den Großmächten genehmer Schah eingesetzt wurde. Diese und andere ähnliche Erlebnisse führten letztlich auch zu dem Mullahregime, das seit 1979 den Iran beherrscht, denn ein Land, das über Jahrzehnte versuchte, einen Weg zwischen Tradition und Moderne zu finden und dabei von den für die Modernisierung zu Vorbildern gewählten europäischen Staaten immer wieder übers Ohr gehauen und unterdrückt wurde, verliert irgendwann sein Vertrauen in diese Vorbilder und wandelt sie zu Feindbildern. Nicht viel anders erging es dem Osmanischen Reich und den arabischen Ländern. Den Hass auf „den Westen“ haben die damaligen Großmächte großenteils selbst zu Verantworten.


Nochmal zum Krieg in der Ukraine

Hier folgt nun ein Text, den ich schon früher verfasst und mit drei Kolleg*innen diskutiert habe, so dass er letztlich zu einer Teamwork wurde:

*

Gedächtnisnotizen zu Im Namen des Herrn? Kirchen und Religion im Ukrainekrieg

Plakat der Veranstaltung
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Hier zunächst die Liste der Mitwirkenden gemäß der Einladung auf
https://www.uni-bielefeld.de/(de)/ZiF/OeV/2022/05-18-Epple.html:

 

Datum: 18. Mai 2022, 19 Uhr
Leitung: Leif-Hagen Seibert (Bielefeld, GER)

Grußworte:
Prof. Dr. Angelika Epple, Prorektorin für Forschung und Internationales, Univ. Bielefeld
Prof. Dr. Véronique Zanetti, Geschäftsführende Direktorin des ZiF (die Zeile ist gegenüber der Einladung korrigiert)

Einführung in das Thema:
Prof. Dr. Heinrich Schäfer (Theologie, Bielefeld, GER)

Auf dem Podium:
Dr. Sergii Bortnyk (Theologie, Kyjiw, UKR),
Prof. Dr. Thomas Bremer (Ökumenik, Ostkirchenkunde und Friedensforschung, Münster, GER),
Prof. Dr. Julia Herzberg (Geschichte Ostmitteleuropas, München, GER),
PD Dr. Sebastian Rimestad (Religionswissenschaft, Leipzig, GER), (hier ist auch eine Korrektur gegenüber der Einladung)
Dr. Natalia Sinkevych (Geschichte Ost- und Südosteuropas, München, GER)

Moderation:
Dr. Leif-Hagen Seibert (Theologie, Bielefeld, GER)




Das Podium mit Natalia Sinkevych, Julia Herzberg, Leif Hagen Seibert, Sebastian Rimestad+++, Thomas Bremer, auf der Leinwand Sergji Bortnyk und rechts Heinrich Schäfer.
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Und jetzt meine Gedächtnisnotizen, mithilfe von Korrekturen und Ergänzungen durch Leif Hagen Seibert und Sebastian Rimestad:

-          Der Ukraine-Krieg ist kein Religionskrieg. Religion spielt nur eine untergeordnete Rolle, insofern Patriarch Kyrill I. die Russ.-Orth. Kirche vom Patriarchat von Moskau (ROK) Putin ideologisch unterstützt und aus diesem politischen Machtkampf als einen Krieg des Guten und des Lichtes gegen das Böse und die Finsternis erklärt. Das Böse oder die Finsternis wird für ihn vom Westen, von den USA verkörpert. Im Westen herrschen seiner Auffassung nach Dekadenz, Unkultur, Religionslosigkeit, was man vor allem an der dort verbreiteten Homosexualität und Genderbewegung sehe.

-          „In der Ukraine gibt es zwei orthodoxe Kirchen“:
Bis 2018 war nur „die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche (UOK), die traditionell dem Moskauer Patriarchat (MP) der Russisch-Orthodoxen Kirche zugeordnet ist und unter ihre Befugnis fällt“, von der Welt-Orthodoxie anerkannt.
Zum anderen „die Orthodoxe Kirche der Ukraine“ (OKU): „Sie entstand 2018/19 durch die ‚Fusion‘ der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Kiewer Patriarchats“ (UOK-KP) (in den 1990ern von der UOK-MP abgespalten“, aber von der Welt-Orthodoxie nicht anerkannt) „und der Ukrainischen Autokephalen Orthodoxen Kirche“ (die in den 1920ern gegründet worden war und vor allem in Nordamerika die Sowjetzeit überlebte, aber von keiner anderen Orthodoxen Kirche legitimiert). „Mit der Anerkennung der OKU durch Bartholomäus I., dem Ökumenischen Patriarch von Konstantinopel, löste sie sich aus dem postsowjetischen Bezug und distanzierte sich von der Russisch-orthodoxen Kirche“ (ROK), die sie auch nicht anerkennt.
(Dieser Absatz verwendet Formulierungen aus Universität Bielefeld, Forschung/Story, „Putin und Kyrill profitieren beidseitig von Legitimation“, 12. Mai 2022, Autor*in: Moritz Schmidt-Degenhard,
https://aktuell.uni-bielefeld.de/2022/05/12/putin-und-kyrill-profitieren-von-beidseitiger-legitimation/ , aufgerufen am 01.06.2022, die in Anführungsstriche gesetzt sind)

-          Außerdem gibt es Griechische Katholiken, Römische Katholiken, Protestanten, wobei diese Kirchen allesamt Minderheitenkirchen sind, Juden und Muslime. Weitere Religionen wurden nicht genannt. Das Besondere an der Griechisch-Katholischen Kirche ist, dass sie nach griechischem Ritus feiert, aber den Papst als Oberhaupt anerkennt und ihr Verhältnis sowohl zu den Orthodoxen Kirchen, als auch zur Römisch-Katholischen Kirche sehr problematisch ist.

-          Die Russisch-Orthodoxe Kirche (ROK) ist die größte Orthodoxe Kirche weltweit, wobei 1/3 der Gemeinden dieser Kirche, die zudem die reichsten sind, sich in der Ukraine befinden (UOK-MP). Demzufolge wäre der Verlust dieser Gemeinden für die ROK ein schwerer Schlag. Kyrill sieht auch deshalb Russland, Belarus und die Ukraine als eine kirchlich-politische Einheit mit Wurzeln in der Kiewer Rus. (Anmerkung von Leif Hagen Seibert: Das ist korrekt, ich würde aber trotzdem anmerken wollen, dass sich das intellektuelle Zentrum der östlichen Orthodoxie im Laufe der Jahrhunderte mehrfach verschoben hat. Es liegt jetzt zwar wieder in Kiew, wo es im 9./10. Jh. schon einmal war, aber die Kontinuität, die da gezeichnet wird, scheint mir in der orthodoxen Ökumene deutlich strittiger zu sein als unter den Ukraine-Experten.)

-          Es gibt einen Streit zwischen den Patriarchaten von Moskau und von Konstantinopel, wobei beide ihren Einfluss auf die Ukraine geltend machen, oft über die Köpfe der Ukrainer hinweg.

-          Die Autokephalie der Orthodoxen Kirchen in enger Verbindung mit der jeweiligen weltlichen Herrschaft des Staates hat sich nach dem Ende des Osmanischen Reiches bzw. auch schon während der Unabhängigkeitskriege in Südosteuropa entwickelt. Der im 19. Jh. entstandene Nationalismus verband sich mit der Autokephalie. Dabei unterscheidet sich aber das Selbstverständnis der ROK, die schon im 15./16. Jh., lange bevor das Konzept des modernen Nationalstaats zur Debatte stand, unabhängig wurde, von dem der anderen orth. Kirchen, insofern diese sich nicht nur als nationale, sondern als imperiale Kirche, als die Kirche des 3. Rom sieht. Sebastian Rimestad ergänzt hier, dass jede Orthodoxe Kirche einen Alleinvertretungsanspruch für ihre Nation hat, also keine Pluralität der Denominationen anerkennt.

-          Wichtiger als die Religionszugehörigkeit ist aber die nationale Identität. Über die Grenzen der Religionszugehörigkeiten hinweg fühlen sich die Menschen der Ukraine entweder sehr als Ukrainer oder als was anderes bzw. ihre Bindung an die ukrainische Nationalität ist unterschiedlich stark.

-          Die Muslime teilen sich vor allem in Krimtataren, die sich als Ukrainer sehen, und solche aus Russland oder anderen GUS-Staaten auf, die sich nicht so sehr als Ukrainer sehen.

-          Die Juden sehen sich in erster Linie als Ukrainer und in zweiter Linie als Juden. Viele haben internationale Vernetzungen z.B. nach Israel und können über diese an Hilfsgüter gelangen, die sie dann nicht nur an Juden, sondern an alle Ukrainer verteilen.

-          Der Papst im Vatikan verurteilt zwar den Krieg, nennt aber keinen Schuldigen und versucht diplomatisch, Kyrill zu beeinflussen, der das aber so hinstellt, als stünde der Papst hinter ihm.

-          Die Religionsgemeinschaften werden den Krieg nicht beenden können, dazu fehlt es ihnen an Macht und Einfluss und im Falle der ROK und der UOK-MP auch am Willen. Aber auch wenn Kyrill seine Meinung ändern würde, würde sich Putin wohl kaum von ihm beeinflussen lassen, sondern ehr der ROK und der UOK-MP Privilegien nehmen und ihnen schaden.

-          Eine wichtige Rolle können die Religionsgemeinschaften aber spielen, wenn der Krieg einmal vorbei ist, und zwar beim Wiederaufbau der Zivilgesellschaft und der Stabilisierung des Friedens zwischen den unterschiedlichen Gruppen der Bevölkerung der Ukraine und vielleicht auch zwischen der Ukraine und Russland.

-          Hier noch eine Einschätzung des inner-orthodoxen Konfliktes von Sebastian Rimestad: Es ist ein Konflikt auf kirchenadministrativer Ebene, bei dem die Gläubigen wenig konkretes Interesse aufzeigen. Allerdings wächst dieses Interesse durch den Krieg, da sie sich fragen, wie es denn sein kann, dass ihr offizielles Kirchenoberhaupt - Patriarch Kyrill von Moskau - den blutigen Krieg immer noch gutheißen kann. Ob und wie die Orthodoxie in der Ukraine überleben kann und wird, bleibt aber immer noch offen.

 

Soweit meine Gedächtnisnotizen, ohne zu berücksichtigen, wer was gesagt hat. Vieles fehlt, aber ich hoffe, das Wichtigste erfasst zu haben. Danke an Leif Hagen Seibert und Sebastian Rimestad für ihre Ergänzungen und Korrekturen, die ich nicht immer namentlich gekennzeichnet habe und auch an Ramona Bullik für eine Korrektur bei den Namen der Grußwortsprecher*innen.

 

Thomas Bremer wurde am 25.05.2022 später von Christian Röther in der Sendung „Tag für Tag. Aus Religion und Gesellschaft“ im Deutschlandfunkt zu diesem Thema interviewt mit dem Schwerpunkt auf der 1917 gegründeten Russisch-Orthodoxen Kirche im Ausland:
https://www.deutschlandfunk.de/die-russische-orthodoxe-kirche-im-ausland-im-gespraech-mit-thomas-bremer-dlf-915558d6-100.html , aufgerufen am 30.5.2022.

 

Michael A. Schmiedel, Siegburg bzw. im IC zwischen Köln und Bielefeld oder umgekehrt, 20./30./31.5./1./3.6.2022

*

Soweit also das Gedächtnisprotokoll mit einigen Ergänzungen. Vielleicht bringt es auch Euch/Ihnen etwas Licht in die komplizierten Zusammenhänge der Orthodoxen Kirchen in der Ukraine und ihrer Rolle in diesem Krieg.

Ich beende damit auch schon diesen Rundbrief mit einem Zitat, das aus einer ganz anderen Literaturgattung stammt und positive Stimmung ins Gemüt zaubern soll:

„Er öffnete das Fenster. Der herrliche Morgen lag draußen wie eine Verklärung über dem Lande und wußte nichts von den menschlichen Wirren, nur von rüstigem Tun, Freudigkeit und Frieden. Friedrich spürte sich durch den Anblick innerlichst genesen, und der Glaube an die ewige Gewalt der Wahrheit und des festen religiösen Willens wurde wieder stark in ihm. Der Gedanke, zu retten, was noch zu retten war, erhob seine Seele, und er beschloß, nach der Residenz abzureisen.“

Und:
„[…] die Weihe großer Gedanken für den Tag zu empfangen […]“

Joseph von Eichendorff[2]

 

Herzliche Grüße,
Ihr/Euer Michael A. Schmiedel

(Geschrieben am 15.06.2022 im RXX von Hamm nach Köln und mit Fotos und Links versehen zu Hause in Siegburg am 17.06.2022 (dem ehem. Tag der deutschen Einheit).)

interreligioeser-rundbrief.blogspot.com

 

 



[1] Christopher de Bellaigue. Die islamische Aufklärung. Der Konflikt zwischen Glaube und Vernunft. 1798 bis heute Frankfurt a.M. (Fischer) 2018, S. 148f. (Übersetzt aus dem Englischen von Michael Bischoff).

[2] Joseph von Eichendorff. Ahnung und Gegenwart. In: Erzählende Dichtungen = Romantiker (ein Band von sechs, ohne Nummerierung) Augsburg (Weltbild Bücherdienst) o.J. (ca. 1985), S. 108 und S. 125. (Erstausgabe: Nürnberg (Johann Leonhard Schrag) 1815.)

Freitag, Mai 13, 2022

Interreligiöser Rundbrief [...] Nr. 2022-3 (13.05.2022)

 

Interreligiöser Rundbrief für Bonn und Umgebung Nr. 2022-3

(13.05.2022)

Einen großen Krieger du suchst? Kriege machen niemanden groß!                                                                                                                                                                                        Meister Yoda[1]

Nicht sicher ich mir bin, ob überhaupt gewinnen einen Krieg jemand kann. Dadurch, dass gekämpft wir haben, Blut vergossen wurde, bereits verloren wir haben.

Meister Yoda[2]

 

 

Liebe Leser*innen des interreligiösen Rundbriefes,

neulich war ich mit einem Freund in einer Vorstellung von „Star Wars in Concert“. Dabei wurde der Film „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ gezeigt, wobei die Filmmusik von einem Orchester live gespielt wurde, das unter der Leinwand saß. Es gab auch Gewandete in Kostümen des Films, zum Beispiel Sturmtruppen, Darth Vader und der Imperator höchst persönlich, die im Publikum für Fotos zur Verfügung standen. Es soll ja Leute geben, die die Star-Wars-Filme nicht kennen, so dass ich zu diesem Film der Serie ganz kurz erkläre: Das Imperium schickt sich an, das ganz Universum zu beherrschen, aber einige Rebellen leisten Widerstand. Unter ihnen auch Luke Skywalker, der letzte der Jedi-Ritter, einem alten Ritterorden, deren Mitglieder für das Gute gegen das Böse kämpfen und dazu eine intensive Ausbildung durchmachen. Ein wichtiger Ausbilder der Jedi ist der oben zitierte Meister Yoda. Der höchste Mitarbeiter des Imperators ist auch ehemaliger Jedi, der sich jedoch auf die dunkle Seite der Macht hat ziehen lassen, Darth Vader, ehedem Anakin Skywalker, Lukes Vater. In diesem Film gibt es eine Szene, in welcher Luke sich dem Imperator und Darth Vader stellt, um seinen Vater wieder auf die gute Seite zurückzuholen. Der Imperator zeigt ihm, dass die Rebellion verloren hat und Luke gut daran täte, seinen Widerstand aufzugeben und auf die dunkle Seite zu kommen. Er provoziert ihn, will Lukes Hass auf sich lenken, denn, so weiß er, sobald jemand seinem Hass freien Lauf lässt, hat die dunkle Seite ihn für sich gewonnen. Tatsächlich greift Luke zu seinem Lichtschwert, Darth Vader wirft sich dazwischen, um den Imperator zu schützen, es kommt zu einem heftigen Zweikampf, in welchem Luke seinen Vater entwaffnet und ihm die Schwerthand abtrennt. Der Imperator fordert nun Luke auf, Darth Vader zu töten und dann seinen Platz einzunehmen. Luke aber steckt sein Schwert ein, besiegt also seinen Hass und liebt ja auch trotz allem seinen Vater. Daraufhin beschließt der Imperator, Luke zu töten, der wiederum unter Stromstößen dem Tode nahe, seinen Vater um Hilfe fleht. Der beobachtet die Szene, es arbeitet in ihm, bis er schließlich auf den Imperator zugeht, ihn hochhebt und in einen tiefen Schacht des Todessterns, auf dem die Szene spielt, wirft, wodurch dieser umkommt. Anakin Skywalker hat den Darth Vader in sich besiegt und ist zur guten Seite zurückgekehrt, stirbt dann aber, indes friedlich in den Armen seines Sohnes. Die Rebellion hat dann letztlich auch Erfolg und der Krieg ist (vorläufig) beendet.



Star Wars in Concert in der Lanxess-Arena in Köln am 28.4.2022
Foto: Schmiedel, 2022.04.28Do MAS SD M472-295 DSC00191

 

Ich kenne diesen Film seit 1983, und auch die anderen Filme dieser Reihe, wenn auch nicht alles, was rund um Star Wars erschienen ist. Jedenfalls erscheint mir die Jedi-Ethik, für das Gute zu kämpfen, wenn es notwendig ist, aber friedlich zu leben, wenn der Frieden nicht bedroht ist, und dabei sowohl die Angst, als auch den Hass in einem harten Training zu überwinden, als eine vorbildliche Haltung.

Ihr ahnt/Sie ahnen es schon: Wir befinden uns eigentlich in einer ganz ähnlichen Situation. Es gibt einen Imperator, der mit Krieg seine Herrschaft ausbauen will. Es gibt Widerstand dagegen, gewissermaßen Rebellen gegen diesen Machtanspruch. Nur fehlen die Jedi-Ritter. Und wie in dieser Filmreihe, gibt es Politiker, die versuchen, den richtigen Weg zu finden, ohne zu viel Risiko eingehen zu müssen.



 

Deutsche, ukrainische und europäische Flagge auf dem Campus der Universität Bielefeld.
Foto: Schmiedel, 2022.04.20Mi MAS SD M470-85 DSC09221

Nun gibt es eine ethische Grundsatzdiskussion von der Ihr/Sie alle sicher gehört habt/haben. Es geht um die Frage, ob es besser ist, Putins Machtgelüsten nachzugeben, um das Leben der Ukrainer zu retten oder sich militärisch zu wehren, um die Freiheit der Ukraine und anderer Länder zu sichern. Die Befürworter der erstgenannten Taktik möchten Putin indes nicht alles überlassen, sondern einen Waffenstillstand herbeiführen, mit dem Putin und die Ukrainer*innen leben können. Sie vertrauen darauf, dass das möglich ist, dass Putin sich dann auch daranhalten wird. Die Befürworter der zweitgenannten Taktik sehen die Gefahr, dass Putin ein Waffenstillstandsabkommen brechen und seine Eroberungen fortsetzen wird, auch über die Ukraine hinaus. Beide Seiten befürchten zudem einen Atomkrieg, erstere, wenn man Putin weiter Widerstand leistet, letztere, wenn man ihn nicht rechtzeitig ausschaltet. Ja das Ausschalten Putins oder die Zermürbung Russlands sind über die reine Verteidigung und Befreiung der Ukraine hinaus schon als Kriegsziele genannt worden.

Diese Diskussionen kann man im Fernsehen verfolgen. Ich verfolgte sie aber auch in interreligiösen Gesprächen via Zoom oder E-Mail-Listen. Ich merkte dabei, dass christliche, buddhistische und muslimische Positionen sehr pazifistisch formuliert wurden. Der Buddha habe die Landesverteidigung nicht erlaubt, ließ ich mir von Vertretern der Deutschen Buddhistischen Union sagen. Ich meinte, eine Stelle im Pali-Kanon in Erinnerung zu haben, in welcher er aber genau das tat, aber finde sie nicht. Vielleicht habe ich sie falsch in Erinnerung. Jesus habe die andere Wange hingehalten, las ich von einer Christin. Ein anderer Christ forderte dazu auf, den öffentlichen Brief an Bundeskanzler Scholz zu unterschreiben, der ihn ersucht, jede Waffenlieferung an die Ukraine zu unterlassen, da diese den Krieg und damit das Leid nur verlängere und den Atomkrieg provoziere. Und ein muslimischer Freund schrieb, er würde, wenn er so überfallen würde, dem Angreifer sagen, er solle sein Land nehmen, ihn zum Untertan machen, aber sein Leben und sein Haus schonen.   



 

Ukrainische Flaggen mit der Aufschrift „Refugees Welcome“ am Haus des Evangelischen Kirchenkreises in Bielefeld. Foto: Schmiedel, 2022.04.26Di MAS SD M472-52 DSC09946

Es gibt so viele Experten inzwischen, von denen jeder genau weiß, was zu tun ist, auch wenn sie darin ganz unterschiedliche Vorstellungen haben. Ähnlich war es auch schon beim Corona-Thema. Ich bin da kein Experte, sondern nur ein Mensch, der oft nicht weiß, wo ihm bei diesen Themen der Kopf steht.

Vom Herzen her bin ich Pazifist. Ich wünsche mir Frieden und weiß, dass man diesen nicht mit Waffengewalt herstellen kann, sondern nur mit beharrlichem Arbeiten an sich selbst, auch in brenzligen Situationen friedlich zu bleiben, innerlich und äußerlich. Ich meine aber, es gibt Situationen, in denen kostet das Friedlichbleiben unter Umständen anderes, was einem wertvoll ist, zum Beispiel die Freiheit. Es gibt Menschen, die kann man mit friedlichen Mitteln nicht aufhalten in ihrem Streben nach Macht. Das Britische Imperium hatte sich durch Gandhis Widerstand, der frei von physischer Gewalt war, beeindrucken lassen. Nun waren es aber auch noch andere Gründe, die die Briten dazu brachten, nach und nach ihre Kolonien in die Unabhängigkeit zu entlassen. Die chinesische Regierung jedenfalls lässt sich durch die Friedfertigkeit des Dalai Lama nicht beeindrucken. Man muss immer die genaue Situation betrachten, um zu entscheiden, welche Mittel der Reaktion auf Gewalt wirksam sein können.

Wenn wir nun unsere Meinung über die Frage, wie wir mit Putins Aggression umgehen sollen – abgesehen davon, dass wir die Entscheidungen, ob Waffen geliefert werden oder nicht, gar nicht fällen, sondern dazu Politiker*innen gewählt haben, die diese Entscheidung für uns treffen – dann sollten wir überlegen, welche Ziele wir damit verfolgen und welche Opfer wir bereit sind, dafür auf uns zu nehmen. Wir befinden uns im Dilemma, dass jede Entscheidung zur noch größeren Katastrophe führen kann, als wir sie zur Zeit schon haben, als da wären ein Einsatz von atomaren, chemischen oder biologischen Waffen, sei dieser kleinräumig oder global, eine Ausdehnung von Putins Herrschaft und ein Ende unserer Demokratie oder eine erneute Zementierung von Grenzen wie vor 1989 zwischen zwei verfeindeten Blöcken. Letzteres erscheint mir von diesen drei Möglichkeiten die am wenigsten schlimme, wenngleich ich damals heilfroh war, als sie vorbei war.

Wichtig ist natürlich auch für jede*n einzelne*n, welche Haltung man selbst in sich kultivieren will, einen radikalen Pazifismus, der jedes Sichwehren ablehnt, eine radikale Verteidigungsbereitschaft, die jedes Bevormundetwerden ablehnt, ein kluges Taktieren, das aber leicht zu Opportunismus führen kann und eben auch die Gefahr unkluger Irrtümer beinhaltet? Oder vielleicht eine Ethik wie die der Jedis, die aus innerem Frieden heraus weiß, dass Waffen keinen Frieden herbeiführen können, aber bisweilen vorläufig zum Einsatz kommen müssen?

Ich schließe diesen Rundbrief mit noch einem Zitat von Meister Yoda und überlasse ansonsten alle Entscheidungen der Weisheit und dem Mitgefühl eines*einer jeden von uns, bei allem Risiko, falsch zu entscheiden.


Möge die Macht mit Euch sein!
Ihr/Euer Michael A. Schmiedel

Furcht ist der Pfad zur dunklen Seite. Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass, Hass führt zu unsäglichem Leid.
                                                                                                                      Meister Yoda
[3]

 

Noch ein paar Links zu interessanten Seiten:

Zu Star Wars:

Star Wars in Concert: A New Hope - Opening (Köln, 19.04.2018). In: Youtube:
https://www.youtube.com/watch?v=3sk0o38TLSk

STAR WARS in Concert: Die Rückkehr der Jedi-Ritter | Tour 2022. In: Youtube:
https://www.youtube.com/watch?v=naMlXBbdw_0

Stars Wars hat viele biblische Parallelen. (Fast) alles in der Bibel geklaut? 04.05.2022. In: Domradio: https://www.domradio.de/artikel/stars-wars-hat-viele-biblische-parallelen?_gb_c=90FEEDB5F6B84AB78C480C48DD3B0D5B&gb_clk=9-20220504093136-22873765-0-80259  

Religionswissenschaft Star Wars: Wie viel echte Religion steckt im Jedi-Orden? Stand: 08. Mai 2022, 05:00 Uhr. In: MDR: https://www.mdr.de/wissen/jediismus-jedi-orden-star-wars-echte-religion-einfluesse-100.html

Jedi Church: https://www.jedichurch.org/
(Nein, ich bin kein Mitglied dieser Religionsgemeinschaft)

Jediismus. In: Wikipedia, https://en.wikipedia.org/wiki/Jediism

 

Zum Krieg in der Ukraine:

Sebastian Rimestad. The Orthodox Church and the War in Ukraine. In: Globalization Dynamics. Blog of the Leipzig Research Centre Global Dynamics. 8./20.3.2022: https://recentglobe.hypotheses.org/1303

Christiane Florin. Entscheidungen in KriegszeitenEthiker Dabrock: Politik muss die Zivilgesellschaft mitnehmen. In: Deutschlandfunk. Tag für Tag, aus Religion und Gesellschaft, Florin, Christiane | 03. Mai 2022, 09:36 Uhr: https://www.deutschlandfunk.de/krieg-angst-eskalation-ethiker-peter-dabrock-ueber-gute-entscheidungsfindung-dlf-6ef37e12-100.html  

Markus Lanz vom 5. Mai 2022. Zu Gast: Politiker Hubertus Heil, Journalistin Golineh Atai, Politologe Wolfgang Merkel und Zukunftsforscher Matthias Horx. In: ZDF, Markus Lanz:
https://www.zdf.de/gesellschaft/markus-lanz/markus-lanz-vom-5-mai-2022-102.html

Hubertus Heil, Politiker
Der Bundesarbeitsminister (SPD) äußert sich zu den Waffenlieferungen an die Ukraine, dem Agieren von Kanzler Scholz und zur Debatte um Energie-Embargos gegen Russland.
Golineh Atai, Journalistin
Die Russlandexpertin spricht über den gesellschaftlichen und politischen Wandel der ehemaligen Sowjetunion unter der Präsidentschaft Putins.
Wolfgang Merkel, Politologe
Er gehört zu den Unterzeichnern eines von Alice Schwarzer initiierten offenen Briefes an Olaf Scholz, als Protest gegen den Kurs der Bundesregierung während des Ukraine-Krieges.

Matthias Horx, Zukunftsforscher
Für die Zeit nach dem Krieg in Osteuropa hat er ein Gedankenspiel entwickelt und skizziert verschiedene Zukunftsszenarien für die Ukraine, Russland und die europäische Friedensordnung.
https://www.zdf.de/gesellschaft/markus-lanz/markus-lanz-vom-5-mai-2022-102.html

Gegen die Waffenlieferung an die Ukraine:
Offener Brief an Bundeskanzler Scholz. In: Change.org
https://www.change.org/p/offener-brief-an-bundeskanzler-scholz?recruiter=888716100&utm_source=share_petition&utm_medium=email&utm_campaign=psf_combo_share_initial&utm_term=0ddb524131ab4b5b8f482573ffdea0ea&recruited_by_id=6f7003d0-8550-11e8-b298-59a077a35d10

Für die Waffenlieferung an die Ukraine:
Waffenlieferung an die Ukraine. Offener Brief. In: Die Zeit, 4.
Mail 2022:
 
https://www.zeit.de/2022/19/waffenlieferung-ukraine-offener-brief-olaf-scholz

Team der GEBETe der Religionen Bonn/Rhein-Sieg. GEBETe der Religionen für den Frieden am Mo18 04 2022. In: Youtube, https://www.youtube.com/watch?v=-64pKegg0qI&t=1421s

(Alle Seiten geöffnet am 13.05.2022.)

 



 

Friedenstaube auf ukrainischer Flagge in einem Schaukasten auf dem Siegburger Nordfriedhof. Foto: Schmiedel, 2022.05.08So MAS CF M83-nnn _MG_5292

 

(Geschrieben am 06.05.2022, mit Fotos und Links versehen am 13.05.2022 zu Hause in Siegburg.)

interreligioeser-rundbrief.blogspot.com

 



[1] Zitat aus dem Film „Star Wars: Episode V - Das Imperium schlägt zurück“ - Gefunden auf: https://www.myzitate.de/yoda/ (geöffnet am 12.05.2022).

[2] Zitat aus dem Film „Star Wars: The Clone Wars, Staffel 6 Episode 13“ - Gefunden auf: https://www.myzitate.de/yoda/ (geöffnet am 12.05.2022).

[3] Zitat aus dem Film „Star Wars: Episode I – Die dunkle Bedrohung“, Gefunden auf: https://www.myzitate.de/yoda/ (geöffnet am 06.05.2022)