Interreligiöser Rundbrief für Bonn
und Umgebung 2015-04
(25.10.2015)
„Die
Liebe zum Eigenen – zur eigenen Kultur wie zum eigenen Land und genau so zur
eigenen Person – erweist sich in der Selbstkritik. Die Liebe zum anderen – zu einer
anderen Person, einer anderen Kultur und selbst zu einer anderen Religion –
kann viel schwärmerischer, sie kann vorbehaltlos sein. Richtig, die Liebe zum
anderen setzt die Liebe zu sich selbst voraus. Aber verliebt, wie es Pater
Paolo und Pater Jaques in den Islam sind, verliebt kann man nur in den anderen
sein. Die Selbstliebe hingegen muss, damit sie nicht der Gefahr des Narzismus,
des Selbslobs, der Selbstgefälligkeit unterliegt, eine hadernde, zweifelnde,
stets fragende sein. Wie sehr gilt das für den Islam heute! Wer als Muslim
nicht mit ihm hadert, nicht an ihm zweifelt, nicht ihn kritisch befragt, der
liebt den Islam nicht.“ Navid
Kermani

Foto: Michael A. Schmiedel
Liebe Leser*innen des interreligiösen Rundbriefes,
ein Thema beschäftigt derzeit die Gesellschaft und zwar so
sehr, dass man damit konfrontiert wird, egal ob man will oder nicht: die Flucht
von Millionen von Menschen aus ihren Heimatländern, in denen Krieg und Not
herrschen. Es beeinflusst unser Denken so sehr, dass meine Frau und ich
letztens im Wald meinten, ein Schild mit der Aufschrift „Schlepperweg endet.
Kein Durchkommen“ gesehen zu haben. Nun war es aber kein Schlepperweg, sondern
ein Schleppweg, also eine Rückegasse, auf der man gefällte Bäume aus dem
Bestand zieht. Und doch dachten wir, ein solches Schild sollte man dort
aufstellen, wo Schlepper die Flüchtlinge auf Boote oder in LKW pferchen, um
damit viel Geld zu verdienen. Wenn das nur so einfach wäre!
Es drängt mich einerseits, zum Flüchtlingsthema etwas zu
schreiben, aber zugleich schrecke ich davor zurück, denn es wurde schon so viel
dazu geschrieben und gesagt. Fast immer, wenn mir ein origineller Gedanke dazu
kommt, höre oder lese ich diesen Gedanken schon aus anderem Munde oder anderer
Tastatur. Eigentlich ist schon alles Wichtige gesagt und geschrieben. Allein,
an der Katastrophe ändert das nichts, zumindest noch nicht merkbar.
Die richtigen, wenn auch augenscheinlich ohnmächtigen Worte
kommen oft von Menschen, denen man doch eher die Aufgabe anvertraut, uns zum Lachen
zu bringen, als seröse Reden zu halten, nämlich von den Kabarettisten. Egal ob
in der „Anstalt“, der „heute-show“ oder den
„Mitternachtsspitzen“, die Kabarettisten sind Meister der Eulenspiegelei
und halten Hofnarren gleich den Mächtigen den Spiegel vor.
Nicht selten bleibt mir das Lachen im Hals stecken, denn die vorgeblichen
Lachnummern gleichen eher prophetischen Mahnworten und moralphilosophischen
Anklagen, die eines Elia oder Seneca würdig wären. Wer diese Sendungen regelmäßig
sieht, braucht hier eigentlich nicht weiterzulesen.
Oder sie kommen von Literaten, wie dem jetzt mit dem
Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geehrten Navid Kermani, dessen Rede
nach der Verleihung mir so nahe ging, wie sonst keine. Wer sie gehört oder
gelesen hat, braucht hier auch nicht weiterzulesen. Wer sie nicht kennt findet
sie hinter dem Link in Fußnote 1. Ich folge meinem Verständnis seiner Rede hier
insofern, dass ich in diesem Text hauptsächlich unsere eigene
Wirtschaftsordnung als mitschuldig an der Misere kritisiere, bei aller Liebe
zur unserer freiheitlichen Gesellschaft.
Manchmal kommen sie auch von Politkern oder gar von unserer
Bundeskanzlerin Angela Merkel, was die oben genannten Kabarettisten deswegen
verzweifeln lässt, weil „Mutti“ doch
sonst ihre liebste Spottfigur ist, an der sie aber in Bezug auf das
Flüchtlingsthema nicht nichts, aber nicht so viel wie üblich auszusetzen haben.
Aber hier würde ich doch sagen: Auch wer sich die Reden der Politiker*innen
regelmäßig anhört, sollte hier weiterlesen.
Natürlich kommen sie auch von den Männern und Frauen der
Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften, aber das erstaunt nicht weiter,
denn Nächstenliebe, Mitgefühl, Barmherzigkeit zu verkünden ist ja gewissermaßen
ihr Job.
Weniger Worte als tatkräftige Hilfe kommt von vielen
ehrenamtlichen Menschen, die den Hauptamtlichen nicht nur zur Hand gehen,
sondern sie auch kritisieren, wenn sie ihren Job nicht richtig machen.
Ich muss gestehen, bisher habe ich weder über das Thema
geschrieben, noch habe ich tatkräftig geholfen, abgesehen von einem Mal, als
ich im Kölner Hauptbahnhof einer syrischen Familie half, ihre vielen Taschen in den Zug nach Gießen zu verladen. Eine Frau,
ein Mann und zwei kleine Jungs, mit mehr Taschen, als sie auf einmal tragen
konnten, darin aber wohl alles, was sie retten konnten von ihrem einstigen
Hausstand. Ich erklärte ihnen, wie sie in Siegen umsteigen müssen, gab ihnen
ein paar Müsliriegel mit und ließ sie weiterfahren, als ich in Siegburg
ausstieg. Mehr habe ich nicht getan. Ich bekam noch mit, wie eine Frau dem
einen Jungen half, das Papier des Müsliriegels zu öffnen und dieser dann
herzhaft hinein biss. Der Mann winkte mir nach, und sie fuhren dahin, nachts in
einem fremden Land.
Ich muss gestehen, auch mir machen die Nachrichtenbilder
Angst. Angst vor den Zahlen. Ich habe Bilder von historischen Völkerwanderungen vor
Augen, sei es die germanische im 4./5., sei es die europäische im 19./20.
Jahrhundert. Beide haben die Länder verändert, in die die Massen kamen, Europa
bis Nordafrika im ersten, Amerika und Australien oder die ganze Welt im zweiten
Fall. Die Germanen flohen vor den Hunnen, die Europäer vor der Herrschaft des
Adels, vor Pogromen des Pöbels und vor der Armut. Auch wenn die historischen
Umstände immer verschieden waren, so waren die Fluchtursachen doch sehr
ähnlich. Freiwillig verlässt kaum jemand die Heimat.
Zahlen. Die syrische Familie im Zug hatte die Zahl vier.
Vier Menschen unterwegs einer ungewissen Zukunft entgegen. Dermaßen
herausgeschält aus der Masse bekommen die Flüchtlinge Gesichter: eine Bitte des
Mannes um eine Information, ein Lächeln der Frau, ein angestrengtes Gesicht
des größeren der beiden Jungs, der auch etwas tragen wollte, die
geschlossenen Augen des kleineren, der im Zug schnell eingeschlafen war. Man
kann zwar vieles in Zahlen ausdrücken, Menschlichkeit aber nicht.
Noch mehr Angst als vor den Zahlen habe ich vor den Ursachen
der Flucht. Abstrakt sind das Krieg, Terror, Armut, Ausbeutung, Klimawandel, je
nachdem, aus welchem Land jemand flieht. Konkret sind es Menschen. Anders als
bei dem Tsunami, von dem ich 2004 schrieb, da könne kein Mensch was dafür,
außer, dass das technisch mögliche Frühwarnsystem aus finanziellen Gründen
nicht vorhanden war, sind hier eindeutig Menschen die Schuldigen. Da sind die
Diktatoren wie Assad, die Terrorgruppen wie der IS, die Waffenindustrie, die
vor allem ihr eigenes Geld vermehren will, egal, wer die Waffen letztlich
benutzt und gegen wen, generell die kapitalistische Wirtschaft, die am liebsten
alles in Zahlen ausdrückt, Verluste, Gewinne, Umsätze, Marktwachstum und
Menschenwürde. Wir leben ja noch ganz gut mit dieser Wirtschaft und der sie
fördernden Politik in unseren reichen Ländern. Reichtum weckt Begehrlichkeiten,
die Benachteiligten wollen auch was vom Kuchen abhaben, für den sie doch schon
so lange mitarbeiten, indem sie ihre Arbeitskraft und Rohstoffe billig
verkaufen. Ungerechtigkeit weckt Hass, und so spannen sie nun Gott selbst vor
den Karren ihres Rachefeldzuges, um die Machtverhältnisse umzukehren, foltern,
töten, zerstümmeln mit physischer Gewalt, weil ihnen die strukturelle fehlt,
unter der sie so lange litten. Mit Gott gegen die mit Geld, bis das Geld den
Besitzer gewechselt, hat, dann können die anderen Gott haben. Nach nicht vermarktbaren Idealen lechzende
Jugendliche lassen sich verführen, so wie damals in der Hitlerjugend.
Fanatische Werte als Antwort auf den Wahn, alle Werte in Zahlen ausrechnen zu
wollen. Sie schwingen sich auf in das Reich der Götter, die über Leben und Tod
entscheiden, und werden doch nur Halbgötter, eifersüchtige Götter, um es in
buddhistischer Terminologie auszudrücken, wenn nicht gar Höllenwesen, leidend
und Leid bringend. Sie opfern andere und sich selbst, obgleich der Gott, an den
zu glauben sie vorgeben, schon Abraham gesagt hat, dass er keine Menschenopfer
will, wie es das Judentum, das Christentum und der Islam lehren. Um selbst
erlöst zu werden, so lehrt wiederum der Buddhismus, muss man zuerst einmal
Mensch werden.
Unsere Bundeskanzlerin verteidigte das Grundgesetz, das eine
Obergrenze der Aufnahme von Asylbewerbern ausschließt mit den Worten, sie wolle
das C im Namen ihrer Partei achten. Ihre Erziehung in einem Pfarrhaus zeigt
Früchte. Während dessen wollen andere das christliche Abendland verteidigen,
vor den Flüchtlingen wohlgemerkt, nicht vor den Fluchtverursachern. Sie
schwingen die rote Flagge mit dem schwarzen, gold umrandeten Kreuz, die Ende
der 1940er auch antrat, um Bundesflagge zu werden. Überall in den europäischen
Ländern mit einem Kreuz in der Flagge oder ohne haben und schüren sie Angst,
die Abendlandverteidiger, für die Gott der ihres Stammes ist, nicht der
Schöpfer aller Menschen. Der Streit geht durch die Christenheit: Gehört Gott
uns oder gehört ihm die Welt? Haben wir uns unsere Demokratie und unseren
Wohlstand mit Gottes Hilfe fleißig erarbeitet und verdienen so exklusiv auch
seinen Segen? Oder haben die Flüchtlinge ein Anrecht darauf, nachdem ihre
Feinde sie mit Waffen beschossen haben, die unsere Wirtschaft ihnen verkauft
hat und nachdem sie von ihrer Landwirtschaft nicht mehr leben können, weil
unsere Konzerne ihnen Land und Wasser streitig machen und die Fische vor ihren Küsten
wegfangen, auf dass wir schöne preiswerte Lebensmittel bekommen?
Ich möchte keine Monokausalitäten lehren, sondern die
Komplexität nur ein wenig reduzieren. Das wirtschaftliche Ungleichgewicht auf
der Erde fördert den Terror, sowohl den staatlichen als auch den kriminellen.
Die immer noch zunehmende Ökonomisierung aller Lebensbereiche fördert den
Konkurrenzkampf um die knappen Ressourcen. Mit diesem Satz meine ich nur eine
falsche Ökonomie, die Geld nicht nur als Zählmittel für Waren und Leistungen,
sondern als Zweck und Sinn des Wirtschaftens sieht. Ist aber schon der Sabbat,
der laut jüdischer Schöpfungsinterpretation älter ist als Himmel und Erde, um
des Menschen und des Lebens willen da, wie nicht nur Jesus, sondern auch die
Pharisäer sagten, so doch erst recht das Geld, und nicht umgekehrt. Und
Menschen sind nicht nur die, die vom „making money“ viel verstehen.
Selbstverständlich trägt jeder Mensch trotz aller Einflüsse
der von anderen Menschen geschaffenen Umstände auch einen mehr oder weniger
großen Eigenanteil an Verantwortung für das, was er tut. Doch je mehr Macht
jemand hat, desto größer ist auch seine Verantwortung, da sein Handeln größere
Wirkungen hat und demzufolge stärker auch andere Menschen und Lebewesen
betrifft.
Bei aller Kritik an den Mächtigen und denen, die nach Macht
gieren, möchte ich aber auch sagen, dass ich für die Ängste der Menschen vor
einer ihnen aufgezwungenen Veränderung ihres Lebensraumes und ihrer
Gewohnheiten auch Verständnis habe. Menschen sind im Grunde weitgehend
konservativ. Das, woran wir uns gewöhnt haben, hat sich oft für uns bewährt,
damit kennen wir uns aus und fühlen uns wohl. Änderungen, die uns von außen,
von anderen Menschen, aufgezwungen werden, sei es von den Mächtigen in Politik
und Wirtschaft, sei es von einer Besatzungsmacht, sei es von Menschen, die neu
in unsere Nachbarschaft ziehen, bilden für uns oft ein Problem. Wir müssen
unsere Verhaltensweisen ändern, uns an veränderte Anblicke oder Abläufe
gewöhnen, ohne dass wir diese Änderung bewusst und absichtlich gesucht hätten.
Der so genannte „kleine Mann“ und auch die „kleine Frau“ fühlen sich oft genug
ohnmächtig gegenüber den vielen Einflüssen von außen, die von anderen Menschen
verursacht werden. Der eine kann das gut kompensieren, ein anderer kommt damit
nicht klar.
Ich sehe darin auch einen Grund, warum die Abweisung von
Flüchtlingen in unseren östlichen Nachbarländern so vehement ist. Sie blicken
auf Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte der Fremdherrschaft zurück, sei diese osmanisch,
preußisch, österreichisch, russisch, deutsch oder sowjetisch. Nun sehen sie in
der EU endlich die Möglichkeit völliger Selbstbestimmung. Diese sehen sie aber
gefährdet durch die vielen Fremden, die ins Land kommen und durch die EU, die
ihnen wieder von außen Vorschriften machen will. Auch ist deren
Wirtschaftskraft bei weitem nicht so hoch wie die der alten EU-Länder.
Vergleichen Sie nur einmal die Restaurantpreise in Tschechien mit denen in
Deutschland und machen daraus Rückschlüsse auf die Kaufkraft der Menschen, von
da auf das Steuereinkommen und von dort auf den Staatshaushalt.
Dass sich nun die Ablehnung oder gar der Hass aber gegen die
Flüchtlinge richtet, also gegen die Opfer des Geschehens, ist freilich ein
Fehler. Soll er sich doch gegen die Täter richten, derentwegen die Flüchtlinge
zu Flüchtlingen wurden! Nicht der bedroht unsere Lebensweise, der dazu
gezwungen wurde, zu uns zu kommen, sondern der, der ihn dazu zwingt, seine
Heimat zu verlassen! Noch besser ist es freilich, keinen Hass aufkommen zu
lassen.
Dummerweise sind wir es eben zum Teil selber, die durch
unsere Wirtschaftsweise und unsere Hegemonialpolitik die Lebensumstände in
vielen Ländern so beeinflussen, dass man dort nicht mehr ohne Gefahr an Leib
und Leben und menschenwürdig leben kann. Das müssen wir uns schon eingestehen.
Und hier gilt das oben gesagte: Je mächtiger wir sind, desto mehr Verantwortung
haben wir. Dummerweise gilt aber auch: Je mehr Verantwortungsbewusstsein wir
haben, desto weniger streben wir nach Macht, so dass nur die mächtig werden,
die sich aus Verantwortung nicht viel machen. Wie wäre das zu ändern?
In Bezug auf die Flüchtlinge gilt es also mal darüber
nachzudenken, ob das an Fremdheit, die sie mit ins Land bringen, wirklich nicht
zum Aushalten ist oder ob das, was von uns an zumindest Toleranz gefordert
wird, nicht vielmehr eine kleine Gegenleistung für das ist, was sie nicht zuletzt
unseres Wohlstandes willen schon zu erleiden hatten. Wären unsere Unternehmer
nicht Meister im Outsourcing von billigen Arbeitsplätzen, im Import billiger
Rohstoffe und im Export von Waren, an denen sie gut verdienen, sähe es bestimmt
besser aus auf der Welt. Da unser Wohlstand – auch der des „kleinen Mannes“ –
aber zum Teil auf eben diesen Praktiken beruht, können wir nicht so tun, als
seien wir total unschuldig an dem allen. Die sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge
fliehen doch eben vor einer Wirtschaft, die ihnen Armut und uns Wohlstand
beschert. Und die Kriegsflüchtlinge fliehen vor Kriegen, die sich neben
religionistischen und ethnizistischen auch wirtschaftlichen Gründen verdanken,
die ihre Ursache in globalen Konkurrenzkämpfen um natürliche und menschliche
Ressourcen haben.
Ja, soweit her ist es nicht mit meiner
Komplexitätsreduzierung. Es ist viel mehr sehr komplex und nicht so einfach zu
erklären, aber müsste ich die Ursachen für die ganze Katastrophe in drei Worte
fassen, würde ich die samsarische Trias Gier, Hass und Verblendung nennen, die
in buddhistischer Terminologie die drei Gifte sind, die das menschliche Denken,
Fühlen, Reden und Handel in einem nicht enden wollenden Leidenskreislauf
gefangen halten.
Wenn ich schon mal beim Buddhismus bin, fällt mir ein, dass
es einige Berufe gibt, die man nicht ausüben sollte, wenn man aus eben diesem
Kreislauf erlöst werden möchte. Interessanterweise ist der Soldat nicht so eindeutig
darunter, denn die Verteidigung des eigenen Landes gegen militärische Angreifer
ist buddhistisch erlaubt, und das geht nunmal nicht ohne Soldaten. Aber der
Beruf des Waffenhändlers gehört eindeutiger dazu. Ich stelle mir eine
Gesellschaft vor, in der niemand mit der Herstellung oder dem Verkaufen von
Kriegswaffen Profit machen kann. Eine Gesellschaft, in der ein Staat mit
Steuermitteln die zur Selbstverteidigung notwendigen Waffen herstellt, oder
mehre verbündete Staaten zusammen, in der aber nicht die Privatwirtschaft damit
betraut wird, den Lebensunterhalt von Menschen davon abhängig zu machen, dass andere
Menschen Kriege führen. Und vor allem eine Gesellschaft, in der der Zweck des
Wirtschaftens nicht die Vermehrung von Geld in privaten oder firmeneigenen
Anlagen ist, sondern die Versorgung der Menschen mit dem, was sie brauchen, um
gesund und glücklich zu leben. Ist Ihnen das zu utopisch?
Genauso utopisch ist wohl die Vorstellung, dass der oberste
Wunsch des wirtschaftenden Menschen das Glück aller am Wirtschaftsprozess
Beteiligten sein sollte, von den Lebewesen der vom Wirtschaften betroffenen
Ökosystemen über die Menschen, die die Rohstoffe an- oder abbauen und die Waren produzieren und die Händler und Transporteure, die die Waren von den
Produzenten zu den Konsumenten bringen bis hin zu den Konsumenten am Ende der
Kette. Wenn das eine Utopie ist, dann ist es eine Utopie des Lebens, während
die Utopie der grenzenlos vorhandenen und ausbeutbaren Natur und Menschheit,
die Utopie, den Willen Gottes mit Gewalt durchsetzen zu können und die Utopie,
sich auf Kosten anderer zu bereichern und sich zugleich von diesen anderen
abschotten zu können Utopien des Todes sind. Und gar keine Utopie, keine Träume
und Wünsche mehr zu haben, sich mit dem Status quo abzufinden und nur noch zu
funktionieren in wunschlosem Unglück, das sind, wie Michael Ende es nannte, die
Sümpfe der Traurigkeit. Es sei denn man ist wunschlos glücklich, dann ist man
erwacht oder erleuchtet, aber so weit sind wir noch nicht.
Denken Sie jetzt, das war aber nicht neues? Da haben Sie
Recht, ich habe ja am Beginn des Textes schon darauf hingewiesen. Oder denken
Sie, das war schon alles bekannt, aber Wiederholung ist die Mutter des
Studiums? Sollte mein Text diesem Zwecke dienen, bin ich zufrieden mit ihm.
Oder Sie denken, das ist doch alles Unsinn, was der Schmiedel da schreibt. Da
würde ich Ihnen widersprechen, denn wenn ich da Ihrer Meinung wäre, hätte ich
es nicht geschrieben.
Ich erwähne zum Schluss aber noch eine andere Berufsgruppe,
von der hin und wieder mahnende Worte kommen, nämlich die der
Naturwissenschaftler. Harald Lesch zum Beispiel sagte letztens in „Terra X“,
dass wir, wenn wir dereinst unseren Planeten verlassen müssen, um unsere Art
über die Lebensdauer der Erde hinaus zu erhalten, gelernt haben müssen,
friedlich miteinander umzugehen, denn die Raumschiffe seien eng und die Reise
sei lang.
Und in „Leschs Kosmos“ erklärte er, das nordatlantische Glasfaserkabel diene
vor allem dem noch schnelleren Börsenhandel.
Ja, was soll man sagen über eine Gesellschaft, deren technische Fortschritte
und Errungenschaften dann am spektakulärsten sind, wenn es um die Überflügelung
von militärischer oder wirtschaftlicher Konkurrenz geht? Abgesehen davon, dass
von den Börsenspekulationen nur sehr wenige Menschen was haben, während sie den
meisten Menschen eher schaden als nützen, so dass man die im wahrsten Sinne des
Wortes als a-sozial bezeichnen kann. Wenn Sie mir nicht glauben und den
Kabarettisten, Literaten und Kirchenleuten auch nicht, dann glauben sie den
Naturwissenschaftlern. Aber nur denen, deren Gutachten nicht vom Militär oder von
der Wirtschaft bezahlt werden.
Noch’n Gedicht:
Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
Sind Schlüssel aller Kreaturen
Wenn die, so singen oder küssen,
Mehr als die Tiefgelehrten wissen,
Wenn sich die Welt ins freye Leben
Und in die Welt wird zurück begeben,
Wenn dann sich wieder Licht und Schatten
Zu ächter Klarheit werden gatten,
Und man in Mährchen und Gedichten
Erkennt die wahren Weltgeschichten,
Dann fliegt vor Einem geheimen Wort
Das ganze verkehrte Wesen fort.
PS: Diesen Text schrieb ich hauptsächlich im Zug zwischen
Bielefeld und Siegburg am 20. und 21.10.2015 und machte ihn in den Tagen danach
fertig.