Donnerstag, Dezember 31, 2020

Interreligiöser Rundbrief ... Nr. 2020-4

 

Interreligiöser Rundbrief für Bonn und Umgebung Nr. 2020-4
(31.12.2020)

„Gott kann keinen Abstand halten.“
                                                          
Joachim Triebel-Kulpe
[1]

Liebe Leser*innen,

zum Ende des Jahres 2020 nach gregorianischem Kalender möchte ich doch noch einen dritten Interreligiösen Rundbrief rundschicken. Der letzte ist schon über drei Monate her, und es gab zu diesem noch zwei Leserinnenbriefe, die ich noch nicht an Euch/Sie weitergegeben habe.

Hier sind sie:

1.
Lieber Michael Schmiedel,

danke für diesen Rundbrief, der meinen Kopf öffnete und mein Herz erfreute. Es tut gut, zu lesen, wie vielfältig es unter der Corona Decke weiter blüht!

Herzliche Grüße Beate Nettmann Roy


2.
Lieber Michael,

als einseitig durch ein technisches Studienfach (Bauingenieurwesen) geprägte, nach seelischer Nahrung hungernde Frau habe ich mit Freude die Anmerkungen zu Nicht- oder Beachtung der Coronaschutzmaßnahmen mit dem Exkurs zu politischer/wissenschaftlicher Konsensbildung in deinem interreligiösen Rundbrief gelesen.

Ich stürze mich immer wieder auf kurze mir über den Weg laufende Seelennahrung, da ich in meinem "Unruhestand" mir nie die Zeit für ausgiebige Lektüre nehme - zumal mir oft die Literatur fehlt, wie gesagt technisch gebildet oder verblendet(?). Als Wasserbauingenieurin liegen mir aber auch Themen wie Wasserqualität bei fortschreitender Verschmutzung und Erwärmung (der Oberflächengewässer wie Flüsse und Seen) und fehlende Wasserressourcenerneuerung (es regnete einfach nie in diesem Sommer) am Herzen.

Aber zurück zum Anlass meiner mail: ein Dankeschön an die für mich unendlich wertvolle Tatsache, dass ich im "interreligiösen Verteiler" bin und deine schönen Anmerkungen lesen konnte. Herzlichen Dank für den Rundbrief.

Da kam ja auch der Aufruf zur Schweigeandacht nachts von Monika (ich kenne sie leider nicht persönlich, vielleicht traue ich mich jetzt mal ihre angegebene Telefonnummer zu wählen, eigentlich bin ich sehr eigenbrötlerisch veranlagt mittlerweile) zu "Moira brennt". Mich hat der Brand der Zeltstadt auf Lesbos auch unendlich berührt. Hoffentlich ergibt sich ein Kontakt.

Der Ausschluss des persönlichen Kontakts trifft mich, die ich doch immer wieder mit den digitalen Medien haderte und weiter hadere besonders hart. Du schreibst zu einer Telefonkonferenz, dass sie, wie ich es verstand, zu besonderem Respekt anleitet. Da fehlt mir trotz aller Bemühungen des Dialogs, in deren Genuss ich am Rande immerhin durch den Verteiler komme, der Aspekt von Gefühl, das erst durch vielleicht sogar Unterbrechen des Redners, Erheben der Stimme etc. zum Ausdruck kommt. Das durfte ich nie! (erziehungsmäßig gesehen). Aber Wut, Trauer, Glück, Freude kommen doch erst durch spontanes "Ungehorsamsein" zum Ausdruck, Zwischenrufe. Klar liegt mir Gewaltverzicht absolut am Herzen, aber wie kann z.B. Musik oder Malerei entstehen, wenn nicht kleine Übertretungen der zivilen Anpassung möglich sind.

Das ist mein im einsamen, stillen Kämmerlein geschmiedeter, eigentlich passiver Beitrag zu deinem schönen Rundbrief. Und hier in meiner zum Teil coronabedingten Zurückgezogenheit wurde mir diese Sehnsucht nach wütender oder milder-melancholischer Anklage auch gestern bei kurdischer Musik eines Trios mit klassischen Instrumenten dieser Musikrichtung beim kurdischen Kulturabend im MIGRApolis bewusst.    Viele liebe Grüße    Heidrun

+

Soweit die beiden Leserinnenbriefe mit Dank dafür, dass ich sie hier veröffentlichen darf. Jetzt folgen noch ein paar Worte von mir.


Begegnungen und Muße

Ja, Begegnungen sind wichtig! Und wenn ich so auf dieses Jahr zurückblicke, war es, Corona hin oder her, voller Begegnungen, wenn auch nicht alle dreidimensional, analog und körperlich, sondern einige nur zweidimensional, digital und medial vermittelt. Was ich im letzten interreligiösen Rundbrief schrieb, also zum Beispiel die Online-Lehre mit meinen Studierenden und die Sohbet-Teegespräche des VEZ liefen weiter. Auch das jetzt schon zur zwei Dritteln geschaffte Wintersemester läuft nur online. Inzwischen haben wir da mehr Routine. Ich nahm auch an Veranstaltungen, zu denen ich wegen der Entfernung wohl nicht hingefahren wäre, so an einer Tagung in Fribourg und einer Ringvorlesung in Wien teil. So wurde online möglich, was analog zu aufwändig gewesen wäre. Auch Treffen von Religions for Peace, vom Bonner Institut für Migrationsforschung und Interkulturelles Lernen, vom Interreligiösen Friedensnetzwerk Bonn und Region fanden via Zoom statt. Es ging alles. Begegnungen fanden auch so statt.

Indes gibt es Menschen, die keinen Internetanschluss zu Hause haben, aus welchem Grund auch immer. Da wir im Kreis des Interreligiösen Gesprächskreises von RfP Bonn/Köln zwei Teilnehmer*innen ohne Internetanschluss haben, hielten wir den Gesprächskreis weiter als Telefonkonferenz ab. Auch das funktionierte. Aber diese beiden und sicher noch viele Menschen mehr haben eben nicht die Begegnungsmöglichkeiten, die das Internet bietet. So erfuhr ich von beiden, dass ihnen die analogen und persönlichen Begegnungen und Veranstaltungen viel mehr fehlen als mir.

Ich erfuhr auch von einem Freund, dass das Fehlen der sonst so vielfachen Veranstaltungen ihm mehr Muße zum Nachdenken ließ, was ihn zu einer Entscheidung gebracht habe, die er sein Leben lang vor sich hergeschoben habe. Welche das war, fällt hier aber unter Privates. Mich machte es aber nachdenklich, dass das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Technik so sehr über unser Leben bestimmt. Er kommt mehr zum Nachdenken, während ich froh bin, wenn es mal eine Woche ohne zusätzliche Onlineangebote gibt, denen ich meine, nachkommen zu müssen. Mir fehlen eher die Zugfahrten nach Bielefeld und zurück, in denen ich mehr zum Lesen und Schreiben komme, als ich es zu Hause schaffe. Aber zum Meditieren komme ich zu Hause mehr, wenn ich nicht wieder irgendwohin muss. Also Muße habe ich nicht unbedingt mehr gehabt in diesem Jahr, nur war sie anders gelagert.

Andern ging es ähnlich. So war es nicht möglich, alle Mitglieder des IFN zu einem gemeinsamen virtuellen Jahrestreffen via Zoom an einem Abend zusammen zu bekommen. Noch nicht mal nach einer Aufteilung auf drei Abende funktionierte das. Alle waren und sind so sehr beschäftigt und in Beschlag genommen. Die drei Jahres-Teiltreffen, die stattfanden, waren aber gut und zeigten, das synchrones Miteinandersprechen nicht durch eine asynchrone Kommunikation via E-Mail zu ersetzen ist.

Ich möchte aber von einer Begegnung erzählen, die wir im November hatten, ganz analog und unterwegs an der Sieg. Wir waren im Regionalexpress unterwegs mit dem wohl freundlichsten Fahrer, den die Deutsche Bahn zu bieten hat. Er ist mir schon oft aufgefallen, wenn ich zwischen Köln, Siegburg und Au – bzw. dem Auenland, wie er immer sagt – unterwegs war. Er begrüßt immer die Fahrgäste und gibt ihnen Tipps, sich unterwegs die schöne Landschaft anzusehen oder ob sie besser vorne oder hinten aussteigen, um bei Regen auf dem Bahnsteig schnell unters Dach zu kommen. Und nun hingen wir mit ihm zwei Stunden in Blankenberg fest, weil eine Stellwerkstörung uns weder vor- noch zurückfahren ließ. Wir unterhielten uns mit ihm und dann ging er auf den Bahnsteig und spielte für uns alle auf der Trompete. Ich habe es fotografiert und sogar zwei Videos gemacht und ihm diese über meine GMX-Cloud[2] zukommen lassen. In einer Antwort schickte er mir den Link zu dem Online-Gottesdienst seines Heimatdorfes im Westerwald, aus dem das Zitat zu Beginn dieses Rundbriefes stammt, und den er mit seiner Familie, der Bläserfamilie Kowalski, musikalisch begleitet hat.

  

„Gott kann keinen Abstand halten.“

Über diesen Satz könnte man jetzt viel nachdenken. Das habe ich auch schon getan, aber möchte mich mit meiner privaten Theologie hier jetzt mal zurückhalten. Vielleicht wäre er mal ein gutes Thema für einen interreligiösen Gesprächskreis oder ein Sohbet. Oder für einen Leserbrief.

Menschen können aber Abstände halten, und mal sind diese notwendig, manchmal Ausdruck einer Not oder Not bringend. Ich denke auch derzeit über Abstände im interreligiösen Dialog nach, die nichts mit Corona zu tun haben, und zwar über die Frage: Wer dialogisiert oder gar kooperiert mit wem und wer mit wem nicht? Immer wieder höre ich Sätze wie: „Mit denen will ich nichts zu tun haben!“ Vorbehalte, Vorurteile, negative Erfahrungen mit „denen“ oder der Bewegung oder Gemeinschaft, der sie angehören oder entstammen, Misstrauen und so weiter sind allzu menschliche Regungen, die aber eben die Begegnung, den Dialog, das Zusammenleben erschweren. Und manchmal beruhen sie, vor allem die Erfahrungen, ja auf guten Gründen. Manchmal werden die Erfahrungen aber auch auf Menschen übertragen, die mit denen, die einem die Erfahrung eingebracht haben, nichts oder nicht direkt etwas zu tun haben. Auch religiöse Gemeinschaften, Netzwerke, Bewegungen sind veränderlich, auch wenn konservative Vertreter derselben den Eindruck vermitteln, es sei alles felsenfest in Stein gemeißelt. Wenn man sich da zurechtfinden will, wer welche Interessen vertritt, wem man trauen kann, worauf man sich mit wem einlässt, dann muss man sich informieren, recherchieren, forschen. Das ist ja nun mein Metier als Religionswissenschaftler, aber es braucht Zeit. Vielleicht mache ich Sie jetzt neugierig darauf, was ich denn genau meine, ob so allgemein oder konkret. Nun, die Neugier möchte ich Ihnen nicht nehmen, Sie jetzt nicht von ihr erlösen. Wie heißt es in Krimis immer wieder: „Über laufende Verfahren dürfen wir Sie nicht informieren.“ Aber nein, es handelt sich nicht um eine Kriminalgeschichte, und dennoch lasse ich es mal dabei bewenden. Vielleicht kommt im nächsten Rundbrief mehr dazu.

 

Jetzt wünsche ich Ihnen und Euch erstmal einen guten Start im Neuen Jahr, auf dass 2021 nicht nur diese Pandemie besiegt sein wird, sondern wir auch andere Probleme anpacken können, wie den Klimawandel, die Nationalismen und Religionismen, den Neoliberalismus und so weiter.

Lebt/Leben Sie lang und in Frieden!

Herzliche Grüße,
Ihr/Euer Michael A. Schmiedel
http://interreligioeser-rundbrief.blogspot.com/
https://ifn-bonnregion.jimdofree.com/

PS: Leser*innenbriefe sind wie immer willkommen. Ggf. dazu schreiben, ob ich sie veröffentlichen darf und ob eine öffentliche oder private Rückmeldung meinerseits gewünscht ist.
PPS: Wer den IFN Zoom-Dialog vom 23.09.2020 noch nicht kennt, findet ihn auf Youtube unter
https://www.youtube.com/watch?v=CT0j37O9dUI

(Diesen Rundbrief schrieb ich am 31.12.2020 zu Hause in Siegburg.)



[1] Pfarrer Joachim Triebel-Kulpe. Online-Weihnachtsgottesdienst der Ev. Kirchengemeinde Almersbach.
https://www.youtube.com/watch?v=Fu1C3TaVvuk&feature=youtu.be (geöffnet am 31.12.2020)