Montag, Februar 10, 2020

Interreligiöser Rundbrief ... Nr. 2020-1 (10.02.2020)


Interreligiöser Rundbrief für Bonn und Umgebung Nr. 2020-1
(10.02.2020)

„Deutschland ist ein Land, in dem Menschen aus vielen Religionen und Weltanschauungen zusammenleben. Deswegen brauchen wir starke interreligiöse Strukturen für Begegnung und Gespräche.“
                                    (aus der Erklärung des 2. Bundeskongresses der Räte der Religionen)

Liebe Leserinnen und Leser,
ich beginne wieder mit zwei Leserbriefen:
1. Lieber Michael,
deinen Rundbrief habe ich wieder an Peter als Info weitergeleitet. –
Selbst habe ich daraus gelernt, was "Tohid " bedeutet, - man lernt eben nie aus...
(Jochen Bertram, Bonn)
2. Danke, lieber Michael, für den Rundbrief. Du kennst erstaunlich viele Menschen, ihre Namen, ihre Äußerungen und evtl. auch ihre Denkweisen. Du wirst mit vielen Meinungen konfrontiert, solche, die Du teilen kannst, weil sie mehr oder weniger überzeugend klingen und solche, die sich eine andere ‚Wellenlänge‘ gesucht haben.
Häufig wird unsere Toleranz auf den Prüfstand gehoben. Wieviel Toleranz können wir aufbringen, um bereit zu sein die Religionen und damit auch die Aktionen ‚Andersgläubiger‘ verstehen zu wollen?
Die Bereitschaft sich einander zu nähern wird von uns häufig schon in den Anfängen erstickt. Wir sind einfach zu kompliziert und komplizieren vieles, unsere Ausdrucksweise, unsere Argumente, unser Handeln.
Mit Dumm-Schwatzerei, Heuchelei, Raffgier, Egoismus und XXL-Materialismus werden wir die Veränderungen nähren, aber leider nur die negativen.
Lieber Michael, bleib weiterhin ein Fels in der Brandung!
(Helmut Bleifeld, Neurath)

Danke für diese beiden Rückmeldungen! Helmut Bleifeld weist auch wieder deutlich darauf hin, wie schwierig es ist, konstruktiv und offen miteinander umzugehen. Das Gegeneinander scheint oft so viel einfacher und näher liegend. Ich habe jetzt aber auch etwas Positives zu berichten:
Ihr Wisst/Sie wissen ja, dass ich hauptamtlich in Bielefeld an der Uni tätig bin. Was das Bielefelder Leben außerhalb der Uni angeht, so bekam ich da bisher nicht so sehr viel mit, abgesehen von privaten Erlebnissen, vor allem, wenn ich dort übernachtete, von den Exkursionen zu Bielefelder Religionsgemeinschaften mit meinen Studierenden und von den End-of-Live-Tagungen des Bielefelder Arztes Stephan Probst. Aber das änderte sich jetzt.

Unabhängig voneinander erhielt ich eine E-Mail und einen Anruf von einem Michael Persicke. In der E-Mail berichtete mir Prof. Dr. Dieter Becker von einem geplanten Tag der Religionen in Bielefeld, und fragte, ob ich an diesem Tag, dem 29. März 2020, einen Vortrag halten wolle. Bielefelder Religionsgemeinschaften sollen die Möglichkeit erhalten, sich mit Stellwänden vorzustellen und miteinander ins Gespräch zu kommen. Mein Vortrag soll zum Thema „Gewalt und Rassismus in den Religionen“ gehen, also sozusagen um die dunkle Seite der Religionen. Und er verwies mich weiter an die evangelische Pfarrerin Simone Venghaus Der Anruf erreichte mich in meinem Büro, in welchem ich mich selten lange aufhalte, da ich mehr zu Hause, im Zug und natürlich in den Hörsälen arbeite. Am anderen Ende der Leitung war Michael Persicke, Öffentlichkeitsbeauftragter der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, umgangssprachlich vielen eher als „Mormonen“ bezeichnet, was sie aber nicht so gerne hören. Genauer gesagt, der Bielefelder Gemeinde dieser Kirche. Er erzählte mir, dass er dabei sei, einen Runden Tisch der Religionen in Bielefeld zu gründen und fragte, ob ich dieses Unterfangen begleiten könne. Das war schon eine große Überraschung, denn die KJCdHdLT war mir bisher nicht als dialoginteressiert, sondern als ausschließlich missionarisch aufgefallen. Zuerst machte ich die beiden Aktionen mal aufeinander aufmerksam, aber sie hatten sich auch schon auf dem Schirm.

Am 23. Januar 2020 fand dann auch das erste Treffen zur Gründung des Runden Tisches der Religionen in der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage statt. Anwesend drei Vertreter eben dieser Kirche, zwei evangelische Vertreterinnen der christlich-jüdisch-muslimisch-jesidischen Gruppe „Dialog der Religionen“, die den Tag der Religionen organisiert, darunter auch Simone Venghaus, ein Pfarrer der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche, ein Hindupriester und zwei Bahá’í. Es hatten noch mehr Menschen zugesagt, darunter Juden, Muslime und Aleviten, die dann aber doch noch nicht dabei waren.

Alle waren sehr interessiert daran, sich gegenseitig kennenzulernen. Das fing mit einer Vorstellungsrunde an, in der auch Wünsche für das weitere Vorgehen geäußert wurden. Neben der religiösen Vielfalt kamen auch schon unterschiedliche Religiositätsstile und Vorstellungen vom Miteinander zur Sprache. So gab es multiple und eindeutig konfessionelle Religiositäten. Und es gab eine Diskussion darüber, ob man bei einem Gebet der Religionen gemeinsam beten könne oder nicht. Zwischen der Vorstellung, dass alle zum selben Gott beteten, der nur unterschiedlich benannt werde, bis zur Vorstellung, man dürfe nicht die Gottesbilder Andersgläubiger für das eigene vereinnahmen, reichten die Meinungen. Ich empfand es dabei als sehr angenehm, dass diese Unterschiede auf sehr freundliche und respektvolle Weise diskutiert wurden. Verabredet wurde letztlich, an dem Tag der Religionen teilzunehmen und sich künftig dreimal im Jahr zu einem Austausch über ein ausgemachtes Thema zu treffen. Das erste Treffen wird am 9. Juni 2020 sein und der Nachbesprechung des Tages der Religionen dienen.

Ich muss natürlich schauen, inwiefern ich mich daran beteiligen kann, denn ich bin ja meistens nur an zwei Tagen in der Woche in Bielefeld, und die sind eng getaktet. Aber ich konnte inzwischen schon die Zeugen Jehovas und zwei buddhistische Gruppen zwecks Nachfrage an einer Beteiligung kontaktieren und erfuhr so von noch drei buddhistischen Gruppen. Das ist natürlich auch für künftige Exkursionen interessant.

Mein Fazit ist, dass ich derzeit sehr begeistert bin. Schon dass eine bisher eher an Bekehrung Andersgläubiger interessierte Kirche sich dem Dialog zuwendet, nährt meine Beobachtung einer allmählichen Liberalisierung einiger der neueren, kleineren, meistens doch eher strengeren Religionsgemeinschaften. Das freut mich als selbst eher liberal religiösen Menschen natürlich. Es ist selbstverständlich offen, was daraus werden wird, aber Offenheit ist ja auch gewünscht. 

Das Zitat zu Beginn dieses Rundbriefes entnahm ich einem Blatt, dass beidem Treffen auslag. Ich schließe mit noch einem weiteren Zitat von einem anderen Blatt, das dort ausgelegen hat:

„Drei Regeln für das Verständnis von Religionen untereinander
1.      Wenn man eine fremde Religion verstehen möchte, muss man ihre Anhänger befragen, nicht ihre Gegner.
2.      Man darf die beste Seite, die man selbst hat, nicht mit den schlechtesten der anderen vergleichen.
3.     Man muss einem ‚heiligen Neid‘ Raum lassen, wenn man an einer anderen Religion etwas Nachahmenswertes entdeckt.
Durch solche Grundsätze wird der Austausch zwischen den Religionen angeregt, Vertrauen aufgebaut und eine Grundlage für kreative Arbeit gelegt.“
                                                                             Krister Stendahl
                                                                             Evangelischer Bischof von Stockholm und
                                                                             emeritierter Professor der theologischen
                                                                             Fakultät der Harvard University

Über diese drei Regeln könnte man jetzt auch diskutieren, aber ich lasse es bei der Empfehlung, über die nachzudenken.

Hier ein paar Links zum Tag der Religionen in Bielefeld:
https://www.kirche-bielefeld.de/obj/pdf-dateien/Programmheft_Erwachsenenbildung_01_2020.pdf
https://www.sgi-d.org/bielefeld_tdr_2020/
(Die SGI-D-Gruppe Bielefeld ist eine buddhistische Gruppe, die ich auf diesen Tag aufmerksam machte.)
Dieser Tag der Religionen ist übrigens nicht zu verwechseln mit diesem, der bundesweit immer woanders stattfindet: 
http://www.tag-der-religionen.de/
2009 brachte die Stadt Bielefeld dieses Broschüre über Religionen in Bielefeld heraus:
https://www.bielefeld.de/ftp/dokumente/Heft3_Religion.pdf


 




 (Diesen Rundbrief schrieb ich am 28.01.2020 im IC von Köln nach Bielefeld und